Kinder- und Jugendarmut in der Stadt Eisenach: Kinder aus Großfamilien besonders benachteiligt

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Der Eisenacher Lebenslagenbericht 2018 macht deutlich, welche Faktoren zu Kinder- und Jugendarmut führen, wer aus welchen Gründen betroffen ist und welche Schritte in Zukunft notwendig sind, um Armutsrisiken zu verringern und geeignete Hilfsmaßnahmen auszubauen oder neu einzurichten.

Soziale Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen ist ein Phänomen, das im Lebenslagenbericht 2018 erstmals für die Wartburgstadt Eisenach erfasst worden ist. Anhand von Zahlen, Daten und Fakten belegt der Bericht, dass die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen in Eisenach komplex ist.

Es gibt materielle, soziale, gesundheitliche und kulturelle Armut. Diese Faktoren machen die Lebenslage eines Kindes aus und entscheiden über dessen Wohlergehen und über die möglichen, auch mehrfachen Benachteiligungen in Kindheit und Jugend, erklärt Ingo Wachtmeister (Sozialdezernent).

Jugendbefragung ergänzt vorhandene Datenbasis
In sechs Handlungsfeldern, die jeweils eine Lebenslage wiederspiegeln, wurden die Dimensionen sozialer Ausgrenzung in Eisenach untersucht. Dabei wurden aktuell vorliegende Daten berücksichtigt. Zu den Lebenslagen gehören die Aspekte „Familie und Gesundheit“, „Bildung und gesellschaftliche Teilhabe“, „Ökonomische Situation und Arbeitsmarkt“, „Wohnen und soziale Infrastruktur“, „Gesundheit und Prävention“ sowie „Migration und Integration“. In Ergänzung zu vorliegenden Datenquellen sind in die Analysen zusätzlich die Ergebnisse der Anfang 2018 erfolgten Jugendbefragung der Stadtverwaltung eingeflossen. Dabei konnten 1.212 Schülerinnen und Schüler der 5. bis 11. Klassen an allen betreffenden Eisenacher Schulen erreicht werden. Das entspricht einer Rücklaufquote von 46 Prozent. Ziel der Befragung war es zum einen einzuschätzen, ob der Verzicht von bestimmten Gütern oder Aktivitäten in der Freizeit auf spezifische Personengruppen zurückführbar ist. Zum anderen soll ein allgemeiner Überblick über Freizeitverhalten, Interessen und Zufriedenheit mit Freizeitangeboten der Eisenacher Schülerinnen und Schüler gegeben werden. Im Zusammenhang mit der Erstellung des Lebenslagenberichts zu Kinder- und Jugendarmut konnte so die tatsächliche Lebenswelt von Eisenacher Schülerinnen und Schüler abgebildet und Muster struktureller Benachteiligung aufgedeckt werden.

Lokale Strategie zur Armutsprävention – Abbau sozialer Benachteiligungen
Was für ein großer Gewinn der Lebenslagenbericht und die Ergebnisse der Jugendbefragung für die Stadt, die Verwaltung, lokale Akteure und die Politik sind, wird schnell klar. Auf 119 Seiten präsentiert der Lebenslagenbericht Daten zu den Lebensverhältnissen der Eisenacher Kinder und Jugendlichen.

Wir können anhand der Ergebnisse den kommunalen Handlungsrahmen zur Verringerung von Armutslagen sehr viel genauer abstecken und bestimmen, welche Angebote von welchen Zielgruppen benötigt werden, fasst Oberbürgermeisterin Katja Wolf zusammen.

Sie unterstützt den weiteren Weg hin zu einer lokalen Armutspräventionsstrategie, damit die künftige Stadtentwicklung noch gezielter bezüglich des Abbaus sozialer Benachteiligung ausgerichtet werden kann. In Abstimmung mit lokalen Akteuren der Sozial- und Bildungsinfrastruktur werden daher in den kommenden Monaten zu festgelegten Schwerpunkten konkrete Ziele und Umsetzungsmaßnahmen zur Abmilderung von Armutslagen entwickelt.

Aufgrund der Ergebnisse aus den Berichten zählen zu den Schwerpunkten der Armutspräventionsstrategie unter anderem der Abbau von Familienarmut, die gerechte Verteilung von Bildungschancen sowie mehr Nachhaltigkeit in den Präventionsbemühungen. Die zentralen Ergebnisse sowie die erarbeiteten Schwerpunkte sind im berichtsbegleitenden Thesenpapier zum Lebenslagenbericht nachzulesen.

Kinderreiche Familien verzichten auf viele Aktivitäten
Warum unter anderem diese Schwerpunkte wichtig sind, zeigt ein Blick in ausgewählte Beispiele des Lebenslagenberichts.

Tendenziell ist das Armutsrisiko höher, wenn Eltern alleinerziehend sind oder es sich um kinderreiche Familien handelt, erklärt Sozialplanerin Christin Mäder.

Die Ergebnisse der Jugendbefragung zeigen, dass bei kinderreichen Familien, der Verzicht auf bestimmte Aktivitäten ungleich deutlicher wird. So haben beispielsweise 31,5 Prozent der Kinder mit mehrere Geschwistern, noch niemals eine Urlaubsreise mit den Eltern gemacht, 32,4 Prozent der Befragten mit mehreren Geschwistern haben noch nie Freunde nach Hause eingeladen und 37,8 Prozent haben noch nie mit ihrer Familie ein Restaurant besucht.

Die Statistik zeigt, dass Kinder aus Großfamilien am häufigsten von Aktivitäten ausgegrenzt sind – typischerweise solche, die in kleiner Gruppe zusammen mit Freunden ausgeübt werden, so Mäder.

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Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass beim Kauf neuer Kleidung und Schuhe von 18 Schülern, die angaben, diese niemals kaufen zu dürfen, 38,9 Prozent aus Großfamilien stammen. Deutlich erhöht ist bei diesen Kindern zudem die Angabe, niemals Taschengeld zu bekommen (30,4 Prozent).

Bei Kindern mit alleinerziehenden Eltern fällt hingegen der Verzicht auf Vereinsaktivitäten oder der Besuch der Musikschule stärker ins Gewicht, erklärt die Sozialplanerin weiter.

So verzichten Kinder Alleinerziehender zum Beispiel überdurchschnittlich auf den Kauf neuer Bücher oder Zeitschriften (30,6 Prozent) sowie Materialien für den Verein oder das Hobby (22, 3 Prozent).

Phänomen „Arbeitsarmut“
Weiterhin zeigt sich, dass mit Stand 31.12.2017 in Eisenach insgesamt 734 Kinder unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften lebten und Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. 40,1 Prozent in Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einem berufstätigen Elternteil. 21,4 Prozent leben in Haushalten, in denen beide Elternteile arbeitslos sind.

Ein besonders hoher und besonders armutsgefährdeter Anteil von 65,3 Prozent lebt in Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einem langzeitarbeitslosen Elternteil, so Mäder.

Ist der finanzielle Hintergrund in der Familie problematisch, führt es unter anderem dazu, dass Kinder deutlich weniger kommunale Angebote in Anspruch nehmen.

Hinzu kommt, dass sich aufgrund der Erkenntnisse aus der Jugendbefragung für Eisenach vermehrt das Phänomen von „working poor“ (Arbeitsarmut) nachweisen lässt, so Mäder weiter.

Das heißt, es gibt in Eisenach, neben den bekannten Risikogruppen, deutlich erhöhte Verzichterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen mit Eltern die in einem einfachen Angestelltenverhältnis (beispielsweise im Niedriglohnsektor) arbeiten.

Hier handelt es sich um eine Zielgruppe, die in üblichen Hilfesystemen, wie beispielsweise Bildung und Teilhabe, durchs Raster fällt.

Oberbürgermeisterin Katja Wolf erklärte in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, diese Zielgruppe aber dennoch gleichermaßen mitzunehmen.

Informationen zum Lebenslagenbericht:
Der Lebenslagenbericht und die Jugendbefragung sind im Rahmen des Projektes zur „Förderung der Kompetenz lokaler Akteure in der Armutsprävention“ entstanden. Dieses wird gefördert vom Freistaat Thüringen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Der Bericht baut direkt auf dem Sozialmonitor 2016 zur Abbildung der sozialen Lange der Stadt Eisenach auf. Er soll als direkte analytische Vorarbeit zur Erstellung einer lokalen Armutspräventionsstrategie gesehen werden.

Schlaglichter aus dem Lebenslagenbericht:
·  10,4 Prozent der Eisenacher Haushalte bestehen aus drei oder mehr Kindern,
· rund 21,4 Prozent der Eisenacher Kinder unter 18 Jahren leben in einer einkommensschwachen Familie mit mindestens einem arbeitslosen Elternteil,
·  beantragte Leistungen über den Eisenacher Bildungsfonds nehmen zu,
· 12 Prozent der Schüler mit mindestens einem arbeitslosen Elternteil gaben an, dass beengter Wohnraum und fehlender Platz für sich selbst ein großes oder gelegentliches Problem für sie ist,
· 72 Prozent der Kinder, die an der Jugendbefragung teilgenommen haben und mindestens ein Elternteil mit Migrationshintergrund haben, finden kostenlose Angebote wichtig bis sehr wichtig,
· der Verzicht auf Güter fällt bei Kindern mit Migrationshintergrund deutlich stärker ins Gewicht, als bei anderen armutsgefährdeten Gruppen.

Der Lebenslagenbericht sowie alle Ergebnisse aus der Jugendbefragung 2018 sind am 15. Januar den Mitgliedern des Haupt- und Finanzausschusses vorgestellt worden. In der nächsten Woche wird der Bericht den Fachausschüssen präsentiert.

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