Einer für alle, alle für einen!

«Einer für alle, alle für einen», der Leitspruch der legendären Musketiere wurde von den Zweitbundesliga-Handballern des ThSV Eisenach bis in die letzte Haarspitze umgesetzt. Die Helden hießen nicht Athos, Porthos, Aramis und d `Artagnan (wie im Roman von Alexandre Dumas), sie hießen Nick Heinemann, Roel Adams, Radek Musil und Benjamin Trautvetter (aus dem Spielberichtsbogen von Trainer Adalsteinn Eyjolfsson). Ohne eine komplette Aufbaureihe – Tomas Sklenak, Girts Lilienfelds und Daniel Luther fehlten verletzt – errangen die Thüringer mit unbändigem Kampfgeist einen 20:19 (8:9)-Erfolg über das abwehrstärkste Team der Liga, den HC Erlangen.
Roel Adams lieferte auf der mittlere Aufbauposition seine beste Leistung im Trikot des ThSV Eisenach ab, was für die restlichen Spiele zugleich hoffen lässt. Die Wartburgstädter überflügelten die Franken in der Tabelle und kletterten selbst auf Tabellenplatz 4.

Die Gäste, von einem großen Anhang begleitet, darunter Erlangens Bürgermeisterin Dr. Elisabeth Preuß, wucherten über weite Strecken mit ihren erfolgreichen Tugenden Abwehrstabilität und mannschaftliche Geschlossenheit, agierten im Vorwärtsgang einen Tick effizienter und lagen eingangs der Zielgeraden mit zwei Treffern vorn (15:17). Dann setzten die die Partie nahezu nur mit acht Feldspielern bestreitenden Wartburgstädter zum leidenschaftlichen Endspurt an. Es schlug die Zeit des Kleinsten auf dem Parkett. Kaltblütig hob Eisenachs Nick Heinemann das Leder von Rechtsaußen gleich zwei Mal kurz hintereinander über Erlangens Torwart-Hünen Andreas Bayerschmidt zum 18:17 ins Netz (55.). An Dramatik nicht zu überbieten die Schlussminuten, denn auch die Franken fighteten mit Herzblut. Daniel Pankofer verwandelte per Strafwurf zum 18:18-Ausgleich (56.). Eine Kaluzinski-Fackel zischte zum 19:18 in den Erlanger Kasten. Wenig später war Radek Musil, der alte Fuchs im Eisenacher Kasten, in die bedrohte Ecke abgetaucht. Doch die Eisenacher verloren im Vorwärtsgang das Leder. Wahrlich nichts für schwache Nerven! Hannes Münch traf per platziertem Schlagwurf zum 19:19-Ausgleich (59.). Schon längst hielt es keinen der über 1800 Zuschauer mehr auf den Sitzen. Auszeit Eisenach. Kurz nach Wiederanpfiff Ballverlust für die Hausherren. Doch die Eisenacher erkämpfen sich das Leder zurück. Roel Adams steuert selbstbewusst und zielstrebig über die linke Seite den Erlanger Kasten an und wird regelwidrig gestoppt. Siebenmeter. Wer soll die Verantwortung übernehmen? Nick Heinemann war in der 51. Minute an Erlangens Bestem, Keeper Andras Bayerschmidt von der Siebenmeterlinie gescheitert (gedankenschnell hatte jedoch Adrian Wöhler den Abpraller versenkt). Nick Heinemann griff sich das Leder und versenkte mit schnörkellosem Wurf, versetzte die Werner-Aßmann-Halle in ein Tollhaus. Doch noch waren dreißig Sekunden zu spielen. Eine lange Zeit im Handball. Die Franken brachten nach einer Auszeit und einer Besprechung an der Bank für ihren Torhüter einen zusätzlichen Feldspieler, steuerten mit Vehemenz das Eisenacher Gehäuse an. Wie die Musketiere stemmten sich die Eisenacher dagegen. Nick Heinemann kassierte seine dritte Zeitstrafe. In doppelter Überzahl (!) starteten die Erlanger ihren letzten Angriffszug. Dieser wurde drei Sekunden vor der Sirene auf Kosten eines Freiwurfes gestoppt. «Da passiert nichts mehr. Der Sieg ist unser», war sich der von den Traversen nach einstige ThSV-Kapitän Jürgen »Bongo» Beck sicher. Der letzte Wurf wurde eine Beute der Eisenacher Abwehrmauer. Alles andere ging im überschäumenden Jubel unter.

«Charakter, Leidenschaft und Willen», nannte ein überglücklicher Eisenacher Coach Adalsteinn Eyjolfsson als die entscheidenden Parameter seines Teams. «Meine junge Mannschaft versäumte es bei 2-Tore-Führungen mögliche Matchballe zu versenken», resümierte ein ob der Schiedsrichterleistung angefressener Erlanger Trainer sich Frank Bergemann, der es aufgrund der HBL-Verfügung bei der Bemerkung «die letzten 18 Minuten waren nicht zu akzeptieren» in Richtung der Unparteiischen Harms/Mahlich beließ, der Leistung der Eisenacher während der Pressekonferenz seine Anerkennung nicht versagte. «In toller Atmosphäre beeindruckten beide Mannschaften mit Leidenschaft und Esprit, unterliefen beiden zugleich viele technische Fehler», so Frank Bergemann und fügte an, «als Tabellen-Dritter waren wir lange Zeit der Gejagte. Jetzt sind wir in der Rolle des Jäger». Eisenachs Trainer Adalsteinn Eyjolfsson jubelte: «Wahnsinnig stark diese Mannschaft, einfach ein Wahnsinn diese Zuschauer.» Zu einem 40-Sekunden- Kurz-Comeback kam unmittelbar vor der Halbzeitpause Co-Trainer Krisztian Szep-Kis. Mannschaft und Fans feierten ausgelassen bei einer After-Game-Party im Foyer und bei sommerlichen Temperaturen vor der Halle.

HC Erlangen wucherte mit den arteigenen Tugenden
In der «Grundformation» mit Alexander Schiffner auf Links- und Nick Heinemann auf Rechtsaußen, Kapitän Benjamin Trautvetter am Kreis, der für Abwehraufgaben in bewährter Weise zunächst von Branimir Koloper abgelöst wurde, Eryk Kaluzinski im linken und Duje Miljak im rechten Rückraum, Roel Adams in der zentralen Aufbauposition und Radek Musil im Tor starteten die Eisenach nach Treffern vom in den Angriff aufgerückten Branimir Koloper (auf Zuspiel von Eryk Kaluzinski) und dem am Kreis aufgetauchten Duje Miljak (auf Zuspiel von Roel Adams) mit einem 2:0 (5.). Es sollte die erwartet torarme und zugleich umkämpfte Partie werden. Die Eisenacher konnten eine Vielzahl guter Tormöglichkeiten nicht nutzen, scheiterten am gut aufgelegten Andreas Bayerschmidt im Erlanger Kasten. Mit einfachem effizientem und mit Nachdruck vorgetragenem Handball kamen die Franken zum Erfolg. Christoph Nienhaus entwischte zum 2:3 (11.). Die Hausherren suchten den Torerfolg über die Kreismitte, über ihren mit einer neuen Kurzhaarfrisur auflaufenden Kapitän Benjamin Trautvetter, der ein Kaluzinski-Zuspiel zum 5:5 verwertete (19.). Nach Foulspiel an Benjamin Trautvetter verwandelte Nick Heinemann den fälligen Strafwurf zum 6:5 (21.). Die Eisenacher waren sichtlich um ruhigen sachlichen Spielaufbau bemüht. Das gelang nicht immer, auch bedingt durch die Abwehrarbeit der Franken. Hannes Münch nutzte einen Ballgewinn der Erlanger zum 7:8 (29.). Daniel Stumpf besorgte von Linksaußen die Gästeführung kurz vor der Halbzeitsirene (8:9).

Hochdramatische Schlussphase
Die zweiten dreißig Minuten begannen mit einer Zeitstrafe gegen Eisenachs Adrian Wöhler. Oliver Hess nutzte die Überzahl zum 8:10 (32.). Roel Adams mit viel Energie und zur Kreismitte eingelaufene Nick Heinemann netzten zum 10:10 (34.) ein. Schwungvolles Angriffsspiel zum Kreis, Adrian Wöhler, im Rücken der Abwehr zur Kreismitte geschmuggelt, traf in Eisenacher Unterzahl zum 12:11 (37.). Eryk Kaluzinski war der Vorlagengeber. Doch die Gäste hatten auch gute Argumente, nutzten den einen oder anderen Eisenacher Patzer konsequent. Dann lief Erlangens Torwart-Routinier Andreas Bayerschmidt zu großer Form auf, vernagelte insbesondere gegen Alexander Schiffner sein Gehäuse, war mit seinen Glanzparaden der Initiator zum 13:15 (Mario Schmidtke, 45.). Dann brachten auch Eryk Kaluzinski und Roel Adams den Ball nicht unter. Dann eine Eisenacher Spezialität: Nick Heinemann passte das Leder von Rechtsaußen direkt zum auf Linksaußen lauernden Adrian Wöhler, der zum 15:16 einlochte (50.). Aber auch die Franken kombinierten zum Kreis, Bastian Krämer traf zum 15:17 (50.). Die hochdramatische Schlussphase war eingeleitet, mit dem durch Adrian Wöhler im Nachwurf versenkten Siebenmeter, mit heftigen Protesten des Erlanger Schlussmannes und in der Folge mehrfach von Erlangens Trainer Frank Bergemann. ThSV-Schlussmann Radek Musil war einmal mehr der sichere ruhende Pool. In hitziger Atmosphäre behielten die die letzten Kraftreserven mobilisierenden Eisenacher Musketiere kühlen Kopf!

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Statistik

ThSV Eisenach: Musil, Gorobtschuk; Trautvetter (3/1), Wöhler (3), Miljak (2), Kaluzinski (2), Adams (3), Schiffner (1), Heinemann (5/2), Koloper (1), Szep-Kis

HC Erlangen: Bayerschmidt, Deussen; Müller, Schwandner, H. Münch (3), Krämer (4), Nienhaus (2), Hess (3), Schneck, Pankofer (3/3), Schmidtke (3), Stumpf (1), Link

Siebenmeter: Eisenach 4/3; Erlangen 3/3

Zeitstrafen: Eisenach 6 x 2 Min., Rot für Heinemann n. 3. ZS (60.); Erlangen 5 x 2 Min.

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