Der kometenhafte Aufstieg des ThSV Eisenach

„System Kaufmann“ führt Wartburgstädter vom Kellerkind zur Bronzemedaille • Dennoch schwingt das Wort Demut mit

Von einer „sensationellen Saison nach einem Fehlstart und anschließendem Trainerwechsel“ spricht Shpetim Alaj, der gerade wiedergewählte Vereinspräsident des ThSV Eisenach. Der personelle Umbruch im Vorjahr habe sich letztendlich ausgezahlt, so der sportliche Leiter Maik Nowak. „Das System Kaufmann“, von der Mannschaft rasch verinnerlicht, sei die Grundlage des Erfolgs gewesen.

Die Bilanz von zunächst 2:10 auf 45:19 Punkten und am Saisonende mit insgesamt 47:29 auf Platz 3 in dieser starken 2. Bundesliga spricht Bände. Alles deutet darauf hin, dass wir mit dem personellen Umbruch zu Saisonbeginn, und insbesondere mit dem Trainerwechsel im Oktober deutlich mehr richtig als falsch gemacht haben. Die Mannschaft, der Trainer, die medinische Abteilung, der gesamte Staff dürfen stolz auf das Erreichte sein, konstatierte Maik Nowak. Wir werden unseren Weg konsequent mit gezielten systemorientierten Neuzugängen und einer nochmaligen Verjüngung der Mannschaft weiter gehen, richtet der ehemalige DHB-Auswahltrainer den Blick nach vorn. Viele Faktoren waren entscheidend: die Mentalität, die Lernwilligkeit, Arbeitsmoral, die Gruppendynamik, die Entwicklung in der Abwehr, Taktik und Flexibilität, blickt ThSV-Coach Misha Kaufmann auf eine Saison, die – wie bei allen anderen Kontrahenten – über weite Strecken von der Corona-Pandemie beeinflusst wurde.

Rückschläge blieben nicht aus, wie die Heimniederlagen gegen die Fast-Absteiger Bayer Dormagen (21:23) und TV Großwalstadt (21:29).

Dass unsere personellen Veränderungen binnen kurzer Zeit sich so auszahlten, damit war nicht zu rechnen. Wir alle sind sehr stolz auf unsere Mannschaft, die nun in der Sommerpause ist. In der nächsten Saison wollen wir wieder angreifen, so Manager Rene Witte.

Bei Präsident Shpetim Alaj und allen Verantwortlichen des ThSV Eisenach schwingt bei aller Euphorie das Wort „Demut“ mit. Man wisse, wo man herkomme. Und in dieser so extrem ausgeglichenen 2. Liga sei höchste Vorsicht geboten. Das warnende Beispiel: Der EHV Aue schloss die Saison 2020/2021 auf Platz 5 ab, stieg nach der gerade beendeten Spielzeit in die 3. Liga ab. Und der TuS Ferndorf muss trotz 30 (!) Pluspunkten in den sauren (Abstiegs-) Apfel beißen.

Deckungsumstellung als Schlüssel zum Erfolg

Atemberaubend, formuliert Linkshänder Alexander Saul die Entwicklung in der Rückrunde treffend.

Seine eigene Formkurve zeigte auch nach oben.

Wir haben jeden Stein umgedreht, so Misha Kaufmann, der die Thüringer nach seiner Amtsübernahme Mitte Oktober aus dem Tabellenkeller nach oben führte.

Ganz entscheidend, die Deckungsumstellung auf ein 5:1-System. Hier glänzte der 22-jährige Fynn Hangstein als Spitze, im Angriff als der Top-Torjäger der Liga (277 Treffer). Der 21-jährige Jannis Schneibel schlüpfte in die Rolle des Spielgestalters. Kapitän Peter Walz überzeugte als der große Kämpfer in der Abwehr und an der Kreismitte. Daniel Dicker mauserte sich zum Abwehrchef. Ivan Snajder (links) sowie Ante Tokic und Willy Weyhrauch (rechts) überzeugten auf den Flügeln. Der 22-jährige Keeper Johannes Jepsen, noch mit Schwankungen, war zumeist ein Rückhalt im Tor. Mit einer Fangquote von knapp 28 Prozent hat er noch Luft nach oben. Mit der Halbjahres-Verpflichtung Fran Lucin bildete er ab Januar das Torhüterduo. Die Keeper Blaz Voncina (zum VfL Lübeck-Schwartau) und Thomas Eichberger (zum UHK Krems) hatten sich schon in oder nach der Hinrunde verabschiedet.

Lasst Zahlen sprechen
Manchmal sagen Zahlen viel. Maik Nowak lieferte den Beweis. Die Zahl der Gegentore sei von 28,5 in der ersten Saisonphase über 26,7 auf 23,7 in der Schlussphase gesunken.

Wir haben mit unserer Deckungsarbeit die sportlichen Gegner zu Fehlern gezwungen, so Maik Nowak.

Die Zahl der eigenen Technik- und Regelfehler habe sich von 15 auf 7 reduziert.

Emotionaler Trainer Misha Kaufmann in der Saisonabschluss-Pressekonferenz
Mit emotional vorgetragenen Dankes-Worten begann Eisenachs Coach Misha Kaufmann sein Resümee zur Saison-Abschluss-Pressekonferenz.

Ich danke der Stadt Eisenach, in der ich mich schnell integriert und verliebt habe. Ich danke den Hallenmeistern um Mario Lorenz für ihre stetige Hilfe. Ich fühle mich geehrt, hier Trainer sein zu dürfen. Maik Nowak und Rene Witte haben an mich geglaubt. Ich danke unserem gesamten Team und unseren Fans für Gänsehaut-Atmosphäre.

Jeder habe Anteil am Erfolg. Und dann stockte die Sprache, als es ganz privat wurde und um Fassung rang, er seiner Familie in der Schweiz mit Frau und Kindern, Mutter und Schwiegermutter danke, die ihm die Kraft für die Aufgabe in Eisenach geben.

Manager Rene Witte: Wir leben von der Hand in den Mund.
Auf zwei Einnahme-Stränge verwies Manager Rene Witte. Beide, Sponsoren und Zuschauer, hätten erheblich unter der Corona-Pandemie gelitten. Geisterspiele oder Partien mit der Zulassung nur weniger Zuschauer, hätten die eine Einnahmeseite erheblich reduziert. Viele Teile der Wirtschaft einschließlich Fachkräftemangel hätten gelitten.

Der Lockdown war richtig, um uns Menschen zu schützen, erklärte Rene Witte rückblickend.

Ohne die Hilfen von Bund und vom Land sei das wirtschaftliche Überleben des ThSV Eisenach nicht möglich gewesen. Besonderer Dank gelte der Thüringer Landesregierung mit Minister Helmut Holter sowie dem örtlichen Landtagsabgeordneten Raymond Walk, der beharrlich nachgehakt habe.

Wir leben von der Hand in den Mund, betonte Rene Witte.

Das gehe den anderen Handballbundesligisten ähnlich.

Die Etats belaufen sich aktuell auf dem Niveau von 2016/2017, erklärte Rene Witte.

Er und sein Mitarbeiterteam sind täglich auf Achse. Er musste – wie seine Kollegen bei den anderen Vereinen – erkennen, nach zwei Jahren Corona strömen die Zuschauer nicht wieder automatisch in die Handballhallen. Über 1.700 Zuschauer zum Saisonausklang im Thüringer Handballtempel lassen hoffen. Der Dauerkartenverkauf für die nächste Saison läuft am 12. Juli an. Die Dauerkarten- Inhaber der letzten 3 (!) Jahre werden angeschrieben, haben ein Vorkaufsrecht. Ein Rabatt von 3 Spielen wird bei einer verbindlichen Bestellung bis zum 17. Juli 2022 gewährt. Alle Bestellungen ab dem 18. Juli 2022 erhalten einen Rabatt von 2 Spielen auf die Dauerkarte.

Sportliche Erfolge wecken Begehrlichkeiten.
Zur Person Fynn Hangstein (22 Jahre), dem Top-Torjäger der Liga, klingele mehrfach das Telefon.

Fynn freut sich, bei uns zu sein, hat alle Anfragen abgelehnt, informierte Rene Witte. Wir werden alles tun, um Fynn Hangstein, länger zu behalten, ließ Rene Witte wissen.

Spielgestalter Jannis Schneibel, in wenigen Tagen das 22. Lebensjahr vollendend, hatte kürzlich seinen Vertrag um 4 Jahre verlängert.

Wir profitieren von unserem Scouting, setzen auf junge talentierte Spieler, die unter einem guten Trainer besser werden. Diese Spieler sollen Richtung 1. Liga wachsen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam erleben und ausfüllen, die Geschichte in Eisenach fortschreiben, erklärt Maik Nowak. Wir wollen hierbei Werte vermitteln, betont Misha Kaufmann.

Er selbst lebt diese Werte vor! Der Schweizer und seine Schützlinge befinden sich derzeit im wohlverdienten Urlaub.

Bisher 5 Abgänge und 6 Zugänge
Das neuformierte Team des ThSV Eisenach nimmt am 14.07.2022 die Saisonvorbereitung auf. Der Kern ist zusammengeblieben, dennoch gibt es etliche Ab- und Zugänge. Als Neuverpflichtungen vermeldeten die Wartburgstädter bisher die Junioren-Nationalspieler Robert Kraß, gerade mit der A-Jugend der Rhein-Neckar-Löwen Deutscher Meister geworden, und Torben Hübke (von der SG Flensburg-Handewitt) sowie Cedric Marquardt (TV Gelnhausen), Timothy Reichmuth (HSC Suhr Aarau/ Schweiz), Erik Töpfer (vom EHV Aue) und zuletzt Philipp Meyer (DJK Rimpar Wölfe). Am letzten Spieltag der gerade abgeschlossenen Saison verabschiedete der ThSV Eisenach Torhüter Fran Lucin (Ziel unbekannt), die Rückraumspieler Daniel Dicker (UHK Krems/ 1. Liga Österreich) und Martin Potisk (Gyöngyösi/ 1. Liga Ungarn) sowie Kreisspieler Hannes Iffert (Focus auf die berufliche Entwicklung, handballerisch beim hessischen Oberligisten ESG Gensungen/Felsberg) und Linksaußen Adrian Wöhler ((Focus auf Studium, handballerisch beim bayrischen Oberligisten HSC Bad Neustadt).

Th. Levknecht

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