Fast noch ein Rohdiamant

Eisenach 2,05-Meter-Rückraum-Recke Azat Valiullin spielt erst seit 6 Jahren Handball

Bis vor wenigen Monaten spielte Azat Valiullin mit Lok Tscheljabinsk vor etwa 200 Zuschauern in der 1. Liga Russlands.  Inzwischen spielt der 2,05-Meter und 105 Kilo auf die Waage bringende Rückraumrecke beim ThSV Eisenach in der DKB Handball-Bundesliga im linken Rückraum Woche für Woche vor mehreren tausend Zuschauern. Velimir Petkovic, der in alle Welt vernetzte Trainer-Haudegen des ThSV Eisenach, wurde von einem einstigen Spieler auf diesen Rohdiamanten aufmerksam gemacht. Nun füllt Azat Valiullin, gerade 25 Jahre jung geworden, beim Aufsteiger von der Wartburg eine wichtige Rolle in Deutschlands höchster Spielklasse aus. Im Saison-Auftaktspiel besorgte Azat Valiullin praktisch mit der Schluss-Sirene den Eisenacher Siegestreffer im Heimspiel gegen den TuS Nettelstedt-Lübbecke. Zum kürzlichen 33:31-Sieg der Wartburgstädter über HBW Balingen-Weilstetten steuerte er gleich 8 Treffer bei.

Dabei betreibt Azat Valiullin – kaum zu glauben – erst seit sechs Jahren wettkampfmäßig Handball! Dass er überhaupt Handball spielt, ist der Hartnäckigkeit eines Nachwuchstrainers von Lok Tscheljabinsk zuzuschreiben. Azat Valiullin, am 01.09.1990 in Kazan geboren, absolvierte an der Universität in Tscheljabinsk ein Ingenieur-Studium  Er spielte in seiner Freizeit vor allem Fußball. Eines Tages kam ein Handball-Trainer und hängte im Sportbereich der Universität Spiel-Ankündigungsplakate aus. Er sah den 2,05-Meter-Riesen beim Fußball. „Komm doch mal zu uns zum Handball“, sagte der Handball-Trainer. Azat Valiullin versprach`s, machte es aber nicht. Drei Monate später gab es ein erneutes zufälliges Zusammentreffen. Der Einladung zu einem Schnupper-Training folgte Azat Valiullin erneut nicht. Kurz darauf folgte die Olympiade der Universität. Azat Valiullin spielte Fußball. Und wieder sprach ihn jener Handballcoach von Lok Tscheljabinsk an, machte dieses Mal „Nägel mit Köpfen“ und vereinbarte einen festen Termin mit dem 19-Jährigen. Azat Valiullin fand sich zum vereinbarten Termin in der Handballhalle ein – und fand Gefallen an dem Spiel mit dem kleinen runden Leder. So fing die Handball-Karriere des Azat Valiullin an. Erfolge bisher? Der Hüne schüttelt den Kopf.

Na ja, der 4. Platz bei der Studenten WM ist vielleicht zu nennen.

Wir sprachen mit dem Neuzugang des ThSV Eisenach:
Wie kam Ihr Wechsel nach Deutschland zustande?
Sergej Budanov, ein ehemaliger Spieler von Velimir Petkovic, stellte den Kontakt nach Eisenach her. In der stärksten Liga der Welt zu spielen, ein Traum für jeden Handballer. Ich weilte Anfang des Jahres zu einem zweiwöchigen Probetraining in Eisenach. Daraus entwickelte sich mein Engagement ab Juli. Ein anderes Angebot aus Deutschland lag nicht vor.
Der Wechsel von Tscheljabinsk nach Deutschland, war das nicht ein Kulturschock?
So krass würde ich es nicht sehen. Es war natürlich eine riesige Umstellung, ganz viel Neues strömte auf mich ein. Aus dem gewohnten Umfeld in eine neue Welt, mit Menschen anderer Mentalität, mit ganz anderer Kultur und auch völlig ungewohnter Architektur.
Spielten Sie schon immer im linken Rückraum?
Das war von Beginn meine Position.
Waren Sie von Beginn Handballprofi?
Ich habe mein Ingenieur-Studium abgeschlossen und wurde dann gleich Handball-Profi bei Lok Tscheljabinsk.
Wie waren die Trainingsumfänge, mussten Sie sich gewaltig umstellen?
Wir haben 5 Tage in der Woche täglich zwei Trainingseinheiten absolviert, früh und abends. Die Intensität zum Trainer bei Velimir Petkovic war eine andere.
Wieviele Tore warfen Sie in der vergangenen Saison für Lok Tscheljabinsk?
Ich habe nicht so lange gespielt, in den 20 Spielen etwa jeweils 3 bis 4 Tore erzielt.
Sie spielten in Tscheljabinsk vor wenigen hundert Zuschauern, nun vor mehreren tausend. Ist das nur gewöhnungsbedürftig oder respekteinflößend?
In Deutschland spielt Handball eine große Rolle, in Eisenach eine besonders große. Die Wertigkeit ist eine völlig andere wie in Tscheljabinsk. Ein Riesenunterschied, das ist nicht zu vergleichen. Vor 5.000 oder mehr Zuschauern zu spielen bereitet mir keine Angst. Im Gegenteil, es motiviert, es bereitet mir Spaß!
Wie kommen Sie mit Ihren neuen Teamkollegen, mit Stadt und Leuten zurecht?
Die Stadt Eisenach, ihre Menschen, leben für den Handball, für ihren ThSV Eisenach. Das ist täglich zu spüren. Das Interesse für den Handball ist in Tscheljabinsk nur ein geringes. Ich komme ja aus einer Millionen-Stadt in eine Kleinstadt. Eisenach ist klein und fein, bietet die Vorzüge einer Kleinstadt. Ich komme mit meinen Mannschaftskameraden sehr gut zurecht, habe auch schon außerhalb des Handballs Kontakte geknüpft.
Sie werden vor allem an Ihren Tore gemessen. Schauen Sie sich in der Spielvorbereitung die Reaktionen, das Stellungsspiel des gegnerischen Torhüters an?
In der Zeit der Videoanalyse ist das fest im Programm. Unser Coach macht uns  mit den gegnerischen Schlussleuten vertraut, welche Spielzüge am besten zum Abschluss führen.
Das Fachorgan „Handballwoche“ nominierte Sie nach dem Balingen-Spiel in die Mannschaft der Woche. Welchen Wert hat das für Sie?
Die Hauptsache ist, wenn die Mannschaft gewonnen hat. Nicht der persönliche Erfolg steht im Vordergrund. Ich freue mich, wenn ich positiv zu diesem mannschaftlichen Erfolg beitragen konnte. Diese Nominierung ist schön, spornt mich an.
Mit 25 Jahren haben Sie noch eine lange Handball-Karriere vor sich. Haben Sie aber schon einmal an die Zeit nach dem Handball gedacht?
Ich stehe ja erst am Beginn meiner Laufbahn. Da beschäftige ich mich noch nicht so intensiv mit der Zeit danach. Durch mein abgeschlossenes Studium habe ich allerdings eine gute Grundlage für die berufliche Entwicklung nach der Zeit als Handballprofi.
Was gibt es aus dem Privatleben zu vermelden?
Ich bin verheiratet. Meine Frau ist gerade zu Besuch in Eisenach. Ihr Hauptwohnsitz bleibt aber erst einmal Tscheljabinsk.

Titelfoto: Azat Valiullin mit Power im Heimspiel des ThSV Eisenach gegen HBW Balingen-Weilstetten

Foto: Azat Valiullin marschiert mit Vehemenz  in die Lücke der Abwehr der MT Melsungen