Eisenach würdigt Dr. Drechsler

Der ehemalige Oberbürgermeister von Marburg, Dr. Hanno Drechsler, ist am 4. Januar im Alter von 71 Jahren gestorben. Er war einer der Initiatoren der Städtepartnerschaft Eisenach-Marburg, die 1988 besiegelt wurde. Nach der Wende engagierte sich Marburg auf Betreiben Dr. Drechslers (SPD) massiv in Eisenach.
Oberbürgermeister Gerard Schneider wird mit einigen Mitgliedern des Stadtrates am Montag, 13. Januar, zur Beisetzung Dr. Hanno Drechslers nach Marburg fahren.
Die Trauerfeier findet um 11 Uhr in der Elisabethkirche statt. Im Anschluss daran wird Dr. Drechsler in einem Ehrengrab auf dem Marburger Hauptfriedhof beigesetzt. Im Marburger Rathaus liegt ein Kondolenzbuch aus. Die Tageszeitung «Oberhessische Presse» hat überdies im Internet ein Kondolenzbuch eingerichtet.

Oberbürgermeister Gerhard Schneider würdigt die großen Verdienste des ehemaligen Marburger OB: «Ohne Dr. Hanno Drechsler hätte es die Städtepartnerschaft Eisenach-Marburg nicht gegeben. Er hat auch nach der Wende sehr viel für unsere Stadt getan. Die Hilfe und Unterstützung war konkret und großzügig, in materieller und ideller Hinsicht. Dr. Hanno Drechsler erfüllte die Partnerschaft mit Leben, er war ein aufrichtiger Freund unserer Stadt und hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Eisenach und Marburg so gute und enge Partner geworden sind. Viele Menschen hier erinnern sich positiv an Dr. Drechsler und sein uneigennütziges Engagement. Dafür sind wir in Eisenach überaus dankbar.»

1970 wurde Dr. Drechsler zum OB von Marburg gewählt
Dr. Hanno Drechsler wurde am 24. März 1931 in Schönheide/Erzgebirge geboren. 1955 flüchtete er mit seiner Frau – Lehrerin, wie er selbst – aus der DDR. Er promovierte und arbeitete an der Marburger und der Gießener Universität. Er engagierte sich in der SPD und wurde 1970 in das Amt des Marburger Oberbürgermeisters gewählt. Mit 39 Jahren war er damals der jüngste OB in Hessen. Unter seiner Ägide wurde die malerische Altstadt von Marburg saniert. Mehrfach wurde in den 70er- und 80er Jahren die gelungene Sanierung der Marburger Oberstadt und anderer historischer Viertel mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet.
Neben der Stadtsanierung war die Suche nach einer Partnerstadt in der damaligen DDR das zweite große Vorhaben Dr. Drechslers. Im März 1987 reiste er erstmals mit der damaligen Staatssekretärin und späteren Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Christa Czempiel zu ersten Gesprächen nach Eisenach. Ausgangspunkt dieser Verbindung Marburg-Eisenach war die heilige Elisabeth, die einst auf der Wartburg lebte und nach dem Tod ihres Gemahls Ludwig IV. im Jahr 1227 nach Marburg flüchtete, wo sie 1235 starb und in der dortigen Elisabethkirche beigesetzt wurde.

1988: Eisenach und Marburg besiegeln Städtepartnerschaft
Im November 1987 besuchte eine Eisenacher Delegation Marburg. Die Verhandlungen über die Partnerschaftsvereinbarung wurden im Februar 1988 abgeschlossen. Ratifiziert wurde der Vertrag am 27. Mai 1988 in Marburg und am 10. Juni 1988 auf der Wartburg.
Während die Partnerschaft zu Zeiten der deutschen Teilung nur offiziellen Delegationen zu Reisen in den Westen verhalf, konnten mit der Wende im Herbst 1989 alle Eisenacher Marburg besuchen. Tausende Eisenacherinnen und Eisenacher besuchten in den Wochen nach der Maueröffnung die Partnerstadt, am 16. Dezember fuhren 1028 Menschen in einem Sonderzug nach Marburg.
Dr. Hanno Drechsler reiste in diesen bewegten Wochen sehr oft nach Eisenach. Für ihn war mit der Öffnung der Grenze ein Traum in Erfüllung gegangen. Am 3. Oktober 1990 sagte er in einer festlichen Sitzung der Eisenacher Stadtverordnetenversammlung: «Wir haben die wachsende Verbitterung, aber auch die Resignation, das Aufbegehren, aber auch das Sichabfinden beobachtet. Wir haben uns mitempört, aber wir haben nichts ändern können, und wir haben jedesmal aufgeatmet, wenn wir die Grenze nach Westen wieder im Rücken hatten. Und wir haben uns immer weniger vorstellen können, dass die beiden deutschen Staaten, die Welten voneinander trennten, einmal wieder miteinander vereinigt werden könnten».
Wann immer Dr. Hanno Drechsler in diesen Wochen nach Eisenach kam, hatte er konkrete Hilfsangebote dabei. Am 22. Januar 1990 übergab er unter anderem mehrere Busse und Geräte für den Bauhof an die Stadt Eisenach. Bei diesem Besuch sprach er auch anlässlich einer Montagsdemonstration auf dem Markt.
Ende Januar richtete der Marburger Magistrat eine Beratungsstelle für Stadt und Kreis Eisenach ein, in der ein halbes Jahr lang Mitarbeiter des Marburger Rathauses die Eisenacher Verwaltung unterstützten. Gerade der Aufbau der neuen Verwaltung wurde von Marburg massiv mit Rat und Tat und auch mit Personal unterstützt.
Ebenfalls Anfang 1990 spendete Marburg Medikamente für Eisenach. Dank großzügiger Unterstützung aus der Partnerstadt konnte am Schleierborn in Eisenach-Nord auch ein neuer Kinderspielplatz gebaut werden. Gelder aus Marburg flossen 1991 auch an die Lebenshilfe und in einen städtischen Kindergarten.

Marburg unterstützte Eisenach nach der Wende massiv finanziell und ideell
Den sichtbarsten Beitrag leisteten die Marburger auf Betreiben Dr. Drechslers aber im Hellgrevenhof. Dieser Gebäudekomplex – er gehört zu den ältesten erhaltenen Bauten in der Stadt – war 1990 sehr stark zerfallen. 1991 beschloss die Eisenacher Stadtverordnetenversammlung die Sanierung und ein Nutzungskonzept. Bereits im Oktober 1990 hatten die Marburger Stadtverordneten erste Mittel bereitgestellt, mit denen das Dach der Kemenate gesichert werden konnte. Außerdem übernahm das Freie Institut für Bauforschung Marburg in Zusammenarbeit mit Professor Landmann die ersten bauhistorischen Untersuchungen in dem Gebäudekomplex. Weiterhin stellte Marburg Mittel für die Entrümpelung, Untersuchungen, Sicherungsarbeiten und Planungen zur Verfügung. Insgesamt flossen beachtliche 700.000 Mark aus der Partnerstadt nach Eisenach.
Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit und die gelungene Rettung des Gebäudeensembles Hellgrevenhof wurden im Rahmen des Bundeswettbewerbs «Erhaltung des historischen Stadtraumes in den neuen Bundesländern» 1994 mit einer Sonderplakette für Eisenach gewürdigt.

1992 Rückzug aus gesundheitlichen Gründen
1992 musste Dr. Hanno Drechsler aus gesundheitlichen Gründen sein Amt aufgeben. Die Krankheit zwang ihn auch zum weitgehenden Rückzug aus der Öffentlichkeit. Dennoch stand er bis zuletzt seinen Nachfolger Dietrich Möller (CDU) mit Rat und Tat zur Seite.
In Marburg ist Dr. Hanno Drechsler bis heute hoch angesehen und wurde noch zu Lebzeiten zum Ehrenbürger ernannt. «Kaum jemand hat Marburg im 20. Jahrhundert so geprägt wie er», heißt es bei www.marburgnews.de. «Altstadtsanierung und Partnerschaft mit Eisenach sind die Meilensteine in Drechslers politischer Laufbahn», schreibt die «Marburger Neue Zeitung».

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