ThSV: Fassungslosigkeit und Entsetzen

Sekunden entscheiden im Handball über himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Eben noch jubelten die Spieler des ThSV Eisenach, Sekunden später kauerten sie fassungslos auf der Spielfläche, machte sich Entsetzen unter den erneut über 1400 Zuschauern breit, währenddessen die Spieler der SG Bietigheim voll überschäumender Freude auf dem Parkett tanzten. «Manchmal kann Handball so grausam sein», gestand später einer der Hauptakteure, ThSV-Keeper Radek Musil. Die Hitchcock-Schlusssekunden kosten den Wartburgstädtern bei der 32:33 (16:16)-Niederlage gegen den Tabellen-Siebenten zumindest einen Pluszähler.
Zur Chronologie: Der mit scharfen und platzierten Würfen aus dem Rückraum glänzende Daniel Luther hatte in der Schlussminute zum 32:32-Ausgleich für die Gastgeber eingewuchtet. Auszeit durch die Gäste. «Ich habe meiner Mannschaft gesagt, den einen Punkt sichern», berichtete Bietigheims Trainer Uwe Rahn. Da waren bei Ballbesitz seines Teams noch 24 Sekunden zu spielen. Die Gäste kombinierten zum am Kreis freigespielten Junioren-Auswahlspieler Christian Heuberger, doch Eisenachs Schlussmann Radek Musil parierte in großem Stil. Das abgewehrte und ins Feld zurückspringende Leder sicherte Linksaußen Karsten Wöhler. Da waren noch sieben Sekunden zu spielen. «Was ist die Aufgabe eines Außen?», fragte hernach Eisenachs Trainer Maik Handschke und hatte die Antwort selbst sofort parat. «Die Außenlinie entlang zu laufen, was in knapp vier Sekunden zu schaffen ist, und das Leder dann sicher abzuspielen.» Doch ausgerechnet der erfahrene Kapitän, Karsten Wöhler, passte das Leder per Steilvorlage in die Mitte der Bietigheimer Hälfte, wo jedoch kein Eisenacher stand. «Weshalb? Warum», verstand Maik Handschke die Handball-Welt nicht mehr. Bietigheims Jochen Bauer nahm den Ball in aller Ruhe auf und hob ihn aus der eigenen Hälfte zum alles entscheidenden Treffer in das verwaiste Eisenacher Gehäuse. Torhüter Radek Musil hatte den Blackout seines Kapitäns sofort erkannt und war aus seinem Kasten geeilt, um einen kurz hinter der Mittelinie freistehenden Gästespieler abzuschirmen. Jochen Bauer wählte aber die direkte Variante; mit Erfolg für seine Farben. «Ein Unentschieden wäre sicherlich gerecht gewesen», diese Worte gingen Gästetrainer Uwe Rahn während der Pressekonferenz leicht über die Lippen. Seine Spieler feierten indes in der Kabine ausgelassen. Karsten Wöhler, der so leidenschaftliche Kämpfer, der Unglückrabe des Abends, wollte am liebsten im Erdboden versinken.
Der ThSV Eisenach hätte freilich Mitte der zweiten Halbzeit für eine Vorentscheidung sorgen können. Die erste Spielhälfte hatten die Gäste mit einem groß auftrumpfenden Robin Haller (7 Treffer bis zum Seitenwechsel) zumeist bestimmt (9:12, 18.). Mit mehr Bewegung im Angriff, einem explodierenden Tomas Sklenak, einem deutlich zulegenden Pavel Prokopec und einem erfolgreich aus der zweiten Etage abziehenden Daniel Luther schienen die
Eisenacher nach dem Seitenwechsel (24:20, 40.) die besseren Argumente zu haben. Doch dann holperte es. «Mit einer abgeklärten Spielweise muss das in eigener Halle zu einem Sieg führen», gestand ThSV-Keeper Radek Musil. Geradlinigkeit und Konsequenz fehlten plötzlich in den Eisenacher Reihen, auch weil der eine oder andere aus der Stammformation
zum Krafttanken auf der Bank Platz nahm. Die Gäste «dankten» mit Tempogegenstößen (Sebastien Knierim) und Treffern aus dem linken Rückraum (Christian Löffler) zum 24:25 (46.).
Beide Teams lieferten sich nach einer Gedenkminute für den bei einem DHB-Auswahlspiel tödlich zusammengebrochenen Juniorenauswahlspieler Sebastian Faißt (Bayer Dormagen) einen temposcharfen Schlagabtausch, mit einer ausgesprochen torreichen Auftaktphase, mit 13 Treffern zum 6:7 (9.). Auf Eisenacher Seite ging das Tempo jedoch zu Lasten der Präzision, unterliefen zunächst eine Vielzahl individueller technischer Fehler (Prokopec). Die große Motivation der Hausherren nach der Pleite in Leichlingen war jedoch offenkundig. Misslungene Zuspiele zur Kreismitte nutzten die Gäste zu schnellem Umkehrspiel. Beim 7:7 (11.) klappte das Zusammenspiel zwischen Pavel Prokopec und Benjamin Trautvetter. Eisenachs Abwehr wirkte porös. Immer wieder zappelten Bälle vom jungen Robin Haller aus dem rechten Rückraum im Eisenacher Kasten (9:11, 17.), knüpfte Regisseur Nico Kibat umsichtig die Fäden. Mit der Einwechslung von Karsten Wöhler für Alexander Schiffner kam auf Linksaußen neuer Schwung (12:13, K. Wöhler, 23.). Mit unnötigen Zeitstrafen, wahrscheinlich aus Übermotivation, dezimierten sich die Eisenacher. Bemerkenswert: Eine nahezu zweiminütige doppelte Unterzahl ging mit 1:0 an den ThSV Eisenach! Spektakulär der Rückhandtreffer im Fallen von Martin Hoffmann auf Zuspiel von Benjamin Trautvetter zum 14:14 (27.). Ansonsten blieb Martin Hoffmann, ebenso wie Girts Lilienfelds und damit die rechte Eisenacher Angriffsseite, ausgesprochen blass. Mit zwei «Fackeln» Marke Sklenak zum 16:16-Gleichstand ging es in die Halbzeitpause.
Nach Wiederanpfiff der Unparteiischen Schulze/Tönnies (Magdeburg/Dodendorf), die mit ihren Entscheidungen vielfach nicht auf Zustimmung von den Rängen sorgten, erhöhten die Eisenacher deutlich die Schlagzahl, war viel Bewegung mit und vor allem auch ohne Ball Trumpf. Tomas Sklenak vermochte immer wieder nur regelwidrig gestoppt zu werden. Doch Pavel Prokopec und auch Karsten Wöhler brachten in dieser Phase jeweils einen Strafwurf nicht unter. Statt eines möglichen 22:17 stand es nur 20:17 (35.). Dann wucherte Daniel Luther mit seinen Stärken, wuchtete zum 24:20 (40.) ein. Den «Sack zuzubinden» misslang. Eine achtminütige Torflaute beendete erst der eingewechselte Routinier Krisztian Szep-Kis mit einem verdeckten Wurf zum 25:25 (48.). Der Linkshänder und Daniel Luther brachten ihre Farben mit 29:27 (54.) in Vorhand. Während Bietigheims Robin Haller nach seinem Trefferreigen in der ersten Halbzeit nun ohne Zielwasser agierte, aber viel für den Spielaufbau tat, nutzte nun Christian Löffler seine Freiheiten aus dem linken Rückraum, wie beim 29:30 (56.), hatte sich aber dann nicht unter Kontrolle, bekam für seinen Redeschwall nach einer Zeitstrafe noch eine zweiminütige «Zugabe», sodass Bietigheim die Schlussphase in Unterzahl zu bestreiten hatte – aber letztlich als glücklicher Sieger die Werner-Aßmann-Halle verließ. Maik Handschke, der Coach des ThSV Eisenach, ärgerte sich einmal mehr, dass Vorgaben nicht konsequent umgesetzt wurden. Seine Schützlinge verharren damit auf Tabellenrang 12, haben am Samstag den schweren Gang zum Tabellen-Zweiten Bergischen HC vor sich, erwarten am 21.03.09 zum ewig jungen Traditionsderby den EHV Aue.
Radek Musil, der Torhüter des ThSV eisenach, betrachtet die Lage mit aller Nüchternheit:
«Mit zwei Niederlagen in Folge haben wir uns erst einmal den Weg zu einem einstelligen Tabellenplatz verbaut. Das ist die Realität. Zu dieser Realität gehört es auch, dass wir nun erst einmal diesen 12. Tabellenplatz stabilisieren sollten, um nicht sorgenvoll nach unten blicken zu müssen. Unser Ziel ist es freilich, auf einen einstelligen Tabellenplatz zu klettern. Doch das wird nur schrittweise, mit viel Geduld gehen.»

Statistik
ThSV Eisenach: Musil, Krüger; Hoffmann (1), Trautvetter (4), Sklenak (7), A. Wöhler, Lindner, Luther (5), Emmelmann, Schiffner, K. Wöhler (2/1). Lilienfelds (2), Prokopec (9/5), Szep-Kis (2)

SG BBM Bietigheim: Gysin, Lenz; Haller (8), Amann, Kibat (5/4), Knierim (5), Heuberger (3), Schäfer, Bauer (2), Rothe (1), Hinz (3), Freudl, Löffler (6)

Siebenmeter: Eisenach 8/6; Bietigheim 4/4

Zeitstrafen: Eisenach 5 x 2 Min. , Rot gegen Trautvetter nach grobem Foulspiel (49.); Bietigheim 4 x 2 Min.

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