Buchenwald war auch in Eisenach

Erinnerung an Leid der Zwangsarbeiter im Außenlager „Emma“ • Geschichtlicher Exkurs anhand von Fakten

Das Konzentrationslager Buchenwald oberhalb von Weimar wurde vor 72 Jahren befreit. Buchenwald war aber auch in Eisenach. Die Faschisten betrieben ab 1944 in Eisenach-Hötzelsroda mit dem Lager „Emma“ eine Außenstelle. Im Außenlager „Emma“ waren Zwangsarbeiter im BMW-Flugmotorenwerk eingesetzt. Des Leids der Zwangsarbeiter gedachten kürzlich Bürger der Stadt Eisenach, auf Initiative des Bündnisses gegen Rechts, legten Blumengebinde am Gedenkstein an der L 1021 zwischen Stadtkern Eisenach und Ortsteil Hötzelsroda (Dürrerhofer Allee) nieder.

Unsere Welt nicht auf vereinfachte Sichtweisen reduzieren

Das Erinnern und Mahnen wird nicht leichter, je weniger das Grauen der Geschichte sichtbar, greifbar oder erfahrbar ist, leitete Eisenachs Dezernent Ingo Wachtmeister (SPD) seine Ausführungen ein. Es ist erschreckend und lehrreich, wie weitreichend auch die Verstrickungen derer sein können, die sich einem nicht einmal zugehörig fühlen oder fühlten; die vielleicht lediglich den Zeichen der Zeit vertrauen, oder sich einem System fügen. Oder den gängigen Zeitgeist nicht – oder nicht mehr – hinterfragen, so Ingo Wachtmeister und zog den Faden in die Gegenwart. Finden wir uns heute damit ab in einer Welt der vereinfachten Sichtweisen zu leben, in hohem Maße nationalistische und/oder ideologische Züge tragen. Er rief auf, wachsam zu sein, vor ideologischer Verbrämtheit und Mitläufertum. Der Sozialdemokrat weiter: Wir sollten uns damit auseinandersetzen, wie mehr oder weniger leicht Menschen zu Werkzeugen eines Systems, einer Ideologie werden.

Foto 2: Eisenachs Dezernent Ingo Wachtmeister.

Sind Menschen lernfähig?

Pfarrer Christian Müller stellte die Frage, ob wir Menschen tatsächlich lernfähig sind. Wären wir es ausnahmslos, dürfe es heute keine Zwangsarbeiter auf der Erde geben. Er benannte konkret Textilindustrie in Afrika und Lateinamerika. Es gelte für uns, genau hinzuschauen, welche Textilien und Kosmetika wir kaufen.

Foto 3: Pfarrer Christian Müller.

Vor der Wahrheit nicht die Augen verschließen!

Jessica Elsner (Titelfoto) aus dem Wartburgkreis befasste sich als Studentin intensiv mit der Geschichte des KZ-Außenlagers „Emma“ in Eisenach und Abteroda. Beim Gedenken trug sie die Fakten vor:

Nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie, die sich mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 einstellte, erfolgten Einberufungswellen, wodurch zivile Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie fehlten. Dieser Mangel wurde zunächst durch den Einsatz von Zwangsarbeitern kompensiert, konnte aber dennoch nicht gänzlich beseitigt werden. Während des 2. Weltkrieges wurden mehr als 20 Millionen Menschen aus fast allen Teilen Europas als Zwangsarbeiter in das Deutsche Reich verschleppt. Allein im Gau Thüringen waren 1941 bereits 100.000 Zwangsarbeiter beschäftigt und bis zum Ende des Krieges stieg die Zahl stetig an.

Die Bayerischen Motorenwerke in Eisenach stiegen spätestens 1941 in das System der Zwangsarbeiter-Rekrutierung ein. Der Anteil an ausländischen Arbeitskräften stieg in beiden Werken seit 1941 sprunghaft an: 1941: Stadtwerk: 103, Dürrerhof 63; 194: 2.048 und 1.208; 1944: 2.386 und 3.974. Also insgesamt 5.664 und 5.613 Zwangsarbeiter!

Untergebracht waren diese in verschiedenen Barackenlagern, die sich ausgehend vom Stadtwerk bis zum Dürrerhof hinauf zogen. Namentlich bekannt waren die Lager Karolinental, Petersberg, Schützenhof und Schlachthof. Das Lager Schlachthof beherbergte etwa 500 Zwangsarbeiter aller Nationalitäten.

Für das Flugmotorenwerk wurden anfangs die Arbeiter aus diesen Lagern rekrutiert, bis die Werksleitung schließlich in der unmittelbaren Umgebung den Bau von neuen Barackenlagern beschloss. 1942 wurden Baracken an der Stockhäuser Straße für ca. 600 Zwangsarbeiter errichtet, auf dem Ziegelfeld ein Gemeinschaftslager für etwa 270 Arbeiter.

Der Einsatz von KZ-Häftlingen in Rüstungsbetrieben war in der letzten Phase des Krieges der Versuch der NS-Regierung – aber auch der Betriebe selbst (!) – die kriegswichtige Produktion trotz mangelnder ziviler Arbeitskräfte aufrecht zu erhalten. Nach Ansicht der Verantwortlichen, schlummerte in den Konzentrationslagern, wie Buchenwald, ein bis dahin nicht ausreichend genutztes Arbeitskräftepotential. Darum entstanden ab 1942 im gesamten Reichsgebiet KZ-Außenlager, die sich meistens in unmittelbarer Umgebung zum Rüstungsbetrieb befanden.

Das KZ Emma entstand erst im März 1944 und hing mit verschiedenen kriegspolitischen Entscheidungen zusammen. Am 14. März 1944 erreichten die ersten 39 Häftlinge aus dem KZ-Allach bei München, im sogenannten Vorauskommando, Eisenach. In den ersten drei Monaten kamen auf diesem Weg ca. 700 Häftlinge in das Flugmotorenwerk. Ab August 1944 sank die Zahl, da die Umverlagerung der Produktion, und damit auch ein Teil der Häftlinge, nach Abteroda begonnen hatte. Die Belegstärke in Eisenach schwankte bis zur Auflösung des Lagers zwischen 350 und 500 Insassen, die vor allem russischen Nationalitäten waren.

Untergebracht waren die Häftlinge inmitten des Werksgeländes. Zeitweise, auf Grund der hohen Belegstärke, waren die Häftlinge auch im Prüfstandsgebäude untergebracht. Im 1. Stock der Halle M1 arbeiteten die Häftlinge in der Kleinteileproduktion und dort befand sich ebenfalls – abgetrennt durch eine Holztür – die Unterkunft. Der ehemalige Häftling Ludvik Rosanda berichtete über die Betten folgendes:

Auf diesen hölzernen Schlafstätten hatten wir Strohsäcke, eigentlich Strohsäcke mit wenig Stroh oder sonstigen Abfällen. Und außerdem hatten wir nur zwei Decken. Wir hatten weder Kissen noch Laken.

Die Häftlinge arbeiteten 12 Stunden in Tag- und Nachtschicht, wurden sowohl von SS-Angehörigen als auch von zivilen Werksangehörigen beaufsichtigt. Die Frage, ob man als ziviler Mitarbeiter von BMW wissen konnte, das ein KZ existierte, kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Der ehemalige Häftling Werner Gerlach erinnerte sich an die Verpflegung, die nach Schichtende aus „eine/r Suppe, in welcher Kartoffeln, Kartoffelschalen und kleine Stücke Pferdefleisch oder kleine Stücke Fleisch enthalten waren“ bestand. Da die Häftlinge im KZ „Emma“ als produktionswichtig galten, war ihre Unterbringung und die Verpflegung – im Vergleich zu anderen Lagern – besser. Gekleidet waren die Insassen mit einer „dünnen Unterhose, einem Hemd ohne Kragen mit langen Ärmeln und einer zebragestreiften Hose und einer ebensolchen Jacke (Saina). Zur Körperhygiene erhielten die Häftlinge keine Seife sondern ein Pulver und durch Barbiere wurden sie wöchentlich rasiert. Als Erkennungsmerkmal schor man ihnen den Kopf nicht ganz, sondern rasierte in der Mitte des Scheitels einen etwa 5 cm breiten Streifen auf die Haut, damit die Häftlinge bei einer Flucht sofort erkannt wurden.

Für das KZ „Emma“ lässt sich auf Grund der Quellen nicht mehr feststellen, wie viele Häftlinge zu Tode gekommen sind. Gesichert jedoch, dass 3 von 4 Häftlingen nach einem gescheiterten Fluchtversuch im April 1944 zum Tode verurteilt wurden. „Am 11. Mai sickerte die Nachricht durch, dass vor dem Werktor die SS vorgefahren sei mit einem Lastwagen, beladen mit Galgen“ (Albert Schurstein). Alle Häftlinge mussten sich versammeln, die SS errichtete den Galgen und führte die 3 Häftlinge vor. Die Hinrichtung musste von Mithäftlingen vollzogen werden, als Abschreckung dienen sollte. Max Fritz, Werksdirektor im Flugmotorenwerk, protestierte gegen diese Verfahrensweise nicht, stellte nur sicher, dass es nicht vor der gesamten Belegschaft vollzogen wurde. Nach dem das Urteil vollstreckt war, wurde die drei hingerichteten Häftlinge „wie Mehlsäcke auf einen LkW geworfen, der vor der Halle stand, und abtransportiert“ (Langner).

Am 9. Februar 1945 erlebte Eisenach den letzten Luftangriff. Auch wenn das Flugmotorenwerk kaum beschädigt wurde, war dieser Angriff Anlass, das KZ „Emma“ zu evakuieren. Der Großteil der Häftlinge, 383 laut Liste, erreichte an dem Tag das KZ Buchenwald in der Nähe von Weimar. Von dort wurden die meisten in andere Außenlager gebracht und mussten dort bis zum Ende des Krieges arbeiten, sofern sie diesen Tag noch erleben konnten. In den meisten Fällen bleibt das Schicksal der Häftlinge ungeklärt. Anders als die KZ-Häftlinge blieben die Zwangsarbeiter vom BMW bis über das Kriegsende hinaus in Eisenach und wurden – da sich die Werkleitung schon vor dem Herannahen der Amerikaner in Richtung München abgesetzt hatten – sich selbst und ihrem Schicksal überlassen.

Foto 4: Eisenachs SPD-Vorsitzende Heidrun Sachse im stillen Gedenken.

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