Offener Brief an den Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport

Sehr geehrter Herr Minister, lieber Helmut Holter,
Sie selbst haben das Abitur in der ehemaligen DDR und anschließend ein Studium an der Bauingenieurhochschule in Moskau absolviert; beides bekannt für eine solide naturwissenschaftliche Grundausbildung. Die unsägliche „Besondere Leistungsfeststellung – BLF“ in der 10. Klasse an unseren Gymnasien schaffen Sie nicht wieder ab, obgleich deren Sinnhaftigkeit auch beim Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) offen in Frage gestellt wird. Hier hört man, dass sie die Entscheidung über die Abschaffung der BLF der nächsten Landesregierung überlassen wollen, weil die Entscheidung „unpopulär“ erscheint. Jetzt wird aber kurz vor Ende der Legislatur ein Verordnungsentwurf zur „Vereinheitlichung der Organisation sowie der Unterrichtsgestaltung in der Sekundarstufe I und II“ (Stand 29.06.2023) bekannt, der eine massive Kürzung im Bereich der klassischen Naturwissenschaften vorsieht, was viele Lehrer kopfschüttelnd zurücklässt. Diese Überarbeitung der sogenannten Stundentafel sieht vor, dass eines der klassischen naturwissenschaftlichen Fächer (Bio, Ch, Ph/As) bereits in der 10. Klasse abgewählt werden muss. Zudem soll das Fach Astronomie praktisch komplett wegfallen.

Es scheint der Landesregierung, insbesondere den Verfassern dieses Entwurfes in Ihrem Ministerium, entfallen zu sein, dass unser Land genau diesen klassischen naturwissenschaftlichen Fächern seinen Wohlstand verdient. Deutsche Physiker und Chemiker waren weltweit führend, und sind es teilweise noch heute (oft verlassen sie nur die Heimat, weil die politischen Randbedingungen hier nicht mehr stimmen). Ein Land ohne bedeutende geologische Ressourcen muss in der Bildung weltweit führend sein, um seinen Lebensstandard zu halten. Die wertschöpfende Industrie und das Handwerk brauchen dringend solide ausgebildeten Nachwuchs mit einen Grundverständnis an Naturwissenschaften und Mathematik; junge Menschen die logisch denken und Faktenwissen in komplexen Zusammenhängen verbinden können, um Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit zu erhalten. Genau diese Methodenkompetenzen vermitteln wir unseren Schülern an den Gymnasien in den Fächern Chemie, Physik und Biologie.

Beim aktuellen Lehrermangel, gegen den die Landesregierung leider viel zu wenig tut, als diesen in Sonntagsreden anzuprangern, wird diese neue Stundentafel, sollte sie Wirklichkeit werden, dazu führen, dass Schulen die extremen Mangelfächer Chemie und Physik gleich gar nicht mehr anbieten. Die Zusammenlegung von Astronomie und Physik kommt einer kompletten Streichung des Faches Astronomie gleich, da der Lehrplan in Physik schon so kaum geschafft wird, weil die schlechten Randbedingungen an unseren Schulen zu außerordentlich viel Unterrichtausfall führen.
Einer Landesregierung, die an der Bildung der zukünftigen Generationen derart kürzt, anstatt in die Bildung unserer jungen Menschen zu investieren, scheint die Zukunft unserer jungen Menschen egal zu sein. Als (durch das Vertrauen der Wähler) gewählte Volksvertreter ist es aber ihre Aufgabe optimale Bedingungen zu schaffen, damit sich Thüringen in eine erfolgreiche Zukunft entwickeln kann. Investitionen in die Bildung sind der Schlüssel zum Erfolg, Kürzungen in Zeiten von bereits extremem Mangel dagegen sägen an dem bereits dünnen Ast, auf dem wir sitzen. Als sogenannter Seiteneinsteiger, der weltweit „herumgekommen“ ist (insbesondere für die Vereinten Nationen viele Länder dieser Erde bereist hat), an Universitäten als auch in der Industrie tätig war, und aktuell als Chemie- und Physik-Fachlehrer an einem Gymnasium in Eisenach tätig, bitte ich Sie dringend diese Kürzungen zu überdenken. Sie verbauen unseren Kindern ihre Zukunft und Schwächen den Industriestandort Deutschland. Die Länder in Asien stärken die naturwissenschaftliche Bildung ihrer Kinder, weil sie aus der Geschichte der deutschen Industrie gelernt haben. Zur gleichen Zeit geben wir im ehemaligen Vorzeigeland unseren Kindern geringere Chancen auf ein erfolgreiches Berufsleben und Schwächen die wertschöpfende Industrie. Gerade einem Minister müsste klar sein, dass man sich Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz leisten können muss und die grün-ideologischen Wolkenschlösser den Magen nicht füllen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Kronenberg
Diplom-Chemiker

„Darum soll Schule nicht abschließen, sie soll den Hunger wecken und dann die Schüler im Vertrauen auf ihre Kraft und Entwicklung ins Leben entlassen.“     

(Wilhelm Ostwald, 1908)
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