Besuch aus dem russischen Uglitsch

Iwan Skrebow, geboren am 16.6.1911 in Gorildowa bei Uglitsch, gestorben am 27.6.1943 in Herleshausen, begraben im Grab Nr. 481 in der 25. Reihe auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof, war einer der 1593 Gefangenen, die zwischen 1942 und 1945 in Herleshausen verstorben sind.

Am Samstag, 29. April 2006, konnte Bürgermeister Helmut Schmidt die Enkelin Nadjeschda Drygina und den Urenkel Igor Choroschulin dieses ehemaligen Kriegsgefangenen in Herleshausen begrüßen und sie zu seinem Grab führen. Die beiden kamen in Begleitung einer Dolmetscherin, eines Freundes von Igor und der Beauftragten des Partnerschaftskomitees der Stadt Idstein, Wilma Bergmann. Die Stadt Idstein/Ts. pflegt seit 1995 eine Partnerschaft mit Uglitsch, einer ca. 37000 Einwohner zählenden Stadt am Oberlauf der Wolga, ca. 200 km nördlich von Moskau. Jährlich wird Uglitsch von einer Schülergruppe aus Idstein besucht, verbunden mit einem Abstecher nach St. Petersburg, und ebenso kommen einmal im Jahr Schülerinnen und Schüler von der Wolga für acht bis elf Tage in den Taunus.

Dieses Mal ist die 50-jährige Nadjeschda Drygina als stellv. Direktorin des Pädagogischen College Uschinskj eine der Aufsichtspersonen der russischen Schülergruppe, zu denen auch ihr 16-jähriger Neffe zählt. Sie nutzten diese Gelegenheit für einen Abstecher nach Herleshausen, denn vor etwa zehn Jahren bekam die Familie die Nachricht, dass sich das Grab von Iwan Skrebow in Herleshausen befindet. Er galt seit 1941 als vermisst. Nadjeschda Drygina beschrieb ihren Großvater als einfachen Bauern, der in Russland umgeben von Wiesen und Wäldern lebte. So war sie angetan davon, dass er seine letzte Ruhestätte auch auf einer Wiese direkt am Waldrand hat.

Sie schmückte sein Grab mit bunten Kunstblumen, so bunt wie die Blumen auf den heimischen Wiesen. Anschließend entnahm ihr Neffe etwas Erde, die sie zu Hause auf das Grab der Ehefrau bringen wollen, «damit sich die Seelen wieder vereinen können.» Das Leinensäckchen, in das sie die Erde gaben, war eines der vielen, die im letzten Jahr von Schülern der Herleshäuser Südringgauschule angefertigt wurden, um Graberde nach Wolgograd zu bringen. Enkelin und Urenkel hatten russische Erde mitgebracht und verteilten diese an der Grabplatte. Der Zufall wollte es, dass vor der Bronzetafel, auf der Iwan Skrebows Name steht, nicht nur die dunkle russische Erde die deutsche bedeckt, sondern auch ein modriges russisches Eichenblatt neben einem deutschen liegt.

Nadjeschda (dieser Name bedeutet Hoffnung) war beeindruckt von dem Friedhof, der einzigartig in der Bundesrepublik Deutschland ist, da nur der damalige Bürgermeister Karl Fehr sich dem Naziregime widersetzte und die verstorbenen Gefangenen aus dem nahe gelegenen Lager ins Sterberegister eintrug und ordnungsgemäß begraben ließ. Sie dankte Bürgermeister Helmut Schmidt, der sich den Vormittag für sie Zeit genommen hatte und ihnen noch den Ort des Gefangenenlagers und auf Wunsch auch einige Reste der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlang der Werra (was im russischen «Glauben» bedeutet) zeigte.

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Vielleicht werden in Zukunft solche Besuche von Angehörigen auf der sowjetischen Kriegsgräberstätte in Herleshausen noch seltener, umso eindrücklicher bleiben sie aber in Erinnerung. Im Dezember 1986 stand Iman Zeinalov am Grab seines Vaters Dadash und kratzte aus dem hart gefrorenen Boden etwas Erde, um seinen Vater «nach Hause zu holen,» zu seiner Mutter, die kurz darauf starb.
Es ist ein großes und verpflichtendes Vermächtnis, das der Altbürgermeister Karl Fehr in Form des sowjetischen Soldatenfriedhofs hinterließ: Sich unrechtmäßigen Anordnungen zu widersetzen und dem eigenen Gewissen zu gehorchen. So tat er es, als er vom damaligen Lagerarzt hartnäckig Totenscheine verlangte und die Verstorbenen in nächtlichen geheimen Aktionen registrierte und einen eigenen Friedhof für sie anlegen ließ. Die beeindruckenden Besuche der Angehörigen weisen nochmals auf die Würde des Menschen hin, auch über den Tod hinaus.

«Großvater, es tut mir so leid, dass ich Dich erst heute besuchen kann …» und Nadjeschda erzählte ihm in stiller Zwiesprache von zu Hause, von ihrer Babuschka, die bis zu ihrem Tod gehofft hatte, dass er wieder zu ihr zurückkommen würde, von ihrem Vater, dem einzigen Sohn Iwans, der jetzt nach einem Schlaganfall zu Hause gepflegt werden muss und darauf wartet, was sie ihm von Herleshausen erzählen und auf vielen Bildern zeigen kann. Und sie wird berichten, dass Iwan Skrebow mit seinem Namen und den Namen aller verstorbenen Kameraden die Besucher des Friedhofes, darunter auch Jugendliche und viele Teilnehmer internationaler Jugendgruppen (die vom Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach Herleshausen eingeladen werden), ermahnen wird, nie wieder Krieg auf dieser Welt zuzulassen.

«Do swidanja» … auf ein Wiedersehen in Herleshausen … oder auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Uglitsch!

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