Eisenachs Beitrag zum Wendegedenken

Anschauliche Einblicke in den Ost-Alltag vor der Wende

Bereits im Frühjahr wurde im Marstall des Thüringer Museums im Rahmen der städtischen Veranstaltungen zur politischen Wende vor dreißig Jahren mit der Ausstellung „Bersch: Ein Bild ist nicht genug“ diese Umbruchszeit eindrücklich zur Diskussion gestellt. Jetzt konnte mit der Lyrikerin und Dissidentin Gabriele Stötzer (Erfurt) gemeinsam mit dem Weimarer Ensemble für Intuitive Musik, dem auch der Kompositionsprofessor Hans Tutschku (Harvard University) angehört, das Thema im Rokokosaal des Thüringer Museums weiter vertieft werden.

In einer von Kulturamtsleiter Achim Heidenreich moderierten, auch für das Publikum offenen Diskussion mit Gabriele Stötzer und Hans Tutschku wurde schnell deutlich, wie gefährlich es in der DDR war,  als unmittelbare Lebenspraxis dasjenige tatsächlich einzufordern, was gewissermaßen „von oben“ gebetsmühlenartig ideologisch gepredigt wurde. Im Sommer 1976 wurde Stötzer wegen einer Petition gegen die Entlassung eines kritischen Kommilitonen von der Hochschule exmatrikuliert und zur „Bewährung“ in die Produktion geschickt. Im November 1976 beteiligte sie sich mit ihrer Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Bevor sie die Unterschriftenliste von Erfurt nach Berlin bringen konnte, wurde sie von der Staatssicherheit festgenommen und zu einem Jahr Haft im Zuchthaus Hoheneck verurteilt. Dort fasste sie den Entschluss, Schriftstellerin zu werden und sich ganz der Kunst zu widmen – als letztem Rückzugsraum.

Hans Tutschku schilderte die Möglichkeiten eines an Elektronischer Musik interessierten Komponisten in der DDR-Zeit, überhaupt an einen Synthesizer kommen zu können. Es gab in Waren am Müritzsee jemanden, der die Baupläne der Firma Moog besaß und solche kleineren Geräte irgendwie zusammenlöten konnte, so auch für ihn. Die „Szene“ traf sich jährlich in Gera und veranstaltete dort Kurse und Konzerte. Michael von Hintzenstern vom Ensemble für Intuitive Musik erzählte, dass er seinerzeit als Kompositions-Stipendiat in der Schweiz von seinem Stipendiengeld ein solches Gerät sehr günstig auch mitbringen wollte, was nicht erlaubt wurde – natürlich. Das „mit Ost-Bonus“ günstig gekaufte, gebrauchte Instrument ließ er sich letztlich von einem dänischen Freund mit Wohnsitz in Ost-Berlin über West-Berlin mitbringen. Dieser rief ihn am Abend vorher noch an, und sagte, dass er mit dem Synthesizer gut in West-Berlin angekommen sei, ihm aber das Auto samt Inhalt gestohlen wurde. Tags darauf erhielt er die Nachricht, das Auto sei wohl nur für eine Spritztour geklaut worden und stünde mit dem Instrument um die Ecke. Beim Lesen seiner Stasi-Akte stellte von Hintzenstern fest, dass sein dänischer „Freund“ als Stasi-Spitzel auf ihn angesetzt gewesen war.

Im gut einstündigen Konzert im Anschluss an die Diskussion wurde schnell klar, was „Intuitive Musik“ ist und wie sie klingt: Gegliedert durch die Gedichte von Gabriele Stötzer, darunter auch eines „für die Grenzstadt Eisenach“, musizierten Hans Tutschku (Keyboards, Klangregie, Live-Elektronik) Michael von Hintzenstern (Klavier), Mattias von Hintzenstern (Cello) und Daniel Hoffmann (Trompete/Flügelhorn) zunächst meditativ über einem Grundton, der sodann in unzählige Klangstrahlen aufgefächert wurde. Handliche Schlaginstrumente sorgten für eine exotische Untermalung des sich immer weiter aufbäumenden und endlich rauschhaften Geschehens.

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