Zum Tod des ehemaligen Eisenacher Stadtgasts Günter Bersch

„Mit meinen Bildern erhebe ich nicht den Anspruch auf eine umfassende Dokumentation des städtischen Alltags und seiner Bürger. Es ging mir um einige visuelle Bemerkungen über die vielseitigen und verschiedenartigen Aspekte des Lebens; und es ging mir um die Frage: Eisenach nach der Jahrtausendwende – was ist das für eine Stadt?“

„Bei allem Streben nach objektiver Darstellung, ist alles was ich sage, schreibe und fotografiere subjektiv, sehr subjektiv sogar, subjektiv in der Auswahl von Menschen und Ereignissen, von Zeit und Raum, von meinem Wissen, von meinen Vorurteilen. Trotzdem bemühe ich mich immer um die ganze Wahrheit, weniger wird es sowieso.‘

Diese Sätze formulierte Günter Bersch 2002 als Resümee seiner mehrmonatigen Arbeit als erster Eisenacher Stadtfotograf. Er notierte sie im noch immer lesens- und schauenswerten Katalog „Soviel Heimat“, der die Ergebnisse seines Aufenthalts als Stadtgast dokumentiert. Günter Bersch war einer, der es ernst meinte in der Sache Fotografie. So gesehen stehen die eingangs zitierten Sätze nicht nur für eine künstlerische Momentaufnahme in Eisenach, sondern sind das Credo eines Lebenswerkes, in welchem Eisenach lediglich eine Station gewesen ist, bestenfalls eine erwähnenswerte.
Aber Eisenach muss dankbar sein für diesen Stadtgast, diesen Menschen und Künstler, der durch seine Sicht auf die Welt, die damit verbundene Arbeit und Courage Spuren hinterließ im Mikrokosmos Eisenach. Günter Bersch, der Skeptiker und Einzelgänger, hinterlässt 100 Bilder im Thüringer Museum in Eisenach. Eben diese 100 Motive filterte er aus Tausenden heraus, welche auf seinen intensiven Streifzügen durch seine zeitweilige Heimat Eisenach entstanden.
Obgleich Günter Bersch als Eisenacher Stadtgast am Anfang mehr Zurückweisung als Bestätigung erfuhr, wurde er nicht zum Handlanger unserer patriotischen Psyche, die zu suggerieren versucht, dass Kunst die Moral bestärken und der Heimat schmeicheln soll. Im Gegenteil, er blieb dem fest verhaftet, was er einmal die „Glaubenssätze eines Fotografen“ nannte. Die Poesie des gewöhnlichen Alltags eindringlich wahrzunehmen – diesem harten künstlerischen, weil einsamen Tun setzte er sich auch am Fuße der Wartburg mit der ihm eigenen Konsequenz aus.
Der großartige Filmemacher Wim Wenders weilte kurze Zeit nach Bersch in Eisenach. Er war auf der Suche nach Dokumenten für einen gerade entstehenden Film und fand Unerwartetes und Erstaunenswertes. Er sprach auch über Fotografie. In seinem Reise- und Fototagebuch „Einmal“ finden sich folgende Worte: „Photographieren (besser Photographieren-Dürfen) ist, zu schön um wahr zu sein‘. Genauso gut ist es aber auch zu wahr, um schön zu sein. Jedes Photographieren ist immer auch ein Akt der Anmaßung und des Aufbegehrens. Photographieren lehrt daher sehr schnell Maßlosigkeit und soviel seltener Bescheidenheit. (Deshalb findet man auch die ,Einstellung‘: Angeberei soviel öfter als die, Einstellung‘: Demut.)“
Günter Bersch war gewiss ein demütiger Fotograf, und im Falle Eisenach schenkte er dieser Stadt „Soviel Heimat“.
Johannes Heisig, der zweite Eisenacher Stadtgast und dem Fotografen Günter Bersch seelenverwandt, sah in dem Freund und Künstlerkollegen „einen selten gewordenen Souveränen, der keinen Blick an Trends und Technologiewunder verschwendete“.
In der Mitte der letzten Woche erlag Günter Bersch in Berlin einer Krankheit. Nicht nur in Eisenach bleibt er unvergessen.

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