Entthronte Meister spielt beim Absteiger erwartet souverän auf

Es war das (vorerst) letzte Erstbundesliga-Heimspiel des ThSV Eisenach. Es war das Aufeinandertreffen des Teams mit dem geringsten Saisonetat (ThSV Eisenach 1,9 Mio €) und dem höchsten (THW Kiel, 9,5 Mio €). Im Duell Underdog gegen Rekordmeister leuchtete mit 19:31 (7:16) das erwartet klare Resultat an der Anzeigetafel. An einen Sieg wie im November 2000 unter Interimscoach Jürgen Beck über den THW Kiel (damals 23:22) glaubten im Vorfeld selbst die kühnsten Optimisten nicht.

Für den THW Kiel, im aktuellen Titelrennen bereits abgehängt, ging es darum, mit einem Doppelpunktgewinn Tabellenplatz 3 (vor der in dieser Saison stark auftrumpfenden MT Melsungen) zu sichern.

Das und die damit verbundene Champions-League-Teilnahme ist uns gelungen. Mich freut ebenso die von uns gezeigte Leistung. Ich hoffe, wir sehen den ThSV Eisenach bald zurück in der 1. Liga, erklärte Alfred Gislasson, der Coach des THW Kiel.

„Eigentlich wollten wir dem großen THW Kiel mehr Paroli bieten, doch unser Rückraum war einfach zu schwach. Wir entwickelten viel zu wenig Angriffsdruck“, konstatierte Eisenachs Trainer Gennadij Chalepo.

Der einstige Branchenführer, bei dem in dieser Saison wahrlich nicht alle Bäume in den Himmel wuchsen, der ohne nationalen oder internationalen Titel blieb, bestritt die Partie bis weit in die zweite Halbzeit mit seiner mit Weltstars gespickten Stammformation: von Torhüter Niklas Ladin, über seine Rückraum-Asse Marko Vujin, Domagoi Duvnjak und Christian Dissinger bis zu Kreisspieler Patrick Wincek. Der Ex-Eisenacher Dener Jaanimaa musste an einstiger Wirkungsstätte bis zur 37. Minute auf sein erstes Eingreifen warten.

Wir haben auch im nächsten Jahr ein Mammutprogramm, werden nicht von Verletzungen verschont bleiben. Dener Jaanimaa kann beide Halbpositionen spielen, deshalb haben wir seinen Kontrakt noch einmal über ein Jahr verlängert, argumentierte der stets auch mit dem eigenen Team kritische Alfred Gislasson.

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Der 26-jährige lettische Nationalspieler Dener Jaanimaa war im Sommer vorigen Jahres vom ThSV Eisenach zum HSV Handball gewechselt, stand nach dem Einstellen des Spielbetriebes durch die Hanseaten vor einer ungewissen Zukunft. Das Verletzungspech des THW Kiel war sein Glück. Er konnte im Norden bleiben, wechselte von Hamburg nach Kiel.

Kaum Torgefahr aus dem Rückraum – Kiel kam nicht ins Schwitzen
Im Thüringischen setzten die Kieler auf ihre bekannten Stärken. In Patrick Wiencek und Igor Anic verfügen sie über zwei auch wegen ihrer körperlichen Präsenz nicht zu stoppende Kreisläufer. Die Anspiele zu ihnen vermochten die Eisenacher nicht zu verhindern, den Torwurf dann höchstens auf Kosten eines Siebenmeterpfiffes vom ausgesprochen kielfreundlich amtierenden Schiedsrichtergespannes Michael Kilp/ Christoph Maier. Beim 2:2 (7.) durch einen Tempogegenstoß vom im rechten Rückraum beginnenden Tomas Urban sahen die über 2.200 Zuschauer in der wegen einer SPORT1-Live-Übertragung auf den späten Mittwochabend verlegten Partie letztmalig einen Gleichstand. Eisenachs Angriffszüge fanden keine Lücken in der bekannt starken 6:0-Deckung des THW Kiel. Torgefahr aus dem Rückraum hatten die am Spieltag per Charterflugzeug auf dem kleinen Flugplatz Eisenach-Kindel gelandeten Norddeutschen nicht zu befürchten. Genadij  Chalepo versuchte es mit mehreren personellen Varianten, eine erfolgreiche hatte er nicht im Kader. Um Lücken zu schaffen, versuchte er es phasenweise mit zwei Kreisläufern, mit Nicolai Hansen und Branimir Koloper. Letzterer wurde in seinem Abschiedsspiel von Beginn mit Branimir-Koloper-Sprechchören bedacht. Er wechselt nach 5 Jahren in der Wartburgstadt nach Zürich. Neben dem stets energisch den Zweikampf suchenden Rückraumspieler Marcel Schliedermann war Branimir Koloper der beste Eisenacher an diesem Abend. Der entthronte Meister zog über 2:7 (Dissinger, 17.)  auf 3:10 (Wincek, 20.) davon. Erst ein nach Foulspiel an Nicolai Hansen von Dirk Holzner verwandelte Siebenmeter führte zum 3. Eisenacher Treffer  (21.). Auf das Kieler Gehäuse kommende Würfe wurden eine leichte Beute von Weltklasse-Keeper Niclas Ladin. Auch mit der Einwechslung des lange Zeit verletzten Azat Vliullin (verläßt Eisenach in Richtung TBV Lemgo) bekam Eisenachs Angriffsspiel keinen neuen Farbanstrich. Die mangelnde Spielpraxis war ihm anzumerken. Rune Dahnke schloss per Gegenstoß zum 5:13 (24.) ab. Treffer von Branimir Koloper und Dirk Holzner verhinderten in diesem ungleichen Duell einen 10-Tore-Rückstand bereits zur Pause.

Donnernden Applaus für THW-Keeper Nikolas Katsigiannis
Das dankbare Eisenacher Publikum honorierte ein Schliedermann-Zuspiel zu Branimir Koloper, das 28 Sekunden nach Wiederanpfiff zum 8:16 führte, mit Beifall. Eisenachs Schlussmann Svetislav Verkic, eigentlich auf der den ThSV Eisenach verlassenden Agenda, aber dann doch nicht offiziell verabschiedet, kaufte dem durchgebrochenen Patrik Wiensek das Leder ab (33.). Im Duett mit dem ebenfalls nach der Partie verabschiedeten Dusko Celica markierte Brqanimir Koloper den 10. Eisenacher Treffer (10:18, 34.). Dann standen die Eisenacher in einem ohnehin ungleichen Duell nach zwei Zeitstrafen sogar in doppelter Unterzahl auf dem Parkett. Die Gäste spielten Niclas Eckberg zum 10:21 frei (36.). Marko Vujin vollendete per Gegenstoß zum 11:23 (39.). Gennadij Chalepo griff zu grünen Karte. Nach einer Freiwurfablage schmetterte dann Azat Valiullin in der für ihn typischen Art zum 12:23 ein (40.).  Bei einem parierten Vujin-Siebenmeter erntete ThSV-Schlussmann Jan-Steffen Redwitz Beifall (45.).  Zuviel Schmackes hatte der Ball von Adrian Wöhler, der ans Holz klatschte (46.). Alfred Gislasson wechselte auf Seiten des THW Kiel durch. Nikolas Katsigiannis löste Niklas Ladin im Kieler Kasten ab. Und der 34-jährige Schlussmann erntete donnernden Applaus, als er binnen weniger Sekunden gleich drei Eisenacher Bälle geradezu artistisch parierte (52.). Nach einem kleinen Durchhänger, Daniel Luther traf per Gegenstoß zum 16:26 (51.),  hatte Alfred Gislasson sein Team nochmals aufgefordert, nicht nachzulassen. Die Kieler folgten ihrem Chef. Ein abgefälschter Jaanimaa-Ball landete im Eisenacher Gehäuse (52.). Die Norddeutschen schraubten ihre Trefferausbeute in die Höhe. Per von der Siebenmeterlinie verwandelten Ball zum 19:31-Endstand beendete Toomas Urban vorläufig die Geschichte der Aufeinandertreffen zwischen dem THW Kiel und dem THSV Eisenach.

Vier Verabschiedungen
Nach der Partie wurden Borut Mackovsek (fehlte verletzungsbedingt), Dusko Celica, Azat Valiullin und Branimir Koloper mit riesigem Beifall verabschiedet. Klärungsbedarf gibt es noch bei Svetislav Verkic, dessen angekündigte Verabschiedung nicht stattfand.

Statistik
ThSV Eisenach: Verkic (1.-19./ 30.-37. – 6 Paraden/ 15 Gegentore), Redwitz (19.-30./ 37.-60. – 9 Paraden/ 16 Gegentore); Wöhler (1), Luther (1), Celica, Ragnarsson, Schliedermann (3), Hansen, Urban (5/2), Holzner (3/2), Heinemann, Koloper (4), Valiullin (2), Criciotoiu
THW Kiel: Landin: 1.-40. – 12 Paraden/ 12 Gegentore), Katasigiannis (40.-60. – 8 Paraden – 7 Gegentore); Duvnjak (5), Mamelund (1), Dissinger (2), Wiencek (2), Ekberg (5/4), Anic (3), Canellas, Dahmke (5), Jaanimaa (1), Klein (3), Brozovic, Vujin (4/1)
Zeitstrafen: ThSV Eisenach 4 x 2 Min. / THW Kiel 5 x 2 Min., Rot für Brozovic nach 3. ZS, 54.
Siebenmeter: ThSV Eisenach 5/4 . THW Kiel 6/5
Schiedsrichter: Kilp/ Maier
Zuschauer: 2.206
Spielfilm: 2:2 (6.), 2:9 (18.), 5:14 (24.), 7:16 (19.), 11:21 (37.), 13:26 (44.), 16:26 (61.), 19:31 (60.)
Beste Spieler: ThSV Eisenach: Schliedermann, Koloper / THW Kiel: Wiencek, Duvnjak, Katsigiannis

Foto: Zum Abschied eine starke Leistung: Branimir Koloper wechselt von Eisenach nach Zürich