Meine ganz persönliche Erinnerung an Egon Bahr

„Guten Tag Herr Bahr. Das ist schön, dass sich die Gelegenheit ergibt, Ihnen persönlich für Ihre großen Bemühungen um Reiserleichterungen für ehemalige DDR-Bürger im Rahmen der Ostpolitik von Willy Brandt zu danken. Sie haben einen festen Platz in unserem Herzen.“ Bei meinem letzten Zusammentreffen vor zwei Jahren mit Egon Bahr sprach uns eine ältere Dame auf dem Eisenacher Bahnhof an. Ich hatte Egon Bahr gerade vom Zug abgeholt, er wollte zum Kurzbesuch in seine Heimatstadt Treffurt.

Was gab es für erschütternde Szenen in der Abteilung Paß- und Meldewesen der Volkspolizei-Kreisämter, wenn DDR-Bürger bei Todesfällen im engsten Familienkreis in den „Westen“ wollten. Da saßen erbarmungslose Könige am anderen Tisch. Was sind da für Tränen geflossen. Haben das jene vergessen, die die DDR versuchen zu glorifizieren?!.  Der „antifaschistische Schutzwall“ kesselte 17 Millionen Menschen ein. Die sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt versuchte mit „Wandel durch Annäherung“ Reiserleichterungen für die Deutschen im getrennten Deutschland zu erreichen. Egon Bahr war der Architekt, Willy Brandt der Baumeister dieser neuen Ostpolitik. Sie waren die Hoffnungsträger der Menschen, wurden von der Opposition im Deutschen Bundestag beschimpft und verunglimpft. Ein Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt scheiterte. Was für eine Erleichterung! (Als Schuljunge verfolgte ich die Abstimmung im Fernsehen – und kam wohl das einzige Mal zu spät zum an diesem Tag erst am Mittag beginnenden Unterricht.) Und was tat das SED-Regime? Es postierte einen Spion in unmittelbarer Nähe von Willy Brandt. Wie reagierte Willy Brandt, die ehrliche Haut? Er übernahm die Verantwortung, weil das Sicherheitssystem in seiner unmittelbaren Nähe versagt hatte. Via „Westfernsehen“ erlebten wir, wie Willy Brandt der SPD

-Bundestagsfraktion sein Entschluss kundtat. Wir sahen einen weinenden Egon Bahr. Erst viele Jahre später, im persönlichen Gespräch, erfuhr ich den Grund. Die „heuchelnden Worte“ das SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner waren der Anlass.

Im Jahr 1989 gehörte ich zu jenen jungen Frauen und Männern, die in Eisenach die SPD neu gründeten. Ich war stolz in einer Partei mit Willy Brandt und Egon Bahr zu sein. Unvergessen der Auftritt von Willy Brandt vor 30.000 Menschen auf dem Eisenacher Marktplatz. Ich war 10 Jahre SPD-Geschäftsführer, ich gehörte 24 Jahre dem Eisenacher Stadtrat an. In dieser Zeit kam es mehrfach zu Begegnungen mit Egon Bahr. Er besuchte uns im ersten „Domizil“ in der „Alten Posthalterei“ und dann mehrmals in der sozialdemokratischen Gedenkstätte „Goldener Löwe“. Als ehemaliger SPD-Bundesgeschäftsführer hatte er vollstes Verständnis, wenn es bei uns in Wahlkampfzeiten chaotisch zuging.  Unvergessen die Abende, in der uns Egon Bahr authentisch von seinen damaligen Missionen berichten. Wir durften Zeitgeschichte lebendig erleben. Bei seinem eingangs erwähnten Besuch in Treffurt, bereits über 90-jährig, ließ er im vollbesetzten Bürgerhaus die deutsch-deutsche Geschichte Revue passieren. Männer wie Willy Brandt und Egon Bahr machten den „eisernen Vorhang“ durchlässiger. Sie legten den ersten Stein zur Wiedervereinigung. „Für Spitzenpolitiker der damaligen Zeit ging es um die Existenz unseres Landes. Für Spitzenpolitiker der heutigen Tage geht es um die persönliche Existenz“, sagte Egon Bahr und umarmte mich.

Ich bin dankbar, dass es einen Egon Bahr gab. Ich bin dankbar, Egon Bahr mehrfach persönlich begegnet zu sein.

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