Bürgerversammlung: Interesse an Blue Future Technologiegebiet ist groß

Bildquelle: © Stadt Eisenach/Ulrike Müller – Das Interesse an einem möglichen „Blue Future Technologiegebiet“ war riesig.

Die Option, nördlich von Stockhausen ein „Blue Future Technologiegebiet“ zu entwickeln, beschäftigt derzeit sowohl die städtischen Gremien als auch die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Der Andrang bei der Bürgerversammlung im Land- und Golfhotel „Alte Fliegerschule“ am vergangenen Dienstag, 28. Oktober 2025, war entsprechend groß. Oberbürgermeister Christoph Ihling warb für das Projekt, das einen komplett neuen Wirtschaftszweig in der Wartburgstadt etablieren könnte.

Thomas Bergler, Geschäftsführer des Flächen-Entwicklers FAB aus Leipzig, stellte die Pläne ausführlich vor. Die Unternehmensgruppe möchte das Gebiet erschließen und anschließend an einen Investor verkaufen. Ob tatsächlich ein Bebauungsplan aufgestellt und ein städtebaulicher Vertrag mit FAB geschlossen wird, entscheidet der Eisenacher Stadtrat in seiner Sitzung am 12. November. Zentrale Fragen und Antworten sind hier zusammengefasst:

Was bedeutet „Blue Future Technologiegebiet“?

Die Stadt Eisenach plant, eine 86 Hektar große Fläche zwischen Stockhausen und Hötzelsroda als Industriegebiet auszuweisen. Da das Gebiet unmittelbar am Umspannwerk liegt, eignet es sich hervorragend für die Ansiedlung eines Rechenzentrums. Ein solches Data Center würde einen größeren Gebäudekomplex umfassen und bis zu 22 Meter hoch sein. Das Umspannwerk wird unabhängig vom Projekt künftig ausgebaut, sodass für das Rechenzentrum nach Angaben des Flächen-Entwicklers bis künftig 300 Megavoltampere (MVA) zur Verfügung stehen würden. Mit dieser Anschlussleistung würde das Rechenzentrum zu den großen Zukunftsinvestitionen im Bereich Data Center in Deutschland zählen.

Was befindet sich aktuell auf dem Gebiet?

Der Bereich ist hauptsächlich landwirtschaftliche Nutzfläche. 32 Flurstücke sind betroffen. Mit jeder einzelnen Eigentümerin und jedem Eigentümer müsste der Flächen-Entwickler Kaufverhandlungen führen, sollte der Stadtrat grünes Licht für das Projekt geben.

Warum wurde die Fläche in Stockhausen ausgesucht?

Der Wartburgkreis hat im Rahmen der Erstellung eines Gewerbeflächenentwicklungskonzeptes mögliche gewerbliche Entwicklungsflächen der Stadt Eisenach untersucht und nach verschiedenen Kriterien selektiert. Dabei fiel die Fläche in Stockhausen durch ihre hohe Eignung für eine mögliche gewerbliche oder industrielle Nutzung auf. Der Kreis und FAB sind sodann mit der Projekt-Idee auf die Stadt Eisenach zugegangen.

Wofür werden Rechenzentren in solchen Dimensionen überhaupt gebraucht?

Der digitale Wandel vollzieht sich rasant und durchdringt immer mehr Bereiche des täglichen Lebens. Jeder Klick auf einen Link, jede versendete E-Mail greift auf Rechenleistungen im Hintergrund zurück. Künstliche Intelligenz und Automatisierung in jeglichen Prozessen vervielfachen diesen Bedarf. Die Prognosen hierfür überholen sich regelmäßig, sodass der Bau und Betrieb von Rechenzentren ein attraktiver Wachstumsmarkt ist.

Wie viele Arbeitsplätze entstehen?

Es könnten bis zu 150 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Flächenentwickler geht zudem davon aus, dass die Ansiedlung eines Data Centers belebende Effekte auf den gesamten Wirtschaftsraum ausübt. Diese Effekte werden mit einer 2,4-fachen Wirkung, also bis zu 360 neuen Arbeitsplätzen, wissenschaftlich untermauert.

Warum gibt es noch keinen konkreten Investor?

Dass zu Beginn eines Bauleitplanverfahrens weder der Investor noch der Betreiber feststehen, ist durchaus üblich. Aufgabe des Flächen-Entwicklers ist es ja gerade, die Rahmenbedingungen für eine Ansiedlung zu untersuchen und, wenn das Erfolg hat, auch zu schaffen.

Warum werden keine Ausweichflächen beispielsweise auf Brachflächen in ehemaligen Militär- oder verfallenen Industriegebieten angeboten? 

Der Flächen-Entwickler gibt an, dass solche so genannten Konversionsflächen in dieser Größe nicht mehr zur Verfügung stehen. Falls doch, gebe es regelmäßig Gründe dafür, dass dort seit der Wende noch nicht investiert worden ist. Auf manchen Potenzialflächen gebe es zudem fördersystematische Ausschlusskriterien, beispielsweise für Flächen, die durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen auf dem Kindel vermarktet würden.

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Warum bringt die Stadt Eisenach die Erschließung eines solchen modernen Gewerbe- und Industriegebietes nicht allein auf den Weg?

Projekte dieser Dimension sind für Städte und Gemeinden inzwischen kaum noch selbst zu stemmen. Das gesamte Verfahren, einen Bebauungsplan aufzustellen, und das Gebiet zu erschließen, kostet sehr viel Geld. Auch die Investorensuche und das damit verbundene Risiko übernimmt der Flächen-Entwickler.

Was ist mit der zu erwartenden Belästigung durch Lärm?

Es gelten die üblichen Immissionsrichtwerte, die eingehalten werden müssen, sollte das Rechenzentrum einmal stehen. Werden Überschreitungen festgestellt, wird der Investor verpflichtet, beim Lärmschutz nachzubessern.

Wie soll das Rechenzentrum gekühlt werden?

Aktuell ist noch nicht abzusehen, wie sich der Stand der Technik bis zum Baubeginn weiterentwickelt. Herkömmliche Kühlungen verbrauchen viel Wasser. Hier gibt es Ansätze, andere technische Lösungen zu finden. Modernere Chips beispielsweise strahlen weniger Wärme ab. Es wird auch im Rahmen eines Forschungsprojektes darüber nachgedacht, Regenwasser oder in der Industrie anfallende Abwässer für die Kühlung großer Rechenzentren zu verwenden. Darüber hinaus sieht die kommunale Wärmeleitplanung, die die Stadtverwaltung in diesem Frühjahr vorgelegt hat, vor, zukünftig gezielt Abwärme zu nutzen. Hier gibt es womöglich erhebliches Potenzial für eine effiziente und nachhaltige Wärmeversorgung.

Werden Bürgerinnen und Bürger womöglich enteignet?

Das Baugesetzbuch gibt Kommunen einen gewissen Handlungsspielraum an die Hand, um Gebietsentwicklungen zu ermöglichen. So könnte die Stadt zum Beispiel eine Vorkaufsrechtssatzung erlassen. Die Stadt hätte dann das Vorkaufsrecht, sobald ein Grundstück im betroffenen Gebiet (privat) verkauft werden soll. Enteignungen im klassischen Sinn sind rechtlich nicht vorgesehen. Wohl aber sind förmliche Bodenordnungsverfahren mit dem Ziel denkbar, den Zuschnitt des Planungsgebietes so zu konfigurieren, dass die städtebauliche Entwicklung ermöglicht wird.

Können die Bürger das Projekt vor Ort verhindern?

Jede Eigentümerin und jeder Eigentümer ist in seiner Kaufentscheidung frei. Zudem kann jeder – wie bei jedem anderen Bebauungsplan – das Verfahren aktiv begleiten und Stellungnahmen einreichen. Über die zukünftige Offenlegung der Pläne sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange informiert die Stadt Eisenach online. Der Hinweis zu den Bekanntmachungen ist gleich auf der Startseite zu finden.

Warum unterstützt der Oberbürgermeister die Pläne?

Eisenach begreift sich von jeher nicht nur als touristischer Ort mit hoher kultureller Strahlkraft. Als Industriestandort hatte und hat die Stadt eine Leuchtturmfunktion für die gesamte Wartburgregion. Aber es gibt auch Herausforderungen: Angesichts des Strukturwandels in der Automobilindustrie und anderen Entwicklungen ist es wichtig, neue Wirtschaftszweige aufzubauen und Chancen der Digitalisierung nicht verstreichen zu lassen. Insbesondere, wenn der demografische Wandel, den wir derzeit erleben, mit dieser unsicheren wirtschaftlichen Lage zusammentrifft, fehlt es an Perspektiven. Diese will die Stadt Eisenach mit dem neuen Gewebegebiet eröffnen und vor allem digitale Wertschöpfung ermöglichen. Dabei geht die Verwaltung nicht blind vor: Photovoltaikfreiflächenanlagen und Batterieenergiespeicheranlagen sowie darüber hinaus Betriebe der Logistikbranche, Lagerplätze und Einzelhandelsbetriebe sollen von Anfang an bewusst bei der Vermarktung ausgeschlossen werden. Hierfür wäre dieser Standort schlicht verschenkt.

Wer trifft die endgültige Entscheidung darüber, ob das „Blue Future Technologiegebiet“ in Stockhausen umgesetzt wird?

Der Stadtrat entscheidet am 12. November 2025 darüber, ob die Stadtverwaltung einen Bebauungsplan für das „Blue Future Technologiegebiet“ aufstellen und einen städtebaulichen Vertrag mit FAB schließen soll. Dieser Bebauungsplan wird dem Stadtrat während seiner Erarbeitung nochmals mehrfach zur Entscheidung vorgelegt. Erst wenn dieser rechtskräftig ist, hat die Unternehmensgruppe endgültig das Recht, die Fläche zu entwickeln und einen Investor für ein Data Center zu finden.

Bekäme die Stadt einen Ausgleich dafür, wenn sie ein solches Rechenzentrum ermöglicht?

Die Stadt wird Teil des Wachstumsmarktes Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Darüber hinaus hat der Flächen-Entwickler angekündigt, im Fall einer positiven Vermarktung eine Stiftung ins Leben zu rufen. Diese soll über ein Startkapital von drei Millionen Euro verfügen und gezielt soziale Projekte in Eisenach und der gesamten Region unterstützen.

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