Das Wissen, das Können, der Geist: Ein Werk, das mit seinen Mitarbeitern auch die nächste Wende schaffen wird

Festrede von Dr. Rolf Bulander, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions der Robert Bosch GmbH, anlässlich des 25-jährigen Standortjubiläums in Eisenach am 19. Mai 2017 auf der Wartburg

Was ist Bosch gegen diese Burg, sehr geehrte Damen und Herren?
Dies ist ein Ort, der unser Jubiläum beinahe klein aussehen lässt. Denn was sind die 25 Jahre unseres Werks gemessen an 500 Jahren Reformation? Hier auf der Wartburg hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt, hier zu sprechen bewegt mich als aktives Mitglied im Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer ganz besonders und sehr persönlich. Aber keine Sorge, ich werde heute nicht über Wirtschaft und Religion räsonieren. Vielmehr möchte ich es doch mit dem gröbsten und zugleich schönsten rhetorischen Ratschlag von Luther halten: „Tritt frisch auf, tu’s Maul auf und hör bald auf.“ Also spreche ich nicht über die Ewigkeit eines halben Jahrtausends, sondern über den Wimpernschlag eines Vierteljahrhunderts – über die Geschichte von Bosch in Eisenach. Eine spannende Geschichte. Eine Erfolgsgeschichte im Zeichen der Wiedervereinigung. Eine Erfolgsgeschichte, die dann aber auch der Globalisierung standgehalten hat. Unsere Eisenacher Kollegen haben ihre Chancen nach der Öffnung der Grenzen genutzt, längst bestehen sie im weltweiten Wettbewerb. Leider sehen wir heute in aller Welt und auch in Europa die Rückkehr protektionistischer Versuchungen. Da kann ich nur sagen: Unsere Mannschaft in Eisenach ist so gut, dass sie keine neuen Grenzen mehr braucht – und so grenzenlos gut kann sie auch in Zukunft sein.

Dabei war nach dem Fall der Mauer – wer mag sich das heute noch vorstellen – ein zusätzlicher Standort in Thüringen bei Bosch nicht einmal unumstritten. Kontroversen gab es nicht zuletzt unter den westdeutschen Arbeitnehmervertretern, die Kapazitäten und Arbeitsplätze aus ihren Werken hierher abgeben mussten. Umso mehr beeindruckt es mich noch heute, wie der Vorsitzende unseres Gesamtbetriebsrats seinerzeit ganz wörtlich „solidarisches Verhalten mit den Kollegen in der DDR“ einforderte.

Wir müssen alles tun, so appellierte er an die Verantwortung der Betriebsräte im Westen, um die Überzeugung nicht aufkommen zu lassen, dass im Osten vor der Wende besser zu leben war.

Bewegende Worte aus bewegten Zeiten, aber ich denke, mit unserem Werk in Eisenach konnten wir sie einlösen.

Aber vor allem für die „Kollegen in der DDR“, um sie nochmals mit den Worten unseres westdeutschen Betriebsrats zu bezeichnen, war die Umstellung nicht einfach. Es lohnt sich, im Bosch-Zünder jener Jahre zu blättern – in unserer Mitarbeiterzeitung, die bemerkenswert offen immer wieder über Eisenach berichtete. Ich zitiere die Stimme einer Teamführerin:

Ich bin das erste Mal in der Marktwirtschaft und gebe ehrlich zu, dass ich das nicht gleich gekonnt habe.

Doch bald war Eisenach zumindest in einem Punkt Vorbild für die Bosch-Werke im Westen, nämlich bei der Einführung der teamorientierten Produktion.

Die Leute haben hier nie als Einzelkämpfer gearbeitet, erklärte der damalige Personalleiter die Vorreiterrolle gerade des thüringischen Werkes.

Gleichwohl sah eine Mitarbeiterin einen Unterschied zwischen der alten und der neuen Zeit:

Im Team arbeite ich heute selbstständiger, sagte sie und fügte hinzu, ich muss mehr denken als im Kollektiv.

Denkwürdige Stimmen, wie ich finde – Stimmen, die den Umbruch, aber auch den Aufbruch an diesem Standort widerspiegeln.

Angefangen hatte dieser Aufbruch nicht erst vor 25, sondern genau betrachtet vor 27 Jahren. Schon im April 1990 unterschrieben die Robert Bosch GmbH und die VEB Fahrzeugelektrik Ruhla eine Absichtserklärung zur Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens. Unser Interesse entsprang ganz klar der Vorgeschichte dieser Region: Thüringen hatte genauso wie BadenWürttemberg eine lange automobile Tradition – jeder auf dieser an Luther erinnernden Burg weiß, dass vor Ort schon vor mehr als 100 Jahren der gleichnamige Motorwagen hergestellt wurde. Und natürlich gab es in der Region eine Zuliefererindustrie mit viel Know-how und qualifizierten Mitarbeitern. Also streckten wir genauso wie unsere großen Kunden BMW und Opel unsere Fühler gerade nach Eisenach aus. So konnte gleich nach dem deutschdeutschen Einigungsvertrag das Gemeinschaftsunternehmen Robert Bosch Fahrzeugelektrik Eisenach GmbH entstehen. Wir übernahmen aus dem früheren VEB die Lehrlingsausbildung, den Sondermaschinen- und Werkzeugbau sowie das Scheinwerfer- und Wischeranlagengeschäft. Hier in Eisenach war die Zentrale des neuen Unternehmens in einem ehemaligen Ar- beiterwohnheim untergebracht, die Produktion in einer früheren Zigarrenfabrik. Es war klar, dass dies nur ein Provisorium sein konnte. Der Bau des neuen Werks auf dem Wartenberg war bereits 1990 beschlossen worden. Realisiert wurde dieser Bau binnen 15 Monaten für 200 Millionen D-Mark – das größte Investitionsprojekt von Bosch in den neuen Bundesländern. Im Mai 1992 wurde das Richtfest auf dem Wartenberg gefeiert, noch im selben Jahr die Fertigung hochgefahren – und genau diesen Neustart, der nunmehr 25 Jahre zurückliegt, feiern wir heute. Und wir haben Grund zum Feiern, denn nach der Wende hatten wir zunächst nur knapp 700 Mitarbeiter in Eisenach, heute sind es rund 1000 mehr.

Wie Sie sehen, springe ich gleich von der Geschichte in die Gegenwart – und dabei möchte ich nicht einmal stehen bleiben. Denn nachdem Herr Fischer und Herr Loebel bereits unser thüringisches Werk portraitiert haben, möchte ich nach seiner Zukunft fragen. Eine Zukunft, die vom Strukturwandel der Automobilindustrie nicht unberührt bleiben wird. Jeder weiß, das Auto von morgen wird elektrisch, automatisiert und vernetzt fahren – und viele fragen sich, welchen Beitrag kann Eisenach dazu leisten. Ich könnte mir die Antwort einfach machen und sagen, dieses Werk produziert vor allem Sensoren – und solche Sensoren wird man immer brauchen, um das Fahrzeug so effizient wie möglich zu machen, etwa seine Getriebesteuerung oder auch seine Klimatisierung. Doch etwas komplizierter und damit ehrlicher möchte ich doch antworten: Denn viele der Sensoren aus Eisenach zielen auf den Verbrennungsmotor, aber selbst das heißt noch lange nicht, dass sie bald passé sein werden. Denn auch der Verbrenner hat noch eine gute Zukunft vor sich, umwelt- und ressourcenschonend. Und Bosch will Nummer eins bei Benzin- und Dieselsystemen bleiben. Genau diese Position streben wir auch als Zulieferer fürs Elektroauto an. Auf einen guten Übergang also kommen es an. Garantieren fürs Gelingen gibt es dabei nicht, aber die nötigen Weichen können wir rechtzeitig stellen – und eben dies geschieht hier in Eisenach.

Zeigen kann lässt sich das an den Produkten wie an den Prozessen. Nicht zufällig ist Eisenach Leitwerk für zwölf Bosch-Standorte rund um den Globus. Chips, Sensoren, Leiterplatten, Steuergeräte in hochpräzisen Modulen zu integrieren, die härtesten Umgebungsbedingungen standhalten – das können sie hier in Thüringen in ganz besonderer Weise, noch dazu sehr wettbewerbsfähig. Und dieses einzigartige Know-how an der Schnittstelle zwischen Antriebssystemen und Elektronik bauen sie noch aus. Beispielhaft möchte ich den Musterbau für die kommende 48-Volt-Batterie nennen. Dies ist nichts weniger als eine Brückentechnik zum elektrischen Fahren. Denn das 48-VoltBordnetz lässt sich mit Verbrennungsmotor ebenso wie mit Elektromotor betreiben. Dabei ermöglicht es bereits ohne komplexe Hybridisierung die Nutzung von Bremsenergie zum Laden der Batterie – schon das steigert Effizienz und Fahrkomfort. Unsere ersten Kunden sind chinesische Automobilhersteller, die Serienproduktionen läuft also zunächst in China an. Und doch verdanken wir die wesentlichen Prozesse unserem Kompetenzzentrum hier in Eisenach – Prozesse wie das Laserbonden, um elektronische Verbindungen zu realisieren, die stärkere Ströme und höhere Spannungen aushalten. Es ist diese Verbindungstechnik, die erst recht im Elektroauto der Zukunft vonnöten ist. Da kann ich nur sagen: Unser thüringisches Werk ist mit seinem Können in die die richtige Richtung unterwegs.

Was spreche von „unserem thüringischen Werk“? Denn es sind unsere Mitarbeiter in diesem Werk, es sind die Menschen, die mit ihrer besonderen Geschichte Zukunft möglich machen. Eigentlich schließt sich damit der Kreis zum Beginn meiner Rede: Sie haben hier in Eisenach eine politische und wirtschaftliche Wende bewältigt, Sie werden auch jede technische Wende meistern. Mit Ihrer Mentalität, mit Ihrer Beweglichkeit, mit Ihrer Risikobereitschaft sind Sie vor gut 25 Jahren in die Marktwirtschaft aufgebrochen, genauso sollte Ihnen der Aufbruch in die Zukunft der Automobiltechnik gelingen. Ich selbst bin ja ein Boschler aus Schwaben, aber wie oft höre ich von der besonderen Flexibilität in unserem thüringischen Werk – von Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft über Bereichs- und Betriebsgrenzen hinweg. Hier gibt es Führungswerkstätten, in dem sich Team-, Gruppen- oder auch Abteilungsleiter über ihre Alltagsprobleme austauschen, hier gibt es eine Ausbil- dungswerkstatt, die bereits mehr als 1 000 junge Menschen zum Facharbeiterabschluss geführt hat, die Hälfte davon für andere Unternehmen. Es ist nicht nur das Know-how, es ist auch der Geist von Eisenach, der mich für die Zukunft nicht bange sein lässt.

Zu guter Letzt gebe ich ja zu: Auch als evangelischer Unternehmer konnte ich leider nicht ganz dem Lutherschen Ratschlag folgen, nach dem frischen Auftun des Mauls bald aufzuhören. Aber ich bitte um Nachsicht: Angesichts dieses Jubiläums wollte ich denn doch nicht bloß die Geschichte vergolden, vielmehr auch Antworten für die Zukunft geben. Letztendlich aber ist die Einstellung der Boschler hier in Eisenach das Beste, was Sie in die nächsten 25 Jahre mitnehmen können!

Titelbild: Dr. Rolf Bulander, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solution beim Festakt am 19.05.2017 auf der Wartburg.

Bilder: Bosch-Familientag am 20.05.2017 auf dem Wartenberg.

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