Geschichte hautnah – John Weiner

Schüler der Eltetalschule Oberellen berichten über Ihre Begegnung mit einem Zeitzeugen und Opfer des Holocaust:

John Weiners Leidensweg – Geschichte hautnah

Als Frau Wagner, unsere stellvertretene Elternsprecherin ihre Zeitung aufschlug, bemerkte sie einen interessanten Artikel, welcher von einem älteren jüdischen Herren handelte. Sehr angetan von diesem Bericht, beschloss sie diesen Mann, mit Namen John Weiner zu kontaktieren und ihn zu fragen ob er denn mal Lust hätte unsere Schule zu besuchen. Natürlich nicht ohne Grund. Da Herr Weiner ein sehr netter Mensch ist, sagte er zu.

Am 5. 11. war es dann soweit. Schnell wurden noch die Stühle im Raum 206 in ihre richtige Position gerückt um den bald kommenden Gast gut im Blickwinkel zu haben. Aus jeder neunten Klassen hatten vier Schüler das Glück, bei diesem Ereignis hautnah dabei sein zu dürfen, wobei auch Frau Blankenburg und die Geschichtslehrer der Schule anwesend waren. Der Begriff «Geschichtslehrer» lässt das Gesprächsthema schon fast erahnen. Denn im Zusammenhang mit der Fahrt nach Buchenwald im nächsten Jahr, kam Herr Weiner um uns über die damaligen schrecklichen und menschenfeindlichen Verhältnisse im 2. Weltkrieg während der Judenverfolgung aufzuklären. Er war nicht nur ein Augenzeuge, nein er war eines der unzähligen Opfer.

Alle Teilnehmer warteten voller Spannung auf ihren Sitzplätzen, die halbkreisartig vor dem Lehrertisch aufgebaut waren. Auch mein Atem wurde schwerer, als sich plötzlich die Tür öffnete und vorsichtig eine Person herein trat, die kein anderer war als John Weiner. Ein kleiner alter Mann mit Brille, der jeden von uns sanft anlächelte und darauf zum Lehrerpult schritt. Dort stelle er seinen schwarzen Koffer ab, hielt kurz inne und begrüßte uns dann herzlich. Sofort weckte er alle Sympathien. Sein Auftreten, seine ganze Art wunderte mich ein wenig. Er sah so unscheinbar normal aus, das er glatt mein Opa hätte sein können. Man sah ihm seine bewegte Vergangenheit keines Falls an. Eine Vielzahl der Schüler zückte schon einen Stift um die Worte Johns auf ihren Blöcken niederzuschreiben. Wir alle standen kurz vor einer beklemmenden Reise, Mitten in John Weiners Gedächtnis.

Unser Gast begann sein Gespräch überraschender Weise mit einer kleinen Rechtfertigung indem er uns mitteilte das sein Deutsch sehr miserabel sei und wir ihm bei kleinen kommunikativen Unklarheiten sofort benachrichtigen sollen. Er schaffte es, in seiner lieben Art die angespannte Atmosphäre aufzulockern und in ein heiteres Umfeld zu tauchen. Nebenbei bemerkt, war sein Deutsch sehr gut zu verstehen. Bevor er mit der Schilderung über sein Leben in Gefangenschaft begann, erkundigte er sich nach Fragen von unserer Seite. Wir sollen keine Hemmungen haben, das ihn unsere Fragestellungen vielleicht zu nahe gehen könnte.

Theresa Abe, die in der zweiten Reihe saß, erkundigte sich als mutige erste nach einem Sachverhalt. Ihr folgten noch zwei andere Fragen bis John Weiner uns seine Lebensgeschichte preisgab. Das größte Verbrechen der Menschheit, und er war hautnah dabei. Leider musste er es genauso hautnah spüren: In seinem Magen, der zu jener Zeit vergeblich knurrend auf sich aufmerksam machte, an seinen Füßen, die von den endlos dauernden Todesmärschen schmerzten und gezeichnet waren, in seinen Augen, die so viel Tod und Elend gesehen haben und vor allem in seinem Herzen, das unter diesen Qualen zu zerbrechen drohte. Keiner von uns wagte auch nur einen kleinen Mucks aus unserem Mund zu entlassen, so bewegt waren wir von Johns Erlebnissen. In unseren Gedanken fieberten wir bildlich mit, als ob wir auch bei Wind und Wetter zum Appell anstehen oder in engen Baracken mit Hunger, Krankheit und Verzweiflung leben müssten.

Das traurigste war wohl, unserem Gast mitten in die Augen zu schauen. Es kam einem vor, als ob man in ihrer ganzen traurigen Ausstrahlung zu ertrinken drohte. Sie glänzten wässrig und ließen in seine angeschlagene geschändete Seele blicken, die wohl jeden noch so harten Menschen bekümmern würde. Warum also nicht auch die SS Männer und all die anderen Verbrecher, die ihn und Millionen andere bis aufs Blut bekämpften, ohne Reue und ohne Gewissen?. Diese barbarischen Leute ermordeten unter anderem seine restliche Familie.

Als John Weiner nach zwei Schulstunden am Ende seiner Erzählung angelangt war, konnte jeder der Zuhörer von sich behaupten, eine Erfahrung reicher geworden zu sein und sicherlich hat auch jeder unseren Besucher, der aus dem fernen Australien kommt, in sein Herz geschlossen.

Mit einem kleinen Abschiedsgeschenk, als Zeichen unserer Anerkennung verabschiedeten wir ihn und wünschten ihm noch alles gute.

Noch einmal: herzlichen Dank, Herr Weiner für alles, was sie uns übermittelt haben!

Annemarie Voller

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Ein einmaliges Erlebnis – Ein Überlebender des Holocaust berichtet!

Plötzlich stand vor der Tafel ein kleiner , älterer Herr mit neugierigen Augen.
Er stellte sich als John vor und sprach mit leicht englischem Akzent. Was er uns in den zwei Stunden erzählte, war so beeindruckend, dass wir diesen Beitrag schreiben mussten. Kein Lehrbuch, kein Film kann das wiedergeben, was dieser Mann berichtete.

Die Familie Weiner stammte aus Ungarn und wurde 1944, da sie jüdischer Herkunft war, in Viehwagons nach Auschwitz deportiert. Vater und Sohn Weiner wurden von Auschwitz nach Buchenwald und einige Zeit später in ein Lager nach Magdeburg gebracht. Sie waren gesund und arbeitsfähig. Die schwere, körperliche Arbeit zehrte an Johns Gesundheit und die nächste Selektion stand bevor. Seine Hände und Füße waren voller Wunden, taten unbeschreiblich weh, aber zum abendlichen Appell wurde nicht seine Registrierungsnummer vorgelesen, sondern die seines Vaters.
Eine schmerzhafte Erlösung? – Ein Wunder? – Der Vater starb für den Sohn!

John lebte und sein Überlebenskampf war noch nicht beendet. Auf die Frage, wie man das alles ertragen kann, antwortete er mit: »Ich weiß nicht, aber der Mensch entwickelt so eine Kraft.» Gleichzeitig berichtete er von Häftlingen, die sich freiwillig in die Starkstromwachzäune warfen, um diesem Zustand ein Ende zu machen.

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Als im April/Mai 1945 die amerikanischen Truppen immer weiter in Richtung Buchenwald vorrückten, stellte die SS die ersten Todesmarschkolonnen zusammen, um das Konzentrationslager zu räumen. John Weiner gehörte zu einer der ersten Kolonnen. Von den 60050 Häftlingen, die sich auf den Marsch begeben mussten, überstanden nur wenige die Strapazen, den Hunger und die Willkür der Wachmannschaft..
12 Gefangene, darunter John Weiner, wurden in Bayern von der Amerikanischen Armee befreit. Noch immer war der Überlebenskampf nicht beendet. John hatte starke gesundheitliche Probleme, er wog nur noch 24kg. Schwere Schicksalsschläge waren zu verarbeiten – die Mutter verlor er in Auschwitz, den Vater in Buchenwald und sein Bruder starb im KZ Bergen-Belsen.

Erst, als er seine Füße auf australischen Boden stellte, fühlte er sich als ein freier Mensch.
John Weiners lebensnahe und emotional sehr ansprechende Schilderungen beeindruckten uns sehr und wir hoffen, dass er noch vielen Jugendlichen seine und somit die Geschichte vieler Juden im Nazideutschland erzählen kann.

Wir werden diesen Mann und seine Geschichte nie vergessen!

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Bericht eines Zeitzeugen

Was denke ich bei den Worten dieser Überschrift?

«Bericht»: Was für eine Umschreibung für die Erlebten Schrecken.

«Zeitzeuge» keiner sollte Zeuge einer solchen Zeit werden.

Wir bekamen Gelegenheit, mit jemand zu reden, der Zeuge grauenhafter Machenschaften geworden ist. Opfer des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte. Ein Mensch, der die schlimmsten Greultaten durchlebt hat, die man sich vorstellen kann. Kein Film, kein Buch kann das beschreiben, was in den Gedanken eines Menschen vorgeht, der so etwas durchleben musste.

John Weiner

Heute, fast 60 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft, spürt man noch immer die Gegenwart jener Zeit, bei den Worten von John Weiner, Worten über diese Zeit.

Es hat mich gewundert, das ein Mensch über diese Erlebnisse berichten konnte, ohne vor Hass zu zerfließen, Hass auf diejenigen, die ihm seine Jugend genommen und seine Erinnerungen vergiftet haben. Er musste erleben, wie seine Eltern und fast alle Menschen um ihn herum starben, umgebracht wurden, auf die grausamste Art und Weise aus dem Leben gerissen.  Ohne jeden Sinn, einfach vernichtet, nur weil…, ja warum eigentlich? Warum wurden so viele Menschen, auf so grausame Weise getötet? Wer weiß darauf die Antwort? Keine Erklärung der Nazis ist eine Rechtfertigung für diese Taten.

John Weiner hatte, bei der Erinnerung an diese Zeit, noch nach fast 60 Jahren, Tränen in der Stimme, als er erzählte, wie es ihm ergangen war. War es Zufall, dass er überlebt hat, überlebt damit er uns heute berichten kann, was wirklich geschah, damals.

Bei seinen Worten war Stille im Raum, eine andächtige Stille, wie zum Gedenken an die vielen, die niemanden über ihr Schicksal berichten konnten, weil sie diese grausame Zeit nicht überlebt haben.

Viele Worte von John Weiner, waren ein Appell an alle, so etwas nie wieder zuzulassen. Keiner darf wegen seines Glaubens, wegen seiner Abstammung, seiner Neigung oder seiner Hautfarbe verfolgt, inhaftiert, gefoltert oder getötet werden, heute nicht, morgen nicht, und für alle Zeit nicht.

Die Träume von Menschen sollten schöne Dinge wiederspiegeln und nicht Nacht für Nacht das erleben, was im Geist eingebrannt ist, immer und immer wieder diese schrecklichen Erinnerungen durchzuleben, aufzuschrecken und zu merken es war kein Traum es war
Real.

Marleen Langlotz