35 Jahre Mauerfall: Zehn Ereignisse der friedlichen Revolution in Eisenach

Die friedliche Revolution, die das Ende der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) einleitete, jährt sich in diesen Tagen zum 35. Mal. Historische Bilder zeigen meist den Fall der Berliner Mauer: Feiernde Menschen aus Ost und West liegen sich vor dem Brandenburger Tor in den Armen. Doch auch Eisenach war von den Geschehnissen dieses denkwürdigen Herbstes regelrecht mitgerissen worden. „Freiheit, Zusammenhalt und Offenheit sind keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Errungenschaft. Daran sollten wir uns 35 Jahre nach dem Fall der Mauer erinnern. Dieses historische Ereignis verdeutlicht uns, wie stark der Wille zur Freiheit und Einheit ist. Durch ihre Grenznähe erlebte unsere Heimatstadt im Herbst 1989 hautnah den Wandel mit. Auch hier bei uns stritten Bürgerrechtler – und bei Weitem nicht nur diese! – für mehr politische Mitbestimmung, bessere und vor allem gerechtere Bildungschancen sowie Meinungs- und Reisefreiheit“, sagt Oberbürgermeister Christoph Ihling.

Das Stadtarchiv Eisenach zeichnet zehn wichtige lokale Ereignisse der Wendezeit nach:

  • 10. September 1989: Brief aus Weimar Von kaum zu unterschätzender Bedeutung für die politische Entwicklung im Herbst 1989 ist der sogenannte „Brief aus Weimar“. Vier CDU-Mitglieder aus Thüringen, die allesamt bei der Kirche arbeiteten, hatten ihn verfasst und an eben jenem Tag an den CDU-Hauptvorstand sowie alle Bezirks- und Kreisvorstände ihrer Partei versandt. Unter den Unterzeichnern war auch der Eisenacher Oberkirchenrat Martin Kirchner.
  • 15.-19. September 1989: Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR Das Eisenacher Haus Hainstein war Tagungsort des wichtigen Treffens evangelischer Kirchenvertreter der DDR. Die reguläre Tagesordnung rückte angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Dynamik komplett in den Hintergrund. Stattdessen übten die Kirchenleute deutlich Kritik am Reformunwillen der damaligen Regierung und ermutigten die Bürger ausdrücklich, ihrem Protest durch gewaltfreie Demonstrationen zum Ausdruck zu bringen. Höchster Repräsentant dieses Kirchenbundes war der damalige Thüringer Landesbischof Werner Leich. Er wirkte maßgeblich in Eisenach, da die Stadt bis ins Jahr 2009 Sitz der Thüringer Landeskirche war.
  • 7. Oktober 1989: 40. Jahrestag der Gründung der DDR Oberflächlich betrachtet beging die Stadt Eisenach diesen Festtag mit betonter Normalität: Ein Herbstfest wurde auf dem Marktplatz gefeiert, das Wartburg-Ensemble spielte und in der Wandelhalle gab es Blasmusik und ein Kinderprogramm. Das Pionierhaus lud zum Pionierfest mit Bastelstraße ein. Weitere Angebote zogen sich durch die Stadt. Die eigentliche Festveranstaltung fand bereits am Vorabend, dem 6. Oktober 1989, statt: Die SED-Kreisleitung, der Rat des Kreises und der Kreisausschuss der Nationalen Front hatten ins Landestheater eingeladen. Doch unter der Oberfläche brodelte es.
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  • 10. Oktober 1989: Demokratischer Aufbruch und Neues Forum stellen sich vor Etwa 500 Menschen versammelten sich in der Paul-Gerhard-Kirche, doch nur etwa 300 fanden darin Platz. Die restlichen blieben draußen vor der Kirche stehen. Zwei oppositionelle Bewegungen – der Demokratische Aufbruch und das Neue Forum – stellten sich vor. Informelle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) hörten mit und berichteten alles brühwarm ihren Vorgesetzten.
Motiv Kirche: Friedensgebet in der Georgenkirche im Verlauf der friedlichen Revolution 1989/1990 (Laut Datenbank datiert auf November 1989; möglicherweise aber auch der Gottesdienst vom 23. Oktober 1989) © Stadtarchiv Eisenach/ Lutz Mittelbach
  • 23. Oktober 1989: Das erste Friedensgebet Nur 13 Tage später waren es bereits mehrere tausend Menschen, die zum ersten Friedensgebet in die Georgenkirche strömten. Auch hier fanden längst nicht alle der etwa 5000 Teilnehmer Platz. Die Menschen in der Kirche mussten sogar ermahnt werden, ihre Zustimmung nicht durch Trampeln mit den Füßen zum Ausdruck zu bringen – die Statik der Kirche hätte dies nicht ausgehalten. Damit auch die Menschen draußen auf dem Marktplatz etwas von den Inhalten mitbekommen, kletterte Landesbischof Werner Leich persönlich auf den Marktplatzbrunnen, um zur Menge zu sprechen.
  • 25. Oktober 1989: Gründung des Neuen Forums in Eisenach Die Oppositionsbewegung Neues Forum war bereits am 9. September 1989 östlich von Berlin gegründet worden. Doch schnell fanden sich in Eisenach erste Sympathisanten. Immerhin 800 Menschen kamen zusammen, als sich der Eisenacher Ableger gründete. Um die friedliche Revolution voranzutreiben, wurden Schriften verteilt und Arbeitsgruppen gebildet.
  • 26. Oktober 1989: Gründung des Demokratischen Aufbruchs in Eisenach Einen Tag später zog der Demokratische Aufbruch mit der Gründung einer Ortsgruppe nach. Die Anfänge dieser Bewegung reichen in den August 1989, als sich in Dresden erste Initiativen zusammentaten.
  • 28. Oktober 1989: Erste demokratische Aussprache zwischen Bürgern und Stadt Einen Versuch, der offenkundigen Unzufriedenheit der Bürger zu begegnen, stellte eine kurzfristig anberaumte Aussprache zwischen Bürgern und Stadtverwaltung dar. Der Rat der Stadt Eisenach lud hierfür ins Institut für Lehrerbildung am Predigerplatz ein. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Bürgermeister Joachim Klapczynski und Stadtbaudirektor Johannes Jaschinski thematisierten den von vielen Eisenachern kritisierten Verfall der Innenstadt. Auch weitere Forderungen wurden angehört und der Bürgermeister schlug vor, solche Aussprachen zu verschiedenen Themen regelmäßig abzuhalten.
  • 1.-4. November 1989: Dialogabende und Bürgerversammlungen Bereits am 1., 2. und 4. November folgten weitere Veranstaltungen unterschiedlicher Akteure. Innerhalb weniger Tage war ein demokratischer Prozess in Gang gekommen, den sich viele Eisenacher nicht hätten träumen lassen. Die Probleme der Innenstadtbebauung, die Manipulation der Kommunalwahlen, die Zukunft des Sommergewinns und weitere Themen wurden offensiv diskutiert. Dabei waren Vertreter der Staatsorgane, der Parteien und etablierten Massenorganisationen genauso vertreten wie basisdemokratische Gruppen.
Motiv Plakat vor dem Rathaus: Demonstration in Eisenach im Verlauf der friedlichen Revolution am 19.11.1989, zu der die Kulturschaffenden der Stadt unter Leitung des Landestheaters aufgerufen hatten. © Stadtarchiv Eisenach/ Lutz Mittelbach

Gänzlich überrascht wurden die Menschen schließlich von der Grenzöffnung, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 zunächst zögerlich umgesetzt wurde, bevor ein wahrer Ansturm losbrach. Als Grenzstadt erlebte Eisenach dies alles unmittelbar mit: Bereits gegen 2 Uhr nachts standen die ersten Autos vor dem Schlagbaum von Wartha. In den frühen Morgenstunden des 10. November füllte sich die Autobahn zusehends. Es wird berichtet, dass die Abfertigung am Grenzübergang Wartha/Herleshausen nur schleppend vorankam. Wartezeiten von zwei bis vier Stunden wurden jedoch in Kauf genommen, um den Westen zu besuchen. Einen Höhepunkt erlebte die Region, als sich der Verkehr auf der Autobahn am 11. November bis nach Gotha staute. Auch viele Eisenacher wagten einen ersten Ausflug in die neue Freiheit und besuchten beispielsweise die bis dahin vielen unbekannt gebliebene Partnerstadt Marburg.

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