Medizinisch angezeigt oder „Kiffen auf Rezept“?

TÜV Thüringen warnt vor legalisiertem Verkehrsrisiko

Seit einer Gesetzesänderung im März 2017 ist die ärztliche Verordnung von Cannabis als Therapie bei einer schwerwiegenden Erkrankung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung auch in Deutschland möglich. Doch die Gesetzesänderung hat auch ihre Schattenseiten: Zwar eröffnet die Reform vielen Patienten mit schwersten Erkrankungen eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit, jedoch warnen Mediziner und Verkehrspsychologen vor Missbrauch: In einigen Fällen ist die Diagnose fragwürdig, mitunter liegt gar eine Kontraindikation vor. Dr. Don DeVol vom TÜV Thüringen machen vor allem Patienten Sorge, die ihren illegalen Cannabiskonsum mittels Rezept legalisieren lassen wollen. Aktuelle Fachartikel bestätigen die Vermutung solch gefährlichen Verhaltens.

Nach den Erfahrungen der Verkehrsmediziner und Verkehrspsychologen des TÜV Thüringen lassen sich im Hinblick auf eine Cannabismedikation drei Personengruppen unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehören Patienten, die durch die ärztliche Verschreibung erstmals mit Cannabis in Kontakt kommen. Die zweite Gruppe sind Patienten, die schon illegale Vorerfahrungen mit Cannabis im Rahmen der Eigentherapie gemacht haben. Sehr kritisch zu betrachten ist schließlich die dritte Gruppe, bei der es sich um regelmäßige Cannabis-Konsumenten handelt, die ihren illegalen Konsum mittels Rezept legalisieren lassen wollen. Dr. Don DeVol ist Leiter des Institutes für Verkehrssicherheit des TÜV Thüringen. Er macht sich vor allem Sorgen um Personen der letztgenannten Gruppe:

Sie stellen eine Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr dar. Ihr Umstieg vom illegalen zum legalen – aber dennoch kritischen – Cannabiskonsum wird durch die Formulierung des Paragrafen 24 a StVG ermöglicht, meint DeVol. Dort steht sinngemäß, dass ein Fahrer nicht ordnungswidrig handelt, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Anzeige

Nach Ansicht des Verkehrspsychologen Dr. DeVol müssen jedoch insbesondere die Zuverlässigkeit und der verantwortungsvolle Umgang bei den Konsumenten der dritten Gruppe kritisch hinterfragt werden:

Da es dieser Patientengruppe in der Regel eben nicht um die Linderung eines Leidens, sondern um das Erreichen eines Rauschzustandes geht, besteht hier die Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme von Cannabis mit Kontrollverlust, Überdosierung und mangelnder Regelbefolgung.

Seiner Einschätzung nach sollte daher besonders für diese Konsumenten im Sinne der Verkehrssicherheit eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung zur Klärung ihrer Fahreignung verpflichtend eingeführt werden.

Dass es inzwischen eine Fehlversorgung mit medizinischem Cannabis gibt, bestätigen auch Prof. Dr. Maier von der Uni Bochum und Prof. Dr. Glaeske von der Uni Bremen in ihrem kürzlich erschienen Fachartikel in der Zeitschrift „Der Schmerz“. Sie beklagen eine besorgniserregende Quote von frag-würdigen Verschreibungen. Laut ihren Nachforschungen erfolgten etwa zwei Drittel aller Verschreibungen bei der Diagnose „chronisches Schmerzsyndrom“ und damit ohne präzise Diagnose oder gar bei Kontraindikation, also entgegen der Empfehlungen der Fachgesellschaften. Zudem legen die in ihrem Beitrag genannten Zahlen nahe, dass Cannabis zu einem nicht unerheblichen Anteil an vorwiegend junge männliche Patienten mit hoher Versorgungsdauer und hoher Tagesdosis verordnet werde. Erklärlich wird dies den Autoren durch ein gewisses Maß an „Vorerfahrungen“ mit Cannabis mit einer Dosissteigerung infolge eines Wirkverlustes. Besonders selten hingegen werde in dieser Patientengruppe Nabiximol verschrieben, welches im Vergleich zu anderen Cannabismedikamenten einen höheren CBD-Anteil hat, der rauschunwirksam, jedoch pharmakologisch wirksam ist.

Dr. DeVol warnt vor den mittel- und langfristigen Folgen der Verschreibungspraxis:

Es ist nicht nur ein Sicherheitsrisiko, wenn Konsumenten der dritten Gruppe legal unter Cannabis-Einfluss am Straßenverkehr teilnehmen. Ein Missbrauch der Legalisierung ist auch ein Schlag ins Gesicht aller Patienten der ersten und zweiten Gruppe, denen durch Cannabis viel Leid erspart werden kann und die sehr verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen.