Dornröschen von Tomasz Kajdanski

Am 20. Mai hat das Tanztheater in Eisenach eine weitere Premiere. 19.30 Uhr geht der Vorhang zu «Dornröschen – Ein Tanztheatertraum» auf.
Tomasz Kajdanski war der Choreograf, die Musik ist von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky.

Gepräch mit Tomasz Kajdanski:

Tschaikowskys DORNRÖSCHEN gilt als einer der anspruchvollsten Stoffe der traditionellen Ballettliteratur. Was bedeutet das Stück für Sie?

Tomasz Kajdanski: Ich habe als Tänzer das Stück selber getanzt und kenne es sehr genau. Damals zur Uraufführung 1890 bedeutete es den Höhepunkt der russischen Ballettschule, die bis heute als das eigentliche Klassische Ballett gilt. Tschaikowsky hatte die einfache Geschichte mit einer perfekt zu dieser Tanzform passenden Musik versehen, und der Choreograf Marius Petipa, damals der bedeutendste seiner Zunft, hat eine Choreografie geschaffen, die bis heute als gültig betrachtet wird und bei traditionellen Inszenierungen zum Beispiel in London oder Paris aufgeführt wird.

Ein Traditionsstück par excellence. Wie kamen Sie auf den Stoff?

Tomasz Kajdanski: Ich hatte mich in der Vorbereitung zu dieser Spielzeit mit dem Leben Tschaikowskys beschäftigt und ein biografisches Tanztheater über sein Leben als erste Produktion der Spielzeit herausgebracht. Aus dieser Arbeit ist der Wunsch hervorgegangen, auch eines seiner Werke auf die Bühne zu bringen, und wir haben uns für DORNRÖSCHEN entschieden. Der Stoff selber ist uralt und wurde schon im Mittelalter das erste Mal bearbeitet.
Man findet eine Version in jeder Epoche, sei es mit renaissancehafter Moral oder im Barock mit deutlich sinnlichen Attributen. Tschaikowsky bezieht sich auf die Fassung des Franzosen Charles Perrault, der 1697 das erste französische Märchenbuch herausgegeben hatte. Die Brüder Grimm haben es mit der jugendfreien Züchtigkeit des deutschen Biedermeiers bearbeitet und den Inbegriff eines romantischen Märchens geschaffen. Allen gemein sind zentrale menschliche Gefühle wie Freude, Angst, Sorge, Liebe, Hoffnung und vieles mehr. Die konzentrierte Abbildung von Leben und Psyche sind, glaube ich, das Geheimnis des Märchens.

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Ist eine psychologische Interpretation dabei herausgekommen?

Tomasz Kajdanski: Alle Wege, die wir verfolgt hatten – zum Beispiel die Verlegung in ein Großstadt-Drogenmilieu oder in eine verkrampfte großbürgerliche Familie, sei es der 50er Jahre oder der Jahrhundertwende – hielten eigenartigerweise der Musik nicht stand. Tschaikowsky wollte, glaube ich, keine freudianische Märchendeutung. In anderen Werken verwendet er durchaus psychologische Elemente, aber nicht in DORNRÖSCHEN. Das Werk war zu seiner Zeit ein Ausstattungsstück, das Tänzern die Gelegenheit gab, ihre virtuosen Fähigkeiten zu zeigen. Es sollte nicht die tiefsten seelischen Prozesse des Menschen beschreiben, sondern durch Tanz das Märchen erzählen, für Kinder wie für Erwachsene verständlich.

Wie ist die Umsetzung in Eisenach?

Tomasz Kajdanski: Unsere Rahmenhandlung ist die eines Regisseurs, der einen Film über DORNRÖSCHEN machen will. Er sucht eine Hauptdarstellerin und dreht mit ihr seine Fantasie, seinen Tanztheater-Traum. Seine Assistentin ist neidisch auf die Darstellerin des Dornröschens, da sie selber die Rolle haben wollte und bringt das Projekt in Gefahr. Der Regisseur verliebt sich in die Hauptdarstellerin und die Geschichte des Dornröschens vermischt sich mit der Wirklichkeit. Ich möchte den Traum, das «Märchen» eines heutigen Teenagers zeigen, der entdeckt wird, eine Blitzkarriere macht, wie es im Fernsehen zurzeit öfters zu beobachten ist, und mit der Gefahr lebt, dass alles so schnell vorbei ist, wie es gekommen ist. Mein Dornröschen wird über Nacht zum Star, bekommt die besten Kostüme, spielt in der besten Dekoration, hat die besten Partner; all das, was eine 15-Jährige sich heute erträumt. Und sie verliert den Kontakt zur Realität. Die Filmwelt ist da eine Umgebung, die für uns die «Traumwelt» darstellt, eben eine Märchenwelt, mit all ihren Höhen und Tiefen. So stellen wir die Opulenz des historischen DORNRÖSCHENS in ein Filmstudio und zeigen Theater im Theater. Für bestimmte Szenen verwende ich die historische Choreografie von Petipa, mache so eine Reverenz an das Vorbild, aber kommentiere es auch zum Teil ironisch. Das alles aus einem heutigen Blickwinkel mit der Frage: Wie stellt man heute einen Stoff und eine Form von 1890 dar?

Heißt das, dass man wieder Spitzentanz auf der Bühne sehen wird, etwas, was im heutigen Tanztheater ja eher selten ist?

Tomasz Kajdanski: Man sieht Spitzentanz und modernes Tanztheater. Ich versuche die historische Form und meine ganz persönliche zeitgenössische Tanzsprache zu verbinden und so den Brückenschlag in die Vergangenheit zu schaffen, und das mit Leichtigkeit und Humor, wie die Musik es meiner Auffassung nach verlangt. Wenn Kinder und Erwachsene es gleichermaßen verstehen könnten und ihre Freude daran hätten, würde ich mich glücklich schätzen. Das möchte ich erreichen.