100 Tage im Amt

Präsident Lutz Koscielsky zieht erstes Resümee und schaut voraus

Am 6. März 2022 ist Bäckermeister Lutz Koscielsky 100 Tage im Amt des Präsidenten der Handwerkskammer Südthüringen. Am 27. November 2021 wurde er von der Vollversammlung, dem obersten Gremium des Südthüringer Handwerks, einstimmig in dieses Amt gewählt.

Sie haben vor nunmehr 100 Tagen das Präsidentenamt der Handwerkskammer Südthüringen angetreten. Wie blicken Sie auf diese Tage zurück?
Koscielsky: Mit einem guten Gefühl, denn ich habe aus den doch schon zahlreichen Terminen und Kontakten die Gewissheit entnehmen können, dass die Handwerkskammer Südthüringen mit dem Bildungscampus BTZ Rohr-Kloster gut aufgestellt und zeitgemäß ausgerichtet ist. Der Arbeitsstil im Haus, im Kammerbezirk mit den Innungen und Kreishandwerkerschaften, aber auch auf Landesebene mit den Kammern in Erfurt und Ostthüringen sowie den Fachverbänden ist dabei von gemeinsamer Verantwortung getragen.

Sie strahlen sehr viel Ruhe und Optimismus im Ehrenamt aus. Worauf ist dieser zurück zu führen?
Koscielsky: Als Unternehmer muss man von Berufswegen Optimist sein und Ruhe bewahren. So möchte ich das auch als Präsident einer starken Handwerksorganisation im Süden Thüringens halten. Darüber hinaus ist mein Arbeitsgrundsatz vom Miteinander aller Akteure und Organisationen geprägt. Das erwarten in erster Linie unsere 6.600 Mitglieder. Ruhe, Optimismus und Visionen brauche ich vor allem bei den Zusammenkünften mit dem Vorstand und in der Vollversammlung sowie eine gute und konstruktive Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung.

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Eine starke Lobbyarbeit in Erfurt und Berlin für das Südthüringer Handwerk braucht Rückhalt in der Organisation. Wie sehen Sie den derzeitigen Stand?
Koscielsky: Über 24 Monate Pandemie gehen am Handwerk nicht spurlos vorüber. In dieser Zeit hat sich gezeigt, wie gut das Handwerk vernetzt ist und dass es eine funktionierende Organisation mit der entsprechenden Infrastruktur hat. Ich habe das sichere Gefühl, dass wir zum einen als Gesamtorganisation unter Leitung des ZDH-Präsidenten Hans Peter Wollseifer eine gute Mannschaft in Berlin haben, die die Interessen des Handwerks überzeugend darstellen und vermitteln kann. Der intensive Austausch überregionaler und regionaler Handwerksorganisationen, hier auch der Handwerkskammer Südthüringen, mit der Politik zeigt Ergebnisse. Unsere sachlichen Impulse und konkreten Vorschläge finden in Erfurt und Berlin immer mehr Gehör.

Der Fachkräftemangel gestaltet sich zu einem großen Problem für die Mitgliedsbetriebe in Südthüringen. Wie sehen Sie das?
Koscielsky: Mittlerweile fehlen in fast allen Handwerken Fachkräfte. Es gibt einen Riesenbedarf, der nicht allein mit hiesigen Azubis und Mitarbeitern gedeckt werden kann. Der demografische Wandel zeigt: Wir brauchen ausländischen Fachkräfte-Nachwuchs. Mit dem Vietnamprojekt haben wir, die HWK und die IHK Südthüringen, 2016 gemeinsam angefangen und bis jetzt mehr als 150 vietnamesische Jugendliche in eine Ausbildung in Südthüringen integriert – da bleiben wir am Ball. Für die Zukunft wird es neben der intensiven Nachwuchswerbung in unserer Region auch eine gemeinsame Aufgabe sein, in Drittstaaten Fachkräfte zu gewinnen und bei Bedarf zu qualifizieren und zu integrieren. Die Zuwanderung von Fachkräften bringt eine wirkliche Entlastung, wird aber die bestehende Lücke nicht vollständig schließen.

Wie steht es um die Unternehmensnachfolge im Handwerk?
Koscielsky: Nicht gut. Eine aktuelle Studie des Instituts für Markforschung (IfM) hat herausgefunden, dass bis 2026 in Deutschland 190.000 Unternehmen eine Nachfolgelösung benötigen. Allein in Südthüringen werden in den nächsten Jahren über 2.000 Handwerksunternehmen betroffen sein. Dabei ist absehbar, dass viele kleine Handwerksbetriebe nicht mehr am Markt gehalten werden können. Aber die Übernahme eines Betriebes und das Gründen gehören zur DNA des Handwerks. Es braucht einen neuen Denkansatz: Selbstständigkeit muss langfristig wieder attraktiv gestaltet und in der Gesellschaft mit mehr Wertschätzung versehen werden. Schon in der Schule kann mit einem Unterrichtsfach Wirtschaft/Unternehmertum mehr Verständnis für wirtschaftliche Abläufe geweckt und Einblick in die Unternehmenswelt gegeben werden. Von der Politik fordere ich Rahmenbedingungen, die unbürokratisch und auf die Bedarfe der Wirtschaft fokussiert sind. Unternehmertum muss wieder wertschätzend und attraktiv gestaltet werden, dann müssen wir uns um Nachfolge und Existenzgründer auch keine Sorgen machen.

Die Energie-, Gas-, Benzin- und Materialpreise steigen ins Unermessliche. Ist das auch eine Konsequenz aus der Energiewende?
Koscielsky: Ich denke schon. Damit können wir die Energiewende aber nicht in Frage stellen. Dennoch sollten wir mit Augenmaß und Ehrlichkeit vorgehen. Natürlich möchten wir auch in Zukunft eine bezahlbare Energie. Wir haben teilweise Mitgliedsbetriebe, die sehr viel Energie benötigen: Galvaniseure, Metallbaubetriebe, Bäckereien. Auch die müssen ihre Produkte weiterhin verkaufen und ihre Mitarbeiter beschäftigen können. Das geht nur, wenn Energie bezahlbar bleibt. Wenn zusätzlich zu einem derzeit hohen Marktpreis noch Steuern und Umlagen die Energiekosten nach oben treiben, muss der Staat reagieren und nicht erst 2023 mit der Senkung der EEG-Umlage kommen. Wenn jetzt die hohen Energiekosten die Unternehmen extrem belasten, muss jetzt sofort seitens der Politik reagiert werden.

Was erhoffen Sie sich für die Zukunft des Südthüringer Handwerks, Herr Präsident?
Koscielsky: Dass in unserer Gesellschaft, in jedem einzelnen Menschen das Verständnis dafür wächst, dass Qualität immer noch von Können kommt. Und dafür brauchen wir im Handwerk eine grundsolide Ausbildung, Qualifikation und auch in Zukunft den Handwerksmeister. Ansonsten mache ich mir um das Handwerk keine Sorgen. Nachhaltigkeit, Energie, Gesundheit, Infrastruktur und Mobilität sind die Märkte von morgen – überall dort ist das Südthüringer Handwerk vorn mit dabei und das wird auch so bleiben, da bin ich optimistisch. Um all das zu gewährleisten braucht das Handwerk stabile Rahmenbedingungen und ein stabiles Umfeld. In Anbetracht der aktuellen Situation fordere ich jetzt von der Politik Entlastungsmechanismen. Zu allererst: Eine kurzfristige Halbierung der Mehrwertsteuer für Energie-, Gas- und Benzinpreise, denn das schafft Entlastung für die Wirtschaft und den Verbraucher und somit auch für eine gesamtgesellschaftliche Entspannung bei den explodierenden Kosten.

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