Leserbrief: Der Hans im Glück

Bildquelle: Werbeagentur Frank Bode | www.werbe-bo.de

Eisenach und die Gebietsreform

Einem DDR-Witz zufolge rannten eines Tages alle Kaninchen panisch über die Felder bis auf ein kleines, das ängstlich fragte: „Was ist denn los?“ Sie antworteten: „Hau ab, die Staatliche Plankommission ist unterwegs und schneidet allen Kaninchen das fünfte Bein ab.“ Daraufhin das kleine Kaninchen: „Da kann mir ja nichts passieren, ich habe doch nur vier Beine.“ „Ja,“ riefen die anderen, „aber die schneiden erst und zählen dann!“

Dieser Witz kam mir sofort in den Sinn, als ich mich etwas eingehender mit dem aktuellen Fusionsvorhaben Eisenach – Wartburgkreis der rot-rot-grünen Plankommission in Erfurt beschäftigt habe. Nachdem deren Gebietsreform grandios gescheitert ist, soll nun Eisenach das Versuchskaninchen für einen letzten Anlauf abgeben. Mit Verweis auf „Segnungen“ durch noch gar nicht verabschiedete Gesetze (Änderung der Thüringer Kommunalordnung und des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes) sowie Absichtserklärungen (Eisenach als Oberzentrum) will man den Bürgern das Projekt schmackhaft machen. Aber das hatten wir schon einmal, als nämlich die Kreisfreiheit von Eisenach mit derartigen „Wechseln auf die Zukunft“ auf den Weg gebracht wurde. Wechseln, die im weiteren Verlauf allesamt geplatzt sind und dadurch die Stadt in ihre missliche Lage gebracht haben! Will man nun die gleichen Fehler wieder machen?

Was bringt denn das Ganze überhaupt? Einsparungen im Personalsektor? Offenbar Fehlanzeige, denn alle Mitarbeiter von Stadt- und Kreisverwaltung werden zu gleichen Bedingungen weiterbeschäftigt, ggf. nur mit anderem Arbeitsort. Einsparung für die Stadt Eisenach (= Mehrbelastung für den Kreis): 8 Mio €/Jahr (OB Wolf in der Bürgerversammlung am 1.11.2018). Wie steht es mit den Sozialausgaben der Stadt, die immerhin, so OB Wolf, 60% des kommunalen Haushalts von Eisenach ausmachen? 6 Mio. €/Jahr werden vom Kreis übernommen (OB Wolf). Damit würde Eisenach bei diesen Posten zwar 14 Mio. € pro Jahr sparen, hätte aber spätestens nach Auslaufen der Zuwendungen aus Erfurt an den Kreis im Jahr 2024 pro Jahr mindestens 15 Mio. € an Kreisumlage zu entrichten (vorausgesetzt, diese muss nicht erhöht werden, was allerdings kaum jemand als realistisch ansieht)! Summa summarum: Der Kreis macht allein auf diesem Sektor eine Million Euro gut, die Stadt verliert eine weitere Million, die ausgeglichen werden muss (neben 10 Mio. €, die in den letzten Jahren jeweils an Schulden eingefahren wurden). Und dann muss noch pro Jahr eine sogenannte freie Spitze i. H. v. 1,5 Mio. € übrigbleiben, die für Investitionen genutzt werden soll. Wird das nicht geschafft, so gibt es einen Beirat auf Landesebene, der z. B. zu beurteilen hat, ob dafür die Stadt die Schuld trägt oder nicht. Im Fall, dass die Stadt nicht verantwortlich ist, soll der Freistaat für Ausgleich sorgen. Auch hier ist noch keine Rechtssicherheit vorhanden und viele Kommunen äußern bereits jetzt massive Bedenken gegen ein solches Procedere. Was, wenn sie gerichtlich dagegen vorgehen und obsiegen? Ausserdem erhebt sich die Frage, nach welchen Kriterien festgelegt wird, wann die Stadt verantwortlich ist und wann nicht. Was, wenn das Gremium feststellt, die Stadt sei verantwortlich? Dann müssen durch den Beirat Vorschläge unterbreitet werden, wie Abhilfe zu schaffen ist. Müssen wir dann damit rechnen, dass das Theater dicht gemacht wird und dass Sportstätten zu schliessen sind? Welche Verbindlichkeit haben die Vorschläge dieses Beirats und wer entscheidet darüber?

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Zusammengenommen ergibt sich für mich, dass wir es hier mit einem mit sehr heisser Nadel zusammengestückelten Flickenteppich zu tun haben, bei welchem einzig die zukünftigen Pflichten der Stadt klar geregelt sind. Wen wundert’s, dass der Kreis so spitz auf die Rückkreiseng Eisenachs ist? Man verliert nichts und gewinnt eine Menge dazu. Und Eisenach steht wieder einmal da wie der Hans im Glück.

Wenn man ernsthaft ein künftiges Zusammengehen von Stadt und Kreis betreiben will, so muss das auf Augenhöhe und in der richtigen Reihenfolge geschehen: Zu allererst sind vom Land sämtliche gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit man weiss, worauf man sich einlässt und Rechtssicherheit hat. Zweitens müssen klare Einspareffekte für alle Seiten erkennbar sein, denn ansonsten handelt es sich lediglich um ein mehr oder weniger geschicktes Umleiten von Finanzströmen, bei welchem Eisenach mit hoher Wahrscheinlichkeit der Verlierer sein wird und von dem die Bürger gar nichts haben. Im Gegenteil, Verwaltungsbürokratien werden zum Nachteil von bürgernaher Politik und bürgerlichem Engagement massiv gestärkt.

Da im Augenblick der Begriff „Gerechtigkeit“ in aller Munde ist – sogar die öffentlich-rechtlichen Sender veranstalten dazu eine Themenwoche – muss die Frage erlaubt sein, ob es gerecht ist, wenn 60% des Haushaltes einer Stadt für Soziales aufzuwenden ist, wo doch der landesweite Durchschnitt nach meiner Kenntnis bei weniger als 30% liegt? Wäre es nicht vielmehr gerecht, wenn das Land hier für einen wirksamen Ausgleich sorgt? Dann wäre das ganze Gezerre um eine Rückkreisung der Stadt, bei welchem sie und ihre Bürger wie ein armer Bittsteller dastehen, mit einem Schlag überflüssig!

Eisenach, den 12. 11. 2018
Prof. Dr. Jürgen Stückrad

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