Schmerzerprobt: Thüringer leiden häufiger unter chronischen Schmerzen

In Thüringen werden rund 106.000 Menschen wegen chronischer Schmerzen behandelt – das entspricht 4,8 Prozent aller Versicherten. Zu dem Volksleiden hat die BARMER GEK Arztreport damit erstmals valide Zahlen auf Basis von 8,6 Millionen Versichertendaten vorgelegt. Im Vergleich zu anderen Bundesländern zeigt sich darüber hinaus, dass in Thüringen etwa 20 Prozent mehr Menschen an dauerhaften Schmerzen leiden. Bei gleichzeitig schlechterer schmerztherapeutischer Versorgung.

Die Bekämpfung chronischer Schmerzen sollte angesichts von Millionen Betroffenen in Deutschland zu einem nationalen Gesundheitsziel werden, forderte deshalb Hermann Schmitt, Landesgeschäftsführer in Thüringen, bei der Vorstellung des Arztreports in Erfurt. Viele Patienten erleben eine Odyssee bis ihnen geholfen werden kann. Es fehlt an einer Vernetzung zwischen den medizinischen Fachgebieten.

Schmitt: „Wir brauchen eine durchgängige Versorgungskette“
Das bedeute jedoch nicht ein bloßes Mehr an Strukturen und Ärzten.

Wir brauchen eine durchgängige Versorgungskette, beginnend beim Hausarzt als Lotsen, bis hin zu einer gezielten multimodalen Schmerztherapie. Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung, die sehr spezifisch behandelt werden muss. Beispielsweise bekommen Betroffene 70 Prozent mehr Medikamente als gleichaltrige Patienten, beruft sich Schmitt auf den Arztreport.

Die multimodale Schmerztherapie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und gilt als besonders erfolgversprechend. Es werden mehrere Fachdisziplinen einbezogen, darunter Ergotherapie und Psychotherapie. Darüber hinaus besteht für niedergelassene Ärzte die Möglichkeit zur Fortbildung als spezialisierter Schmerztherapeut – bislang sind es 31 in ganz Thüringen. Im Freistaat haben im Jahr 2014 bezogen auf 100.000 Einwohner 66 Patienten eine multimodale Schmerztherapie erhalten – bundesweit waren es 75 je 100.000 Einwohner.

Wir unterstützen daher die Bemühungen der medizinischen Fachgesellschaften, verbindliche Qualitätskriterien für die multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus zu entwickeln, so Schmitt weiter.

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„Langer Leidensweg, schwere Folgeschäden und soziale Isolation“
PD Dr. Rolf Malessa, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar, kennt die „Schmerzkarrieren“ vieler Patienten:

Der hohe Leidensdruck und lange Leidensweg der Patienten führt nicht selten zu einer abstrusen Abfolge von ambulanten und stationären diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, bis hin zu Operationen, deren Indikation zum Teil fragwürdig erscheint.

Mit dieser Studie der BARMER GEK liegen hochaktuelle Daten zur Schmerzversorgung in Deutschland und in Thüringen vor.

Sie zeigen deutlich, dass die Versorgung der Patienten dringend verbessert werden muss. Denn wir wissen, dass chronische Schmerzen und der häufige Schmerzmittelübergebrauch nicht nur zu schweren gesundheitliche Folgeschäden führen können, sondern oft auch zum sozialen Rückzug, zur Invalidisierung und zu großen familiären und partnerschaftlichen Problemen. Die ganze Umfeld leidet mit.

Thüringer haben „Rücken, Bauch und Kopf“
Fast jeder Thüringer kann an chronischen Schmerzen erkranken, wenn man die Verbreitung von Schmerzen an sich betrachtet: Rund 46 Prozent aller Patienten im Jahr 2014 klagten beim Arzt über Schmerzen im Allgemeinen – von der Migräne bis zum Bauchschmerz, also Diagnosen mit direktem Schmerzbezug. Frauen waren dabei deutlich häufiger betroffen als Männer (55 bzw. 37 Prozent). Die mit Abstand wichtigste Schmerzursache ist der Rücken, gefolgt von Bauch- und Beckenschmerzen und Kopfschmerzen.

Die Thüringer gehen häufiger zum Arzt als der Rest der Republik
Im Jahr 2014 besuchten 93,2 Prozent aller Thüringer mindestens eine Arztpraxis – bundesweit waren es mit 92,9 Prozent etwas weniger. Dies ist ein weiteres Ergebnis des BARMER GEK Arztreports. Wie viele Arztkontakte es pro Thüringer genau sind, lässt sich leider nicht mehr genau beziffern. Denn seit 2008 werden pro Arzt nur noch Quartalspauschalen abgerechnet, egal wie oft der Patient im Quartal in ein und derselben Praxis behandelt wird. Laut Report besuchten 57 Prozent der Versicherten vier und mehr unterschiedliche Ärzte im Jahr.

 Ärzte-Hopping nur bei Haus- und Frauenärzten
Die meisten Thüringer pflegen ein stabiles Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzten. Das sogenannte Ärzte-Hopping ist nicht sehr weit verbreitet. Am ehesten geschieht dies noch beim Hausarzt. So kontaktierten 12,7 Prozent der Patienten drei und mehr Hausärzte im Jahr 2014, eine Mehrheit von 57,8 Prozent jedoch nur einen Hausarzt. Noch geringer ist der Wechselwille bei anderen Arztgruppen, lediglich bei Gynäkologen haben noch 8,7 Prozent der Patienten drei und mehr Praxen im Jahr aufgesucht.

Der Hausarzt ist für die Thüringer der wichtigste Arzt und für die meisten der Lotse im Gesundheitssystem, so Hermann Schmitt.

Rund 78 Prozent sind mindestens einmal im Jahr beim Hausarzt, jeder dritte Behandlungsfall wurde von einem Allgemeinmediziner oder hausärztlichen Internisten abgerechnet.

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