Wort zum Karfreitag von Landesbischöfin Ilse Junkermann

„Am Kreuztod Jesu können wir sehen, was Menschen erleiden müssen. An Jesu und seinem Leiden sollen wir sehen, wozu Menschen an finsteren Machenschaften fähig sind: andere ausgrenzen – verspotten – quälen – bis das Opfer verstummt.

So ist es von Jesus überliefert. So ist es von Opfern bis heute überliefert, von einzelnen Opfern und von ganzen Gesellschaften, so funktioniert Opferkultur: ausgrenzen – verspotten – quälen – bis das Opfer verstummt. So funktioniert dies durch die Jahrhunderte bis heute.

Deshalb ist es wichtig und gut, für alle Welt, nicht nur für die Christen, einen stillen Feiertag zu haben: Um Dunkles, um das Leiden anzusehen, das Menschen aushalten müssen. Wenn das in einem allgemeinen, öffentlichen Rahmen, wie eben über den gesetzlichen Feiertag Karfreitag als ‚stillen Tag’ Raum hat, dann können wir merken: Wir können uns dem stellen. Wir können Leiden aushalten und auch das Leiden von anderen mittragen. So gibt uns der Karfreitag die Möglichkeit, uns dem Schweren und Leiden in unserem Leben und in unserer Gesellschaft, ja, der ganzen Welt zu stellen. Das wird im Alltag meist von Leistungsdruck und Hektik überdeckt oder mit Arbeit und Vergnügen übergangen.

Nachdem Jesus am Kreuz gestorben ist, zerreißt im Tempel der Vorhang. Das bedeutet: Gott ist nicht mehr im Allerheiligsten hinter dem Vorhang verborgen. Wer Gott sehen will, der sehe auf alle, die leiden und denen übel mitgespielt wird, die Unrecht erfahren.

Ich denke an einzelne Mobbing-Opfer. Ich denke an Menschen, die man nicht in seiner Nähe haben will: Straftäter, Fremde, Asylsuchende, Arme. Ich denke an Menschen, die als Sündenböcke herhalten sollen. Ich denke an ganze Länder, die wie Sündenböcke z. B. für eine verfehlte Finanzpolitik herhalten sollen.

Dort ist Gott und dort will uns Gott haben: Als solche, die Hoffnung haben gegen den Tod. Als solche, die nicht resignierend den Kopf schütteln. Als solche, die wie er gegen den Tod protestieren. Als solche, die sich an die Seite derer stellen, die ausgegrenzt werden sollen, die schon verstummt sind. Gott ruft uns auf die Seite der Opfer, er ruft uns zu einer solidarischen, empathischen Gesellschaft. Denn er hat den Gekreuzigten auferweckt und die Macht des Todes begrenzt. Das gibt uns Kraft, für Leben und Gerechtigkeit einzustehen.“

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