Gewaltiges gewagt

Am Ende ein Bild, ein wunderschön gelungenes, den Schmerz des Stücks auf Augenblicke konzentriert. Kirsten steht starr, scheinbar endlos, bleich blickend, der Einsamkeit überlassen. Sie kippt auf die Knie. Ein Song strömt. So traurig: «all I ever wanted, is here in my arms,» doch Kirsten hält nichts in ihren Armen, sie lebt leer. Bricht zu Boden, verschwindet im Schwarz. Polaroidkamerablitze durchstechen die Dunkelheit. Stille.

Applaus platzt aus dem Publikum. Natürlich fallen sich alle Beteiligten in die Arme, natürlich hofft man: «Macht weiter so!» und nicht ganz natürlich erlebte ein voll gefüllter Jazzkeller der Alten Mälzerei an diesem Abend Besonderes. Das fünfköpfige Theaterteam «ebendaselbst», scheinbar spontan an die Bildbühnenoberfläche gegründet, zum ersten Mal sich in Erscheinung spielend, bewältigte das gewaltgewordene Schmerzstück «FSK 16» des aus Lübeck stammenden Jungautors Kristo Sagor. Autark beharrt die Gruppe auf Selbstständigkeit, innerhalb von nur drei Wochen inszenierten sie ein äußerst stark gestaltetes Szenenbündel und sie artikulieren sich und ihre Begeisterung für die Schauspielerei. Wohlgemerkt debütierend, arrangierte die regiestudierende Jennifer Dallüge (Assistenz: Kerstin Seling) ein dicht gedrängtes, jugendliches Gemetzel der Seelen, die in Sagors Stück als lebende Narben zu wandeln scheinen.

Die schauspielende, sozusagen «AN-Mannschaft», Anne Krauß, Anne Hartmann und André Kaczmarczik, wagt Gewaltiges. Sie sind es, die sich anderthalb Stunden an die Grenzen des zu Zeigenden zwingen, die sich verbal verletzten, sich schlagen, sich grausam fürchten. Sie, trotz, hoffentlich aber wegen ihres jungen Alters, verselbstständigen sich in ihren Rollen, geben den Figuren glaubhafte Konturen. Dabei meint man, dass Stück verleite zu Fehlern durch Übertreibung, Klischeekunst oder Pauschalisierung. Kirsten (Anne Hartmann) überredete Figen (Anne Krauß), gemeinsam den freakigen Kinogänger Stipe (André Kaczmarczik) in einer Art Experiment, psychisch zu demontieren. Dass dieses Menschenexperimentieren scheitert, dass gefährliche Gräben in den 15-jährigen aufgerissen werden, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt, zeigen die Drei eindringlich.

Mit einer aufeinander akkurat abgestimmten Ensembleleistung bewegen sich die 18-jährigen Jungschauspieler innig intim und so selbstverständlich schonungslos. Dallüge scheint spürbar einen besonderen Zugang gehabt und die Akteure außergewöhnlich ungewohnt geöffnet zu haben für jenen Kraftakt am Rande der Selbstverstümmelung. Dramaturgisch intensiv wirkten die Lichteinstellungen, Gesichter in Schatten schlagend, traumatisch green-cutting. Dass die Szenerie, drei belanglose, kinogleiche Bankreihen auseinander genommen und die Bühne verunstaltet wird, passt dazu. «ebendaselbst» fanden sich, hoffentlich weiter wagend.

Ihre Darstellung und Verselbstständigung verdeutlicht, Jugendtheaterarbeit, übrigens stammen alle «ebendaselbst»-ler aus der Talentestube des burgtheaters, lohnt. Allerdings betrüblich, wenn das feb derzeit ankündigt, seine Jungendarbeit wegen Streichung von Förderungen und Überbelastung aufgeben zu müssen.

Aufführungen nach Absprache unter ebendaselbst@gmx.de

Anzeige