Schenkung für das Stadtarchiv

Das Eisenacher Stadtarchiv hat jetzt eine Schenkung der besonderen Art erhalten. «Eine kleine Sensation», sagte Dr. Reinhold Brunner, Archivleiter. Auf zwei CD befinden sich Tonbandaufzeichnungen der Lebenserinnerungen des Eisenacher Polizisten Gottfried Böhnhardt. «Dieses zeitgeschichtliche Dokument ist in höchstem Maß authentisch und vermittelt ein eindrucksvolles Bild wichtiger Geschehnisse in Eisenach zwischen 1900 und 1930», so Brunner. Die Schenkung stammt von Volker Reinhold, Enkel des Gottfried Böhnhardts. Reinhold wurde in Eisenach geboren und hat 1959 seinen Großvater über dessen Leben befragt und die Erzählungen auf Tonband aufgenommen.

Gottfried Böhnhardt, 1877 in Eisenach geboren, trat 1900 in den Eisenacher Polizeidienst ein. Seine Anstellung begriff er zeitlebens «nicht als Beruf sondern als Berufung». Höchst anschaulich schildert er auf Befragen seines Enkels seinen Werdegang. 1897 wurde er Soldat und bewachte unter anderem die Wartburg. Nach dem Militär entschied er sich für eine Polizeilaufbahn und wurde als Schutzmann bei den Eisenacher Behörden eingestellt. Böhnhardt stieg 1917 zum Wachtmeister, 1918 zum Oberwachtmeister, 1925 zum Kriminalkommissar und 1929 schließlich zum Polizeidirektor auf.

In seiner Jahrzehnte währenden Dienstzeit hat er viel erlebt. Lebhaft erinnerte er sich an die Ereignisse in Eisenach während der Revolution, an die Morde an der Frankfurter Straße im Frühjahr 1920 und an die Streiks in den großen Eisenacher Betrieben während des Kapp-Putsches. Detailgetreu berichtet Böhnhardt schließlich über seine Begegnung mit Adolf Hitler, der am 13. Januar 1927 in Eisenach auf einer Versammlung sprach.
Der Kommissar hatte damals die Versammlung zu beaufsichtigen und über sie an seine Vorgesetzten zu berichten. Der schriftliche Bericht von 1927 ist überliefert. Vergleicht man ihn mit den Aussagen Böhnhardts von 1959, so erkennt man das gute und vor allem um Korrektheit bemühte Erinnerungsvermögen des Polizisten. Der Wert der mündlichen Quelle wird durch die schriftliche bestätigt. Mit den «neuen Herren», die seit 1933 das Land beherrschten, habe Böhnhardt «schwere Enttäuschungen» erleben müssen, weshalb er 1936 schließlich den Dienst quittierte.

Der Kommissar selbst, der so viel erlebt hatte, starb am 27. März 1962 in Eisenach. Seinem großartigen Gedächtnis und dem Geschichtsinteresse seines Enkels ist es zu verdanken, dass das Stadtarchiv nun über eine einmalige «sprechende Quelle» verfügt, die ein lebendiges Bild Eisenachs in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeichnet.

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