Hörschel gedenkt Kriegsende vor 60 Jahren

Mit zwei Veranstaltungen gedenkt die Kirchgemeinde Hörschel des Kriegsendes vor 60 Jahren.
Am Freitag, dem 1. April 2005, findet um 18 Uhr in der Kirche Hörschel ein Gedenkgottesdienst anlässlich des 60. Jahrestages der Zerstörung des Ortes statt.

Im März 1995 hatte die damalige Chronistin Monika Kallenbach Berichte von Zeitzeugen aufgeschrieben:

«Am 1. April jährt sich der Tag, an welchem viele schöne Fachwerkhäuser unseres Dorfes Hörschel zerstört wurden.
Ein Artikel von Fritz Rollberg zum tausendjährigen Bestehen des Ortes Hörschel im Jahre 1932 klingt mit den Worten aus:
‚Mögen sich alle Hörscheler wie auch die das Dorf besuchenden Heimatfreunde ihrer Pflicht gegen die letzten Zeugen der Vergangenheit der alten Siedlung bewusst, ihr selbst aber im zweiten Jahrtausend eine glückliche Entwicklung beschieden sein!’

Dieser Wunsch erfüllte sich leider nicht. Im April 1945 wurde das Dorf Opfer der Kriegshandlungen. Einwohner Hörschels schilderten den Verlauf der Ereignisse:
Am 30. März 1945 um 6.00 Uhr abends warf ein Tiefflieger zwei Bomben auf den Bahnhof Wartha. Die Brücken über Hörsel und Werra wurden zur Sprengung vorbereitet. Ein daran beteiligter Soldat sagte zu einer Hörschler Einwohnerin: ‚Ostern ist Hörschel dran!’
Die Panzer, die vom Main her immer näher kamen, erreichten Karfreitag das Werratal. Der Donner der Geschütze wurde immer deutlicher. In Hörschel wurde der Volkssturm ausgerufen. Die Männer bis zum Alter von 65 Jahren mussten Panzersperren errichten – eine in Dorfmitte und eine an der Hörselbrücke. Am 31. März mussten die Häuser geräumt werden – Türen und Fenster sollten geöffnet werden. Die Bewohner flüchteten vor den Kampfhandlungen zunächst in die umliegenden Bunker und Unterstände im Wald. Manche führten Fuhrwerke mit – andere hatten das Nötigste in Hand- oder Kinderwagen verstaut. Es waren auch viele Fremde im Dorf und so mancher Besitzer eines Wochenendhauses glaubte sich in diesem sicherer als in der Stadt. Das aber war ein Irrtum. Viele flüchteten sich in einen Bunker unter der Straße in Richtung Spichra unterhalb der ehemaligen Pension «Werrablick». Hier aber beschossen sich über ihren Köpfen die amerikanischen Panzer am Zickelsberg und die deutsche Stellung auf dem Hörschelberg. Da im Bunker sehr viele Leute waren, hatten auch einige Schutz im Keller des Stallgebäudes vom «Werrablick» gesucht.
Unterstände befanden sich auch am Tummelsberg und am Roten Weg. Auch dorthin waren die Leute geflüchtet. Sie mussten diese aber wegen des zu starken Beschusses verlassen und weiter in den Wald gehen. ‚Am Karfreitag hatten wir noch einen Kuchen gebacken, den nahmen wir mit. Die erste Nacht verbrachten wir am Marktpfad und die zweite bei der Gerichtskiefer in einer Schonung …’
Einige Einwohner Hörschels konnten auf ihrem Weg in der Nacht sehen, dass es in Hörschel, Creuzburg und Spichra brannte. Am Ostersonntag wurden die Brücken gesprengt. Im Dorf zündete die SS die Häuser an. ‚Die Häuser brannten schon, ehe die Amerikaner geschossen haben.’ In einem Haus konnte der Brand noch vom Eigentümer gelöscht werden – der Brandfleck soll noch zu sehen gewesen sein, bis das Haus 1994 renoviert wurde. Auf dem Kirchturm hatten sich Soldaten verschanzt und schossen von dort auf die Amerikaner. So wurde gleich zu Beginn der Kampfhandlungen der Kirchturm abgeschossen. Aber auch weitere Häuser wurden durch den Beschuss in Brand gesetzt und ein kräftiger Wind trug das Feuer weiter. Da die Wasserleitungen zerstört waren, konnte nicht gelöscht werden.
Einige Mutige gingen in der Nacht ins Dorf, um die Tiere aus den brennenden Ställen zu retten oder die Kühe zu melken. Die Milch wurde für die Kinder mit in den Wald genommen, aber sie schmeckte nach Rauch.
Die Leute waren von der Gerichtskiefer weiter gezogen in den Neuenhöfer Grund zur Köhlerhütte. Dort bauten sie sich in Erdlöchern Unterstände und polsterten sie mit Decken und Sachen aus. Einige hatten auch Federbetten mitgenommen. Es war warmes Wetter und in der ersten Nacht auch trocken, aber in der zweiten Nacht regnete es und die Unterstände wurden völlig durchnässt.
Die Soldaten rückten in der Nacht ab. Die Leute gingen zunächst nach Neuenhof in die Schule, wo sie ihre Sachen trocknen konnten. Dann traten sie den Heimweg an.
Das Dorf bot einen schaurigen Anblick: Sämtliche Bauerngehöfte und mehrere einzelne Häuser lagen in Schutt und Asche. Überall lagen Trümmer und verkohlte Balken. Im Wasser der Hörsel lag eine verendete Kuh. Die Mühlstraße war durch die Trümmer unpassierbar, und bei dem Anwesen Engelhardt lagen zwischen Trümmern und verkohlten Balken tote Schweine. Es gab kein Wasser und auch keinen Strom.
Auch die folgenden Tage verbrachten die Leute in den Kellern. Am Abend des 4. April waren die ersten Amerikaner im Ort.
Es sind abgebrannt: das ehemalige Anwesen Gonnermann (Nr. 22), Gliem – alles (Nr. 20), Zimmermann – alles (Nr. 19), Bürgermeister Engelhardt – alles (Nr. 18), Otto Kallenbach – alles (Nr. 6), Daniel Kirchner – alles (Nr. 4), Arno Ackermann – alles (Nr. 24), Belli – alles (Nr. 25), Vogel – alles (Nr. 26), Nolde – alles (Nr. 27), Oskar Krey – Stall und Scheune (Nr. 28), Willi Kirchner – alles (Nr. 29), Hedwig Hiller – alles (Nr. 1a), Käsemann – alles (Nr. 1), Oskar Schill – alles (Nr. 2), Johannes Busch (Nr. 23), der «Werrablick», Jakob Busch – das Wohnhaus (Nr. 5a), sowie noch eine Anzahl schwer und leicht beschädigter Häuser.
Die Kirchturmspitze wurde abgeschossen.»

In der Nachkriegs- und Sperrgebietszeit gab es wenig Baumaterial zum Wiederaufbau der Häuser. Trotz dieser Schwierigkeiten wurden mehr als die Hälfte der Gebäude wiedererrichtet oder neu aufgebaut. Doch sind auch heute noch nicht alle der damals entstandenen Lücken beseitigt. Im vorigen Jahr wurde der Kirchturm in seiner ursprünglichen Gestalt wieder errichtet – nach 59 Jahren…

Am Dienstag, 5. April 2005, stellt Rainer Lämmerhirt (Mihla) um 18 Uhr in der Kirche Hörschel sein Buch «Der Kampf um die Werralinie» vor. Anhand von weiteren Bildern wird er vor allem über die Ereignisse der Apriltage 1945 in der Gegend berichten. (Der Eintritt ist frei. Die Kirche ist geheizt.)