25 Jahre Jugendmigrationsdienst der Diakonie in Gotha und Eisenach

„Wo sind wir zu Hause? In Russland waren wir Faschisten und hier sind wir Russen.“ Diese Aussage eines jungen Spätaussiedlers hat Sigrid Ansorg vor 25 Jahren sehr bewegt.

Es gibt noch viel Aufklärung zu leisten, sagt die Sozialarbeiterin.

Viele Menschen wissen nichts über die deutsche Geschichte und die Deutschen, die vor 300 Jahren nach Russland umgesiedelt sind, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Wie sie in dieser Zeit gelebt haben und welche Höhen und Tiefen sie durchlebt haben, ist kaum bekannt.  Seit 25 Jahren arbeitet sie unter dem Dach der Diakonie in Gotha mit jugendlichen Migrantinnen und Migranten, die als Spätaussiedler, Asylsuchende und Flüchtlinge nach Gotha kamen und kommen.

Warum Sie sich für die jungen Fremden einsetzt, ist für sie ganz klar:

Ich bin Christin und durch mein Tun kann ich meinen Glauben lebendig machen und mich einsetzen für Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Michael Jung in Eisenach, beraten und begleiten sie die Neuankömmlinge und ihre Eltern. Sie geben Orientierung  und Unterstützung bei der schulischen und beruflichen Integration, ebenso im neuen Lebensumfeld Deutschland. Außerdem organisieren sie Kompetenztrainings, Seminare und Veranstaltungen zur Interkulturellen Öffnung.

Mir begegnen immer wieder so viele Vorurteile und Unwissen darüber, was Flüchtlinge dürfen und was ihnen zusteht, sagt die Sozialarbeiterin und Leiterin Sigrid Ansorg.

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Ihres Erachtens hat die Politik 2015/2016 versäumt, mit der Bevölkerung  ins Gespräch zu kommen, ihnen einen Raum für ihre Fragen und Ängste zu geben. So habe die Angst vor dem Fremden weiter zugenommen. Nicht zu vergessen sei aber auch, dass es mit der Flüchtlingswelle vor zwei Jahren unendlich viele Angebote ehrenamtlicher Unterstützung und Sachspenden gab. Sigrid Ansorg erinnert sich daran, wie ihr Telefon ununterbrochen klingelte. Dieses Engagement ist auch jetzt noch dringend nötig für Patenschaften oder bei der Hausaufgabenhilfe.

Einige Ehrenamtliche sind geblieben, doch wir bräuchten noch mehr.

Da sind immer wieder Lebensgeschichten, die unter die Haut gehen. Zum Beispiel sitzt da ein 18-jähriger Flüchtling verzweifelt vor Sigrid Ansorg, weil er seine Eltern aus Afghanistan nicht nachholen darf. Der Antrag war zwar noch gestellt, als er minderjährig war, aber durch unglückliche Umstände lag er solange bei den Behörden,  dass er inzwischen 18 Jahre  ist und ohne Anspruch darauf, bei seinen Eltern sein zu dürfen. Er kann auch nicht zurückkehren nach Afghanistan, weil die Taliban in seinem Dorf leben.

Es berührt mich sehr, wenn ich dabei bin, wenn sich Eltern und Kinder wieder sehen, sagt sie.

Die Mütter und Väter sind unendlich erleichtert und weinen, wenn sie nach Jahren der Ungewissheit ihr Kind lebend und sicher wieder in die Arme schließen können.

Die Zahl der Flüchtlinge hat sich in den letzten Jahren rapide erhöht. Spätaussiedler gibt es dagegen kaum noch. Als Sigrid Ansorg vor 25 Jahren mit ihren Kolleginnen Beate Gerschel und Frieda Plett begann, betreuten sie um die 500 Spätaussiedler. Sie begannen mit aufsuchender Sozialarbeit in den Heimen, um die Jugendlichen und ihre Familien in ihrer Situation da abzuholen, in der sie sich aktuell befanden – in der Fremde in einem Heim zu sitzen.

Die Spätaussiedlerin Larissa Kilber erinnert sich an diese Zeit. Ihre Tochter Katja war damals 15 Jahre alt und langweilte sich mit anderen Jugendlichen im Flüchtlingsheim. Mit Hilfe des Jugendmigrationsdienstes wurde eine Band gegründet, in der ihre Tochter begeistert mitspielte und komponierte.

Wir waren sehr zufrieden und es gab keine Probleme mit Rauchen oder Trinken, sagt ihre Mutter.

Sie kam vor 20 Jahren als Musiklehrerin nach Deutschland und leitet heute den Chor Kalinka. Zwölf Frauen und ein Mann singen russische Weisen, gestalten russische Feste mit russischen Märchen, schreiben ihre Stücke und die Musik selbst, nähen traditionelle Kostüme und entwerfen auch die Kulisse selbst. Sie sind gern gesehene Gäste bei offiziellen und nicht offiziellen Anlässen.

Sie werden auch am 25. August 2017, beim Interkulturellen Fest auftreten, das aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Jugendmigrationsdienstes (JMD) in Gotha stattfinden wird. Der JMD arbeitet unter dem Dach des Diakoniewerkes Gotha, das in diesem Jahr sein 170-jähriges Bestehen feiert.

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