Bischof Kähler zum Weihnachtsfest:
Unter uns – Hirten werden Engel

«Die Weihnachtsgeschichte erzählt von Engeln. Wie haben wir uns diese Engel vorzustellen? Wie Kinder, klein und pausbäckig? Als Knaben mit langen Haaren? Junge Frauen vielleicht? Für alles bieten uns Kunst und Kitsch Beispiele in Mengen. In diesem Jahr habe ich in der Weihnachtsgeschichte ganz unscheinbare Engel entdeckt: Die Hirten. Sie sind draußen auf dem Feld – so erzählt es das Lukasevangelium – als ein Engel kommt und den Weg zum Stall von Bethlehem weist. «Fürchtet euch nicht!», sagt der Engel. Und tatsächlich fassen sie sich ein Herz und gehen, das Kind in der Krippe anzuschauen. Schon auf dem Heimweg werden sie selbst zu Engeln, zu Boten. Sie erzählen, dass sie Gott in einem Mensch gesehen haben.
«Du bist ein Engel, Dich schickt der Himmel», so sagen wir, wenn uns jemand geholfen hat. Dabei wird man nicht zum Engel geboren. Die Aufgabe, Engel zu sein, ist jedem zuzutrauen – auch Landarbeitern und Schäfern. Die Weihnachtsgeschichte stellt die Hirten auf die Bühne des Weltgeschehens. So im Licht stehen sie sonst nicht. Aber die Letzten sollen die Ersten sein. Dieses Bibelwort kennen wir alle. Wo Gott zur Welt kommt, bleibt nichts, wie es war: Der Friedenskönig wird in einem Stall geboren, nicht in einem Palast. Und: Hirten werden zu Engeln. Das ist es, was an der Weihnachtsgeschichte kein Ende hat. Bis heute bewegt diese Botschaft die Welt von unten nach oben.
Engel tragen Arbeitskleidung, keine weißen Gewänder. Es gibt Menschen, die haben den ganzen Tag in einem Büro gesessen und setzen sich abends an das Bett eines Sterbenden. Die Hand, die tagsüber einen Kuli gehalten hat, hält dann ein ganzes Leben an der Hand. Es gäbe keine Hospize in Deutschland, gäbe es nicht diese Engel. Sie helfen den Herzen auf zu einem letzten Flügelschlag. Es gibt Menschen, die schleppen die ganze Woche eine Werkzeugkiste von Baustelle zu Baustelle. Und am Wochenende trainieren sie mit ihrem Hund, Vermisste zu finden. Wenn sie gerufen, angerufen werden, stehen sie auf und gehen an die Arbeit. Zur Engelarbeit. Es gibt Menschen, die abends, wenn die Kinder im Bett liegen, Briefe an Regie¬rende schreiben: «Hört auf zu foltern und zu töten. Vor Gott ist jeder würdig zu leben.» Es sind Engel, die Guantanamo nicht hinnehmen wollen, die syrischen Folterkeller nicht und nicht die im Irak. Es gibt Menschen, die gehen einer Arbeit nach, manche haben auch gar keine, und am Nachmittag stehen sie in einem Weltladen und reichen fair gehandelten Kaffee über die Theke. So reicht es den Kaffeebauern in Brasilien oder Tansania hoffentlich zum Leben. Ohne diese Engel hätte in Deutschland kein einziger Weltladen aufgemacht.
Es gibt Menschen, die mit Menschen arbeiten und nicht nur ihren Job machen. Dann lächeln Engel und in den Gesichtern steht geschrieben: Fürchte dich nicht! Es gibt viele solche Menschen. Gott sei Dank! – Ich wünsche Ihnen allen ein Weihnachten, das lange anhält und sie hin und wieder die verborgenen Flügelschläge der Botschafter Gottes spüren lässt.»

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