Der ThSV Eisenach lebt noch: 24:22-Sieg beim TuS Nettelstedt-Lübbecke

Was für eine Osterüberraschung! Der ThSV Eisenach lebt noch! Am Ostersamstag feierten die Wartburgstädter im zweiten Spiel unter ihrem neuen Trainer Gennadij Chalepo in einem Abstiegskrimi einen 24:22 (10:12)-Auswärtserfolg beim TuS Nettelstedt-Lübbecke. Nach dem Abpfiff tanzten die Eisenacher Spieler wie schelmisch dreinschauende Lausbuben, intonierten die mitgereisten Fans in Ostfalen das Rennsteiglied. Der erste Auswärtssieg der Saison lässt alle, Mannschaft und Fans, neuen Mut schöpfen! Der ThSV Eisenach ist auf einen Zähler an den ersten Nichtabstiegsplatz herangerückt!

Thüringer wie von Fesseln befreit in Ostwestfalen
„Alles Kopfsache“, waren die meistbenutzten Worte im Eisenacher Lager. Gennadij Chalepo schien die mentalen Fesseln gelöst zu haben.

Ja, wir leben noch

strahlte der ehemalige weißrussische Nationalspieler, in der Saison 2011/2012 selbst Coach beim TuS Nettelstedt-Lübbecke, bei der Wiederkehr an eine einstige Wirkungsstätte viele Hände schüttelnd. Er lobte die Supereinstellung und die Körpersprache. Der ThSV Eisenach spielte wie befreit auf. „Ich hoffe, wir sind nicht zu spät erwacht. Das Restprogramm ist schwer“, fügte Gennadij Chalepo an. „Wir sind nach dem 3-Tore-Rückstand nicht eingeknickt. In einer Partie von zwei kämpfenden Abwehrreihen haben wir ganz viel Charakter gezeigt. Fantastisch, wie uns die mitgereisten Fans unterstützt haben“, unterstrich Karsten Wöhler, Manager des ThSV Eisenach. Es war 60-minütiger Abwehrkampf mit vielen technischen Fehlern auf beiden Seiten, der in Christoph Immel und Ronald Klein zwei stets die Übersicht behaltende Spielleiter hatte, die wohl nur bei einer Zeitstrafe gegen Daniel Luther völlig daneben lagen.
„Eine Super-Mannschaftsleistung. Jeder hat sein Bestes gegeben, sich in den Dienst der Mannschaft gestellt. Wer nur 22 Gegentore kassiert, hat in der Abwehr gut gearbeitet. Bei der Verwertung der Torchancen haperte es. Ein Riesenlob vom gesamten Team an unsere mitgereisten Fans“, unterstrich Marcel Schliedermann nach seinem 35-minütigen Einsatz. Auf für ihn ungewohnter Position im rechten Rückraum brachte er seine arteigenen Qualitäten ein. „Egal auf welcher Position, Marcel Schliedermann stellt sich stets in den Dienst der Mannschaft“, fügte er am Sonntag beim Mittagessenkochen in der eigenen Küche an. Dass der gesamten Mannschaft zwei trainingsfreies Ostertage bewilligt wurden, stieß selbstredend bei allen auf große Freude.
„Wir wussten schon gar nicht mehr, wie sich ein Sieg, insbesondere ein Auswärtssieg anfühlt. Wir sind erleichtert, haben gesehen, es steckt noch Leben in uns. Was dieser Sieg wert ist, werden wir am Ende der Saison sehen“, erklärte ein überglücklicher Adrian Wöhler am Ostersonntag.

TuS-Verantwortliche stufen Eisenacher Sieg als verdient ein

Eisenach hat verdient gewonnen. Wir versäumten es, bei eigener 3-Tore-Führung nachzulegen. Eisenach war cleverer. Wer zuhause nur 22 Tore wirft, kann nicht gewinnen

konstatierte Goran Perkovac, der Trainer des TuS Nettelstedt-Lübbecke, für den die Luft im Abstiegskampf sehr dünn wird. Er und Zlatko Feric, sportlicher Leiter und einst selbst Trainer in der Wartburgstadt, erwiesen sich als Sportsleute, gratulierten in dieser für sie wahrscheinlich folgenschweren Stunde den Gästen aus Thüringen zum Doppelpunktgewinn. „Wir werden bis zum letzten Spieltag kämpfen“, versprach Goran Perkovac.

Wartburgstädter mit neuer Körpersprache
Der ThSV Eisenach präsentierte sich gegenüber den letzten farb- und erfolglosen Auftritten mit großem Engagement, geballter Kampfkraft und spielerischer Frische. Das neue Gesicht des ThSV Eisenach, eine zuversichtliche nie resignierende Körpersprache! Lag der Aufsteiger von der Wartburg zuletzt bereits nach 20 Minuten aussichtslos zurück, agierte er in der Merkur Arena Lübbecke von Beginn auf Augenhöhe. Ein Abstiegsderby, der Tabellen-Siebzehnte empfing den Tabellen-Sechzehnten, da war vor knapp 2.600 Zuschauern kein Schönheitspreis zu erwarten. Der Unterschied vor dem Anpfiff, die zum Jahreswechsel mit lediglich zwei Remis abgeschlagenen Gastgeber hatten nach zuletzt 4 Punkten aus 3 Spielen zu den in der Tabelle vor ihnen liegenden Teams wieder aufgeschlossen, waren im Stimmungshoch. Die Eisenacher schienen nach zuletzt vier Niederlagen dem Abstieg entgegenzutaumeln. „Nur ein Sieg erhält beiden Teams die Hoffnung“, so der nach einer Patellensehnen-Operation verletzt zuschauende Gabor Langhans, Rückraumspieler des TuS Nettelstedt-Lübbecke, in der Saison 2011/2012 beim ThSV Eisenach und ab der nächsten Saison in Diensten der MT Melsungen. Die Eisenacher mussten neben dem seit einiger Zeit an Kniebeschwerden laborierenden Azat Valiullin mit Bogdan Criciotoiu kurzfristig auf einen zweiten Rückraum-Recken verzichten. Dessen Position im rechten Rückraum teilten sich Tomas Urban, Marcel Schliedermann und Patrick Hruscak. Die Aufgaben im linken Rückraum lasteten fast ausschließlich auf Borut Mackovsek. Der zuletzt so gescholtene 23-Jährige zerriss sich förmlich, zog selbst immer wieder scharf und platziert ab (5 Treffer) oder glänzte im Eisenacher Kombinationswirbel.

Eisenacher variierten geschickt das Tempo
Zogen die Eisenacher das Tempo an, kam die Abwehr der Gastgeber in Schwulitäten. Bei mehreren Holztreffern fehlte den Chalepo-Schützlingen allerdings das Glück. Eisenachs Spielmacher Olafur Bjarki Ragnarsson ließ sich von erfolglosen Würfen nicht entmutigen, powerte immer weiter. Adrian Wöhler, das Energiebündel, war über 60 Minuten ein stets zweikampfstarker Linksaußen. Nicolai Hansen, von Beginn in sicht- und spürbarer Kampfesstimmung, zuletzt auch nicht mit Lob überschüttet, scheute keinen Zweikampf und traf mit nervenstarkem Heber 18 Sekunden vor der Sirene zum siegbedeutenden 24:22. Kurz nach der Pause schienen die Eisenacher bei einer 14:11-Führung der Hausherren auf der Verliererstraße, steckten aber nicht den Kopf in den Sand, verwandelten einen 18:19-Rückstand (51.) über ein zwischenzeitliches 20:20 (54.) durch Treffer von Adrian Wöhler von Linksaußen, dem heranbrausenden Olafur Bjarki Ragnarsson und einer Patrick-Hruscak-Fackel aus dem rechten Rückraum zur 23:20-Führung (57.). Wie gewonnen, so fast zerronnen. Nach dem 21.Treffer des TuS Nettelstedt-Lübbecke, dem 7. von Europameister Niclas Pieczkowski (nächste Saison in Leipzig), patzten die Eisenacher beim Anwurf, nur 15 Sekunden später dankte Tim Remer mit dem Anschlusstreffer für die Gastgeber (22:23, 58.). Nun war wieder alles möglich! Die sich anschließenden Angriffszüge beider Teams blieben erfolglos. Piotr Grabarczyk (TuS) kassierte 33 Sekunden vor dem Abpfiff seine dritte Zeitstrafe. Es folgte der letzte Eisenacher Angriffszug. Alle rechneten mit einer „Fackel“ vom nach einer Verschnaufpause auf das Parkett zurückgekehrten Borut Mackovsek. Falsch gedacht! Das Team von der Wartburg löste einen Angriffszug zur Kreismitte aus. Es schien für die Blau-Weißen eine Ewigkeit zu dauern, bis der Heber von Nicolai Hansen die Torlinie überquerte.

Auftakt sorgte für gute Stimmung in Eisenacher Reihen
Entgegen der letzten Partien, der ThSV Eisenach startete mit einer 3:0-Führung (Mackovsek 2, Ragnarsson, 6. Min.), verdaute auch die Knieverletzung vom im rechten Rückraum beginnenden Tomas Urban (10.). Der von seinen Rückenproblemen wiedergenesene Nick Heinemann begann auf Rechtsaußen. ThSV-Physiotherapeut Alexander Nöthe bewies sein Können, Tomas Urban konnte ab der 22. Minute wieder mitwirken. Kapitän Daniel Luther und Dusko Celica kamen überwiegend für Abwehraufgaben, Olafur Bjarki Ragnarsson und Borut Mackovsek konnten sich auf die Offensive konzentrieren. Angetrieben von Europameister Niclas Pieczkowski erhöhten die Hausherren ihre Schlagzahl, verwandelten nach einem 6:7-Rückstand (Adrian Wöhler in Unterzahl, 19.) in eine 11:7-Führung (27.). Tim Suton entwickelte viel Torgefahr. Zuletzt so vermisste spielerische Elemente mit sehenswerten Aktionen, wie der Treffer von Nick Heinemann (28.), ließen die Eisenacher auf Tuchfühlung bleiben. Marcel Sachliedermann, nicht der Filigrantechniker, dafür mit viel Herz im Zweikampf, netzte mit seiner ersten Ballberührung ein (29.)

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Nicolai Hansen sorgt für Eisenacher Glückseeligkeit
Mit Tim Suton, Nikola Manojlovic und Poritus Zettermann im Rückraum suchten die Gastgeber nach Wiederanpfiff eine Vorentscheidung. Pontus Zettermann traf zum 14:11 (34.). Immer wieder zahlreiche Technik- und Regelfehler auf beiden Seiten dokumentierten, hier treffen zwei gegen den Abstieg ringende Teams aufeinander. In der Besetzung mit Marcel Schliedermann, Olafur Bjarki Ragnarsson und Borut Mackovbsek hatte Gennadij Chalepo die an diesem Tag passende Rückraumbesetzung gefunden. Seine technischen Fähigkeiten nutzend, glich Bjarki Ragnarsson zum 14:14 aus (39.). Beide Schlussleute, Nikola Biazicko (TuS) und Svetislav Verkic (ThSV) bekamen nach dem Seitenwechsel nur je zwei Bälle zu Fassen, räumten ihren Platz für Matevz Skok und Jan-Steffen Redwitz. Der TuS-Keeper parierte gleich zwei Bälle und seine Teamkollegen trafen zum 18:16 (49.). Marcel Schliedermann und der kraftvoll aus dem Rückraum abziehende eingewechselte Patrik Hruscak (Warum nicht immer so?) netzten zum 18:18 ein. In Ringkampfmanier brachte Christian Klimek die Hausherren mit 19:18 in Führung (51.). Um jeden Zentimeter wurde gekämpft. Dann eine Redwitz-Parade und Tomas Urban nutzte eine doppelte Überzahl zum 19:20 (54.). Zu mehr reichte es nicht. Dem Ausgleichstreffer der Ostwestfalen (20:28, Remer, 55.) ließen die Eisenacher drei Treffer folgen. Die Nervosität beim Gastgeber stieg. Ballverlust. Doch auch beim ThSV Eisenach stieg die Nervosität. Blackout beim Anwurf in die Arme des Gegners (22:23, Remer, 58.). Der Kampf wog hin und her. Nicolai Hansen schloss eine lehrbuchreife Kombination zur Entscheidung ab.

Nun wartet ein Handball-Klassiker
Der ThSV Eisenach ist mit diesem Sieg bis auf einen Zähler an den ersten Nichtabstiegsplatz aufgerückt, erwartet – aufgrund des zerstückelten Spielplanes – erst am Samstag, 16.04.2016 zum nächsten Punktspiel zu einem Handball-Klassiker den SC Magdeburg in der heimischen Werner-Aßmann-Halle. Der Run auf die Tickets dürfte nach dem Osterfest nochmals zunehmen. Bisher sind nahezu 2.000 Tickets abgesetzt.

Statistik

TuS Nettelstedt-Lübbecke: Blazicko (1.-45./ 12 Paraden), Skok (ab 45./ 4 Paraden); Bechtloff, Pieczkowski (7), Manojlovic (2), Wetzel, Lazovic, Suton (3), Schagen (2), Zetterman (2/1), Grabarczyk, Klimek (2), Remer (4)

ThSV Eisenach: Verkic (1.-49./ 7 Paraden, Redwitz (ab 49./ 2 Paraden); Wöhler (4), Luther, Celica, Ragnarsson (4), Hruscak (2), Schliedermann (2), Hansen (4), Urban (1), Holzner, Heinemann (2), Koloper, Mackovsek (5)

Zeitstrafen: TuS N-Lübbecke 7 x 2 Min., Rot für Grabarczyk nach 3. ZS, 60. ThSV Eisenach 4 x 2 Min.

Siebenmeter: TuS N-Lübbecke 2/1 ThSV Eisenach 0

Schiedsrichter: Immel/Klein

Zuschauer: 2.582 in der Merkur Arena (Kreissporthalle) Lübbecke

Spielfilm: 0:3 (6.), 5:5 (16.), 9:7 (24.), 14:11 (34.), 16:16 (45.), 19:18 (51.), 20:23 (57.), 22:23 (58.), 22:24 (60.)

Th. Levknecht

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