Fällung der Kastanie am Nikolaitor

Bildquelle: Werbeagentur Frank Bode | www.werbe-bo.de

Die Mitglieder des Eisenacher Stadtrates wurden am Morgen des 27.02.2020 per Mail über die Entscheidung der Oberbürgermeisterin informiert, dass die Rosskastanie am Nikolaitor noch am gleichen Tage gefällt werden wird. Sie begründet dies mit den durch die anstehenden Baumaßnahmen auftretenden Risiken für die Standsicherheit des Baumes in Verbindung mit der aktuellen Starkwindwetterlage. Zudem läge eine ergänzende Einschätzung des Baumgutachters vor, der die Begründung der Oberbürgermeisterin stützt und die Wirtschaftlichkeit der Erhaltung des Baumes bezweifelt.

Bis hierher könnte man den Vorgang verstehen, wenn nicht der Gutachter bereits zweimal in öffentlicher und zuletzt am 19.02.2020 in nichtöffentlicher Sitzung gegenteilige Äußerungen getroffen hätte. Meine wiederholte Nachfrage, ob der Baum in Verbindung mit der Baumaßnahme umzufallen droht, wurde verneint. Es wurde ein Kompromiss gefunden, der vorsah, nach den ersten Bodenmaßnahmen einen Zugversuch durchzuführen, um die Standsicherheit zu prüfen., so Jonny Kraft, Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung, Klima, Verkehr und Sport.

Mit Datum 20.02.2020 wurde ein Ergänzungsgutachten erstellt. Aus diesem geht hervor: „Die Standsicherheit der Rosskastanie ist nach Einbau der Mikrobohrpfähle durch einen Zugversuch zu überprüfen, sie ist jedoch höchst wahrscheinlich nicht gefährdet, da der Verbund des Wurzeltellers der Rosskastanie mit der Kirchenmauer erhalten bleibt und die Wurzeln nördlich bei den Grabungsarbeiten zur Regenwasserfassung kaum beeinträchtigt werden. Bedingt durch das Einwachsen von Kastanienwurzeln in das Mauerwerk und das sehr hohe Gewicht der Kirche besteht ein kraftschlüssiger Verbund, wodurch die Rosskastanie im Vergleich zu natürlichen, freien Standorten deutlich besser verankert ist. […] Die Rosskastanie hat eine stabile Wurzelplatte ausgebildet, der minimale Wurzeltellerradius beträgt 3,03 m. Dieser wird durch die Mikrobohrpfahlwand (ohne Arbeitsbereich) im südlichen Bereich auf einer Kreistangente um ca. 30 cm unterschritten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass dadurch die Standsicherheit der Rosskastanie tatsächlich gefährdet ist. Diese sollte jedoch durch einen Zugversuch in nördlicher Richtung nach Errichtung der Mikrobohrungen überprüft werden. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass in beschädigte Wurzeln (durch die Mikrobohrungen) zukünftig holzzersetzenden Pilze eindringen. Bis diese Pilze jedoch die Stand- und Bruchsicherheit der Rosskastanie beeinträchtigen, werden mindestens 20 Jahre vergehen.“ [Quelle: Gutachten vom 20.02.2020]

Abschließend gibt der Gutachter Empfehlung zum Baumschutz während der Bauarbeiten und zur Bodenverbesserung nach Abschluss der Arbeiten. Mit diesem Wissens- und Planungsstand sollte die Baumaßnahme ausgeschrieben werden. Der Baum hätte eine Chance bekommen und diese wahrscheinlich auch genutzt.

Am Tag der Fällung wurde nun ein weiterer Nachtrag (mit Datum vom Vortag) zum Gutachten präsentiert, der die Erhaltung des Baumes aus rein wirtschaftlichen Aspekten in Frage stellt. Es ist nicht bekannt, wer diesen Nachtrag beauftragt hat. Der oben zitierte Inhalt gilt unverändert. Das Gutachten wurde lediglich um ein Fazit ergänzt.

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„Die Rosskastanie kann die Sanierung der Stützmauer nur dann unbeschadet überstehen, wenn ein extrem hoher Aufwand bei der Sanierung zur Sicherung hinsichtlich Baum- und Wurzelschutz betrieben würde. […] In Anbetracht des Risikos ist der finanzielle und technische Aufwand (IGS schätzt diesen auf 40.000 €) zur Erhaltung der Kastanie wirtschaftlich unsinnig.“ [Quelle: Gutachten vom 26.02.2020]

Auf Basis des Gutachtennachtrags, unter Abwesenheit und im Unwissen des Bürgermeisters Dr. Möller wurde die Fällung angeordnet. Die genannten 40.000 € basieren auf einer Schätzung des Planungsbüros, ohne fachliche Untersetzung oder Aufgliederung der Kosten. Die tatsächlich auftretenden Kosten wären wahrscheinlich um ein Vielfaches geringer, bestand doch der einzige Mehraufwand zunächst in einem Zugversuch und einer handgeschachteten Dachentwässerung. Und selbst wenn Kosten in dieser Höhe aufgetreten wären, hätten sich Mittel- und Wege über Spenden und Förderprogramme finden lassen. Die SPD Fraktion im Eisenacher Stadtrat lehnt die Fällung eines derart stadtbildprägenden und gesunden Großbaumes unter rein wirtschaftlichen Aspekten, auch unter dem Eindruck der gerade stattfindenden Debatte zum Klimawandel, in aller Deutlichkeit ab. Klima- und Umweltschutz muss der Stadt und ihren Bürgern auch etwas wert sein und Niederschlag im Haushalt finden.

Mit der Entscheidung, den Baum am 27.02.2020 zu fällen, wurde die Empfehlung des Ausschusses vom 27.01.2020, sowie zwei Arbeitsrunden unter Teilnahme des Baumgutachters, der Bürgerinitiative und des BUND zur Konsensfindung ignoriert. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits Ende 2019, ebenfalls in Abwesenheit des Bürgermeisters, verwaltungsintern eine Fällgenehmigung für die Kastanie ausgestellt wurde. Dies wurde den Ausschussmitgliedern am 27.01 verschwiegen. Gleichzeitig wurde von Seiten der Verwaltung nicht reagiert, als der Gutachter in seinen mündlichen Aussagen deutlich von den schriftlichen abwich. Unter Annahme einer weiteren Baumaßnahme am Fundament der Kirche war dieser in seinen schriftlichen Ausführungen zu einer anderen Einschätzung gekommen (Gutachten Stand 09.12.2019). Eine Drainage der Kirchenmauern hätte den Baum ausgetrocknet. Diese Baumaßnahme war und ist nicht geplant. Den Ausschussmitgliedern lag das Gutachten zu diesem Zeitpunkt nicht vor.

Es ist zu vermuten, dass der Plan zur Fällung bereits im Dezember 2019 beschlossene Sache war. Hätte der neu gebildete „Bauausschuss“ nicht um einen Sachstandsbericht am 27.01.2020 gebeten, wären die Themen nicht einmal öffentlich besprochen worden. Seit der im Oktober vorgelegten Berichtsvorlage1 herrschte in dieser Angelegenheit Funkstille.

Als Mitglied des Ausschusses für Stadtentwicklung, als Stadtrat aber auch als Bürger fühle ich mich an dieser Stelle, vornehm ausgedrückt, hinter das Licht geführt. Diese Vorgänge sind nicht nachvollziehbar und stellen exemplarisch eines der Kernprobleme unserer Stadt dar. Die Verwaltung spricht nicht mit einer Stimme. Die Stadtspitze arbeitet inhaltlich gegeneinander. Wenn eine Fachabteilung ihren „Willen“ an der einen Stelle nicht bekommt, geht sie zur anderen. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit, und die Glaubwürdigkeit der handelnden Personen ist deutlich gestört., so Jonny Kraft.

Letzten Endes wird alles Diskutieren den Baum nicht zurückbringen. Ziel des Ausschusses war ein Kompromiss. Dieser lautete bezogen auf die Stützmauer: So Bauen, als wäre der Baum nicht da und dem Baum eine Chance geben. An der Umsetzbarkeit herrschten nach mehrmaliger Anhörung des Gutachters und der Lektüre des Gutachtens keine Zweifel. Die durch die Oberbürgermeisterin ins Feld geführten dramatischen Argumente herunterfallender Äste entbehren jeder fachlichen Grundlage. Nach dieser Argumentation würde jeder Baum in der Nähe eines Weges oder Bürgersteigs eine potenzielle Gefahr darstellen und müsste gefällt werden. Aus Sicht der SPD-Fraktion wäre die Kastanie der am besten überwachteste und gepflegteste Eisenacher Baum gewesen, auf den die Stadt und ihre Bürger hätten stolz sein können.

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