Die große, grandiose Einsamkeit

Johann Gottfried Seume war kleine 1.55 Meter groß, vom Leben leidgeplagt und Dichter. Nach vielen Schicksalsschlägen löste er sich im Jahre 1801 von allen Abhängigkeiten und Korsettierungen seiner zumeist bürokratisch, militärischen Verpflichtungen, um sich, wie er sagte, «das Zwerchfell auseinanderzuwandeln“, um frei atmen zu können. Das bedeutete, Seume würde in den kommenden 260 Tagen rund 6000 Kilometer quer durch Europa per pedes streifen, mit dem Ziel vom heimatlichen Grimma nach Syrakus zu wandern, und retour. Der Literatur bescherte dies den ewigen, wenn auch heutzutage arg vergessenen Wanderklassiker «Spaziergang nach Syrakus», der Seume schlagartig bekannt machte. Der Fotografie bescherte es nunmehr in unseren Tagen, dass sich der Stuttgarter Fotograf Fridhelm Volk von der «spannenden und aussagekräftigen Lektüre, auch und gerade für heutige Verhältnisse» getrieben fühlte, Seumes Spuren aufzusuchen, «um den leidenschaftlichen Fußgänger zu würdigen». Bei seiner Fotoreise von 1986 bis 1988 spürte Volk, gewiesen von Seumes Kommentaren und Eindrucksbeschreibungen, Orte, Landschaften und Landstreifen, entsprechend der jahreszeitlichen Begebenheiten, wie sie zu Seumes Zeiten herrschen mussten, um durch «des Dichters Auge» zu sehen. Fotografiert hatte Volk 2000 Bilder, etwa 40 Fotografien sind derzeit in der Galerie Kneise ausgestellt. Volks Bilder strotzten vor schlichter Ästhetik, in Schwarzweißtönen gehalten, dezent und durchdringend. Melancholie vermischt sich mit Endlichkeit, Bäume des Waldes wechseln zu Städten, diese zu Dörfern und diese wiederum zur großen, grandiosen Einsamkeit. Denn alles Laute, alles Heutige, alles Moderne verbannte Volk aus den Motiven, um «näher am Thema» zu sein, «so wie Seume es gesehen haben könnte». Was Seume allerdings auch sah, was ihn als zu republikanisch, radikal und respektlos scheinbar klassifizierte, waren die sozialen Missstände, die in einer unaufhaltsamen Permanenz während seiner Reise sich ihm aufdrängten. Dies veranlasste ihn zur Gesellschafts-, vor allem aber zur Obrigkeitskritik. Dass die natürlich, auch damals nicht gern gehört war, blieb nicht aus. Unter der deutschen, gehobeneren Schicht war Seume verschrieen, im Volk dagegen geschätzt, als politischer Plauderer von Wahrheiten, ungeschönt, subjektiv und insbesondere ironisch. Dass diese ehrliche Radikalität nicht in Volks Bildern anklingt, mag Seume schmälern, denn Gelegenheiten hätte es sicher auch Ende der 90ziger Jahre zuhauf gegeben. Nichtsdestotrotz verführt Volk visuell, hoffentlich den ein oder anderen zu Seume. So wie Achim Baier sein Publikum zur Einführung während der Vernissage wissend und beflissen für Seume verführte. Fridhelm Volk wurde 1942 in Königsberg geboren, ist seit 1965 selbständiger Fotodesigner mit den Schwerpunkten Werbung, Mode, Reportage. Volk ist berufenes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Fridhelm Volk spürte die Spuren Seumes auf, jenen für damalige Zeiten großen Globetrotterliteraten.

Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 18 Uhr bis zum 16.10. im Hause Bohl geöffnet.