Landesbischof Kähler zu Weihnachten: „Eltern sollen Probleme
aussprechen können, ohne zu Problem-Fällen zu werden“

„Das Elisabethjahr hat den Blick geschärft für Menschen, die ganz unscheinbar und ohne viel Aufhebens zu machen, sich ganz selbstverständlich anderen zuwenden. Betrachten wir die Weihnachtsgeschichte aus diesem Blickwinkel, fällt Maria auf.
Schwangerschaft und Geburt vollziehen sich unter denkbar ungünstigen Umständen. Sie nimmt dennoch die Verantwortung an, die ihr mit dem Jesuskind in die Krippe eines Stalles gelegt ist. Sie liebt ihr Kind und ist mit ihm glücklich. Sie empfindet das Kind als großes Geschenk, als Segen Gottes.
Kinder zu lieben, ihnen Geborgenheit und Herzenswärme zu schenken, scheint uns etwas Selbstverständliches. Um so mehr erschrecken uns Nachrichten von Müttern (und Vätern), die sich ihrer Kinder entledigen, die sie töten, die Liebe in Frage stellen — und damit ihr eigenes Leben. Offenbar hat in unserer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt, die Ratlosigkeit kaum Platz. Es gibt nicht nur einen Wettbewerb um die Märkte und Marktanteile. Längst gibt es den Wettlauf um das bestangezogene, das erfolgreichste Kind, die aufopferndste Mutter. Wohin mit der Ohnmacht, wenn Menschen diesem Perfektions-Drill nicht gewachsen sind?
Gerade Maria, die so oft als Königin dargestellt wird, lehrt uns, dass es perfektes Leben nicht geben kann. Der Stall von Bethlehem ist das Gegenteil eines Palastes. Maria war eine wirkliche Menschenmutter, die oft nichts hatte als ihre Zuneigung. Sie hat mit dem aufwachsenden Jesus und später mit dem im ganzen Land bekannten Prediger viele Spannungen durchlebt. Erfahrungen, die kaum vermeidbar sind. Kinder bedeuten auch Arbeit, nervliche Belastung, manchmal Überforderung. Vermeidbar aber ist die Ohnmacht, in der Mütter und Väter mit ihren Kindern allein zurückbleiben.

Der Staat kann Hilfssysteme anbieten, er kann aber nicht die Hilfe von Mensch zu Mensch verordnen. Wir brauchen Begegnungsmöglichkeiten, wo Menschen offen über ihre Not sprechen können. Menschen sollten ihre Probleme aussprechen können ohne zu Problem-Fällen zu werden.

Treffpunkte für Eltern entstehen nicht von selbst. Initiativen sind gefragt, Schulen, Kindergärten, Rathäuser und Kirchen. Aber auch wir
selbst: Jeder Mensch ist eine Begegnungsmöglichkeit.

Wir sollten uns verabschieden davon, dass Leben perfekt sein könnte.
Dann werden Menschen, die arm dran sind, die mit ihrer Kraft und ihrem Latein am Ende sind, eher offen Rat suchen — hoffentlich auch bei uns.
Ich wünsche allen Thüringerinnen und Thüringern ein gesegnetes Weihnachtsfest.“

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