Hans-Joachim Ursinus ist noch immer ständig auf Achse

Langjähriger Eisenacher Trainer feiert seinen 75. Geburtstag

Einen Termin mit Handball-Trainer-Legende Hans-Joachim Ursinus zu bekommen ist schwierig. Als Geschäftsführer der Firma „U & I Transfer Sports Management“ ist er ständig auf Achse, im In- und Ausland. Kaum zu glauben, dieser vitale und vor Energie strotzende Mann begeht in dieser Woche, am Dienstag, 21. Januar 2020, seinen 75. Geburtstag. Und wo ist er an seinem Ehrentag? Bei der Handball-EM!

Motor Eisenach war Hans-Joachim Ursinus und Hans-Joachim Ursinus war Motor Eisenach, fand der anerkannte Sportjournalist Axel Eger eine treffende Formulierung.

Hans-Joachim Ursinus prägte über viele Jahre den Männerhandball in Eisenach, wirkte in zwei unterschiedlichen Epochen und mit unterschiedlicher Länge als Trainer. Vom September 1974 bis April 1992 war er Cheftrainer der Erstliga-Handballer der BSG Motor Eisenach und des nach der Wiedervereinigung gegründeten ThSV Eisenach. Motor Eisenach lehrte in der DDR-Zeit als BSG-Mannschaft den ungeliebten Sportclubs das Fürchten, insbesondere bei den Heimspielen in der Jahnsporthalle, am Ausweichort Erfurt (Beethovenhalle) und dann in der neu erbauten Sporthalle Katzenaue (heute Werner-Aßmann-Halle). 
In der Jahnsporthalle wurde der wenige Tage zuvor auf Europapokal-Ebene erfolgreiche SC Magdeburg von einer entfesselt auftrumpfenden Motor-Mannschaft mit 9 Toren Differenz bezwungen! Mit Hans-Joachim Ursinus am Ruder schaffte Motor Eisenach mehrfach den Einzug in die Endrunde um den FDGB-Pokal und qualifizierte sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands für die zweigleisige 1. Handballbundesliga. Der Diplom-Sportlehrer und A-Lizenz-Inhaber kehrte im November 2006, als das ThSV-Schiff in Richtung Regionalliga abzudriften drohte, noch einmal auf die Bank des Handball-Zweitbundesligisten zurück und schaffte mit seiner Crew den Ligaverbleib. Im November 2008 ereilte Hans-Joachim Ursinus der für Handball-Eisenach typische Herbstfluch, endete seine zweite Amtsperiode.

Der in Meißen geborene Handballenthusiast war von 1963 bis 1974 in Leipzig aktiv, Europapokalsieger mit dem Team der DHfK, bevor er unter die Wartburg wechselte. Er war neben seiner Eisenacher Zeit Trainer des VfL Günzburg (1992/93), von MT Melsungen (1993/94), zwischen 1994 und 2002 mehrfach Cheftrainer Handball der SG Werratal 92, vom Juli 2002 bis Frühjahr 2006 Cheftrainer beim Nord-Zweitbundesligisten HSG Niestetal/Staufenberg. Nach seinem zweiten Engagement in Eisenach fungierte er als Coach bei Regionalligist HSV Bad Blankenburg (bis zum Frühjahr 2009).

Wir sprachen mit dem Jubilar Hans-Joachim Ursinus:
Andere Menschen Ihres Alters haben sich schon längst zur Ruhe gesetzt, Sie sind ständig auf Achse?
Durch unsere Firma „U & I Transfer Sports Management“ schaue ich mir viele Handballspiele von der mittleren Leistungsebene bis zum Spitzensport live vor Ort an, Thüringenliga, Mitteldeutsche Oberliga, Spiele im hessischen Raum, aber auch in der 1, Bundesliga, wobei hier meine Ex-Vereine SC DHfK Leipzig und MT Melsungen den Schwerpunkt bilden. Natürlich bin ich auch bei meinem Verein direkt vor der Haustür, beim ThSV Eisenach. Kontaktpflege inklusive das Knüpfen neuer Kontakte sind angesagt. Ich bin aber auch im Ausland unterwegs, beispielsweise in Veszprem und in Prag. Aktuell verfolge ich die EM-Hauptrunde live vor Ort in Wien, auch um über die Trends im Handball aktuell informiert zu bleiben. Das alles gibt mir auch das Gefühl, noch voll dabei zu sein, nicht mehr auf der Trainerbank, aber dennoch voll im Geschehen. Meine lange Zeit als Spieler und Trainer kommt mir natürlich zugute. Wir verfügen über eine große Datenbank von Handballspielern im männlichen und weiblichen Bereich, Wir bekommen permanent persönliche Anfragen von Vereinen und Spielern. Ich schätze die Qualität der Spieler schon mal per Video ein, ordne sie einer möglichen Spielklasse zu. Auf der mittleren Ebene müssen die sportliche Qualität, der Beruf, Sprache und erforderliche Anträge (auch Arbeitsvermittlung) zusammengefasst werden. Wir betreuen die Spieler auch noch zwei Jahre nach ihrer Vermittlung, sind der Ansprechpartner in Deutschland. Wir veranstalten Handballcamps im Nachwuchsbereich (6 bis 18 Jahre), organisieren Sportevents, wie ein Rasenturnier für jeweils 15 Männer- und 15 Frauenteams. Ich bin also tatsächlich täglich auf Achse und voll gefordert.

Ein Leben für den Handballsport. Was ist Positives, was Negatives haften geblieben?
Ein Leben ohne Sport kann ich mir nicht vorstellen. Insbesondere der Handballsport hat eine rasante Entwicklung genommen. Er ist eine echte Herausforderung für Spieler, Trainer und begeistert die Zuschauer. Meine berufliche Entwicklung, die mit 23 Jahren als Hochschullehrer an der Sporthochschule in Leipzig begann, sich mit 29 Jahren in der 1. Liga als Trainer fortsetzte und mich nun über Jahrzehnte bekleidet, im Kurzfazit: eine tolle Zeit. Negatives? Jeder Abschnitt hatte Sonnen- und Schattenseiten, aber das zeichnet das Leben aus und macht stark. Hinfallen, aufstehen und weiterkämpfen, das hat mich geprägt.

Wer prägte Ihre ganz persönliche Entwicklung? Wer waren Ihre unmittelbaren Weggefährten in all den Jahren?
Zuerst ganz klar mein Vater. Er hat mir die Liebe, den Ehrgeiz und den Enthusiasmus für den Handballsport vermittelt und meine Mutter hat alles begleitet, was manchmal auch nicht ganz einfach war.
Als Leistungssportler beim europäischen Spitzenverein SC DHfK Leipzig prägte mich Paul Tiedemann, damals einer der weltbesten Handballer, als erster 100 Länderspiele absolvierend, zunächst als Mitspieler, danach als mein Club- und Auswahltrainer. Später Eisenachs Handball-Legende Trainer Werner Aßmann, der mich als Spieler in die Wartburgstadt holte. Während meiner Zeit bei Motor Eisenach mein langjähriger Weggefährte als Mitspieler, Mannschaftskapitän und Co-Trainer Rainer Osmann; mit ihm als Partner verband mich von1974 an über fast zwei Jahrzehnte eine erfolgreiche Zusammenarbeit und Freundschaft.
Als ich zum ThSV Eisenach zurückkehrte, im November 2006, der Verein am Abgrund des Leistungshandballs stand und der Fortbestand auf allen Ebenen abgesichert werden musste, half mir mein ehemaliger Mannschaftskapitän Detlef Henkel als Co-Trainer in vielfältiger Weise. Diesen Wegefährten bin ich besonders dankbar.Auch meine Erfahrungen, die ich extern bei den Bundesligamannschaften in Günzburg, Melsungen und Kassel gesammelt habe, möchte ich nicht missen. Dort habe ich meine persönliche Komfortzone verlassen müssen und konnte mich unter teilweise schwierigen Bedingungen durchsetzen. Viele Spielerpersönlichkeiten aus aller Welt bleiben mir aus dieser Zeit in guter Erinnerung.

An welchen ihrer Schützlinge erinnern Sie sich besonders gern, an welche etwas weniger?
An erster Stelle und für immer in meinem Gedächtnis bleiben die Sportler mit einem echten Handballherzen in der Brust. Das waren ganz klar fast alle Spieler und Betreuer, die das Trikot der ehemaligen BSG Motor Eisenach trugen. Einsatzstark, begeisterungsfähig, Leute zum Anfassen, nicht immer einfach in der Auseinandersetzung, aber echte emotionale Kerle! Hier Namen zu nennen, würde bedeuten andere Nichtgenannte unberechtigt zurückzusetzen.
Weniger gern erinnere ich mich an linke Typen, Egoisten, Weicheier und Schönlinge, die versuchen, im bezahlten Handball ihre Füße in die Tür zu stellen. Bei einer schwachen Vereinsführung können diese Typen viel Macht ausüben. Der Trainer ist dann der erste Angeklagte; «angeschissen» ist aber der ganze Verein, deren Fans, Sponsoren und nicht zuletzt die Verantwortlichen, die oft zu zögerlich reagieren und das Spiel mitmachen…

Zwei Mal Trainer in Eisenach, mit dem Comeback im November 2006 und dem jähen Ende im November 2008. Wie bewerten Sie mit Abstand die beiden Amtsperioden in Eisenach?
Der erste Abschnitt, das waren 18 Jahre, nahezu 900 Spiele auf der Eisenacher Bank. Dass ich dabei nur eine Handvoll der Spiele gefehlt habe, ist das größte Geschenk, was ich als Trainer bekommen konnte. Sportlich gesehen, dieser ungleiche, oft unfaire Wettbewerb gegenüber den Sportclubs, mit den vielfachen Höhepunkten beste BSG-Mannschaft, Teilnahmen an der Pokalendrunde und bekleidet von der fanatischen Handballbegeisterung des Eisenacher Publikums, egal in welcher Halle wir auch spielten. Wir schwammen zusammen gegen den Strom und das machten wir Eisenacher sehr gut!
Auch die zweite Amtsperiode, die nach vielen Vorurteilen zustande kam, habe ich insgesamt in positiver Erinnerung. Ich bin sehr dankbar, dass sich für mich noch einmal ein Traum erfüllte und ich dem Eisenacher Handball mit meinen Mitstreitern helfen konnte. Dieser Abschnitt hat mir viel Freude bereitet. Der Abschluss war nicht schön. Es tat weh, eine Sache nicht zu vollenden, aber auch in einer Träne kann sich die Sonne spiegeln.

Nochmals zu „Motor Eisenach war Achim Ursinus und Achim Ursinus war Motor Eisenach“…
Das war ja nicht nur der Trainerjob für die erste Mannschaft, ich war ja auch verantwortlich für die Jugendoberliga (1. Liga im Nachwuchs), die 2. Männermannschaft (in der 2. Liga) und alle anderen Mannschaften der Sektion Handball der BSG Motor Eisenach. Es war ein Arbeiten unter schwierigen Bedingungen, zu denen auch der organisatorische Bereich gehörte (heute Management), aber ist hat dennoch Riesenspaß gemacht. Ein Job, der mein ganzes Herzblut für den Eisenacher Handball abverlangte, das ich aber gern gegeben habe! Es musste immer was besorgt werden, angefangen bei der Diesel-Marke für den Bus. Frische und auch mutige Ideen waren gefragt. Aus der Gärtnerei haben wir uns Baumwachs besorgt, bis wir über Kontakte an schwedischen „Klister“ herankamen. Eine ganz besondere Genugtuung, an Pokalendrunden teilzunehmen, mit zur DDR-Spitze zu gehören. Ein Highlight, als einziger BSG-Trainer
zu Trainersitzungen des Handballverbandes der DDR eingeladen zu werden.

Sie gehören dem neu gebildeten Ehrenrat des ThSV Eisenach an. Wo wollen Sie sich speziell einbringen?
Wenn ich gefragt werde stehe ich beratend zur Seite. Wenn Hilfe gebraucht wird, als Repräsentant, als Markenbotschaften des ThSV Eisenach mit Sponsoren und Partnern zusammenzuarbeiten, werde ich dabei sein.

Der ThSV Eisenach hat den Betriebsunfall 3. Liga repariert, ist zurück auf der Bundesligakarte, spielt wieder in der 2. Liga…?
Nach der Saison 2017/2018 musste der ThSV Eisenach in seiner langen Vereinsgeschichte erstmals in die 3. Liga absteigen. Der neuen Vereinsführung um Shpetim Alaj und Peter Krauß sowie Manager Rene Witte ist es gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen. Sie stellten sich mit Erfolg einer wahren Herkulesaufgabe! Dank ihnen und ihren Mitstreitern ist es gelungen, Leistungshandball in Eisenach wieder anzukurbeln. Die zweite Handballbundesliga hat eine ganz andere Qualität als die 3. Liga. Erfolge sind hier wesentlich schwerer zu erreichen. Nach 4 Siegen in 4 aufeinanderfolgenden Heimspielen setzten bei einigen unrealistische Träume ein. Zuletzt mussten 4 Niederlagen hingenommen werden. Die Wahrheit liegt also irgendwo in der Mitte. Der erste Teil der Saison ist für den Wiederaufsteiger als positiv einzustufen. Herausragend, auch in der Zahl, die Unterstützung durch die Zuschauer. Kritisch sehe ich das Abwehrspiel, insbesondere im Innenblock. Da fehlt die Beinarbeit, die eine ganz große Rolle spielt. Es wird zu viel „mit langen Armen“ gearbeitet, das bei konsequenten Schiedsrichtern die Gefahr von Zeitstrafen erhöht. Für den bald beginnenden zweiten Teil der Punktspielsaison wünsche ich mir mehr Einsatzzeiten für die deutschen Spieler, die auch ihre Qualitäten haben.

Motor Eisenach trug viele Jahre in der kleinen Jahnsporthalle, einem ehemaligen Pferdestall der kasernierten Volkspolizei, seine Heimspiele aus. Dort wird noch immer Handball gespielt. Zum Duschen geht es in Container vor der Tür, und das im Jahr 2020…?
Meines Wissens hat sich der Zustand der sanitären Anlagen seit den 70er Jahren kaum verändert. Ich kann mich noch an unser Naserümpfen erinnern, wenn wir bei Regen oder Hochwasser in der Kloake des nahegelegenen Mühlgaben im Duschraum standen. Unzumutbare Zustände für die Eisenacher Mannschaften, oberpeinlich gegenüber den Gastmannschaften. Aktuell geht es ja nicht nur um die Jahnsporthalle, deren Zustand ich mit Tränen in den Augen sehe, es geht insgesamt um die Situation der Sportstätten in Eisenach und speziell umeine zukunftsträchtige Heimstätte für den ThSV Eisenach. Es ist kein klares Konzept der Verantwortungsträger der Stadt Eisenach zu erkennen. Was die so dringend benötigte neue Spielstätte für den ThSV Eisenach betrifft, muss ich langsam den Glauben verlieren, dass ich diese noch bei bester Gesundheit besuchen kann.

Sie sprachen es selbst an, der Handball hat sich mächtig verändert?
Da ist zum einen die Konstitution der Spieler zu nennen. Bis 1990 waren 2-Meter-Männer im Rückraum die Ausnahme, heute sind sie die Regel. Dadurch verändern sich die Möglichkeiten, die Weitwurfgefährlichkeit aus dem Rückraum. Die Spieler haben sich aber nicht nur in der Körpergröße verändert, sie verfügen auch über eine entsprechende Athletik, sind beweglich, haben koordinative Fähigkeiten, um das Gardemaß umzusetzen. Die Spieler sind ingesamt wesentlich athletischer geworden. In vielen Teams wird großer Wert auf Tempospiel gesetzt, wird die erste und zweite Welle, die schnelle Mitte forciert. Die körperlich großen Spieler erhöhen die Varianten im Defensivverhalten, speziell im Innenblock. Nicht immer zugunsten des Handballs, auch die Problematik Zeitspiel mit Anzeigen der Schiedsrichter für noch sechs Pässe, was meines Erachtens eigentlich konträr der Zeitspielregel ist. Was hat den Handballsport noch verändert? Natürlich der 7. Feldspieler. Da sind Strafminuten bei eigenem Ballbesitz zu kaschieren, es ist aber auch ein „Russisch Roulett“, trifft der Gegner ins leere Tor. Der 7. Feldspieler ist ein interessanter Aspekt, muss aber auch entsprechend umgesetzt werden.

Ein Wort zu Ihren in der 1. Handballbundesliga spielenden Ex-Vereinen SC DHfK Leipzig und MT Melsungen, wie sehen Sie die dortige Entwicklung?
Die Entwicklung bei der MT Melsungen sehe ich kritisch. Glanzvolle Spiele, wie das Pokalspiel gegen die Füchse Berlin, wechseln sich mit peinlich, wie gegen Leipzig, ab. Kurzum, für den Anspruch und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ist der Ertrag zu gering.
Beim SC DHfK Leipzig sehe ich viele Hochs und viele Tiefen. Ich verfolge ja nahzu alle Heimspiele live in der Arena Leipzig. In der Heimspielstätte gab es viele unnötige knappe Niederlagen, aber auch auswärts setzte es zu viele Punktverluste bei Teams aus dem Tabellenkeller. Irritationen auf der Trainerbank haben den Verein in den letzten zwei Jahren vor schwere Herausforderungen gestellt, Manager Karsten Günther konnte aber alles wieder „ins rechte Lot bringen“.

Wie verleben Sie den Tag Ihres 75. Geburtstages?
An meinem 60. Geburtstag war ich bei der WM in Tunesien, an meinem 73. war ich bei einer EM und nun verbringe ich meinen 75. bei den Spielen der Hauptrunde der aktuellen EM in Wien. Es ist also ansonsten ein ganz normaler Tag wie jeder andere. Eine „Ein-Mann-Feier in Wien“…

Rückblickend auf 75 Jahre, was würden Sie anders machen?
Nichts. Ich bin insgesamt zufrieden.

Danke für das ausführliche Interview und herzliche Gratulation, sicherlich im Namen des gesamten ThSV Eisenach und aller Handballfreunde in Thüringen – und wohl auch darüber hinaus – zu Ihrem Ehrentag, verbunden mit den besten Wünschen, vor allem für Gesundheit.

Th. Levknecht

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