Gezeigt, wo die Wartburg steht

Der ThSV Eisenach sorgte am vergangenen Wochenende für ein dickes Achtungszeichen in der 1. Handballbundesliga. Die Schützlinge von Peter Rost fegten in der Schweriner Sport- und Kongreßhalle vor knapp 4000 Zuschauern den gastgebenden SV Post Schwerin beim 29:19 (12:11) förmlich vom Parkett.

GASTGEBER SCHWERIN WOLLTE VIEL
Aufsteiger Schwerin, mit einem Auswärtssieg in Solingen voller Selbstvertrauen, wollte gegen die bisher auswärtsschwachen Thüringer unbedingt den ersten Heimsieg landen. Nicht nur nebenbei stellten sie die Frage, wer denn die Nummer 2 im Handball-Osten sei. Schwerin heizte im Vorfeld dieser Partie die Atmosphäre an. Da wurde kräftig in die «Klamottenkiste« gegriffen. Unter dem Motto «Spiele einst wie Hund und Katz«, wurde Post-Urgestein Jörg Retzlaff zitiert. «Mit Aue und Halle-Neustadt hatten wir freundschaftliche Kontakte. Gegen Eisenach war es anders.«, so der reaktivierte Post-Torhüter. Und dann ging es sogar unter die Gürtellinie. «So war es auch beim letzten Aufeinandertreffen in der DDR-Oberliga zur Wende. In einem regelrechten Skandalspiel mit Eisenacher Schiedsrichter-Bestechungsversuchen und diversen Fouls gewann Schwerin vor nur 500 Zuschauern sensationell mit 26:14«, verkündeten einheimische Medien. Schon eine Stunde vor dem Anpfiff versuchte sich ein «Einpeitscher« am Hallenmikrofon. Die bekanntermaßen ruhigen Mecklenburger waren jedoch nur schwer aus der Reserve zu locken. Geschmacklos die Regieleitung: Als Stephan Just sich mit schmerzverzerrtem Gesicht während des Spiels am Boden krümmte, wurde das «Lied vom Tod« eingespielt. (Wenig Stil bewiesen die Zuschauer auch, als sie vor dem Anpfiff ihren Ministerpräsidenten Harald Ringstorff mit einem Pfeifkonzert begrüßten.)
Von den äußeren Umständen, zu denen auch Umkleidekabinen außerhalb der Halle gehörten (die naßgeschwitzten Spieler beider Mannschaften mussten in ein Nebengebäude mit Weg unter freiem Himmel !), ließen sich die Wartburgstädter nicht beeindrucken.

ÜBER DEN KAMPF ZUM SPIEL
Der ThSV Eisenach präsentierte sich von Beginn in der Abwehr mit viel Leidenschaft, fand über den Kampf auch im Angriff zu spielerischer Linie. Das Zusammenspiel zwischen Abwehr und Torhüter klappte, im Gegensatz zu den letzten Auftritten, bestens. ThSV-Keeper Dragan Jerkovic lief zur Glanzform auf. Der 25-jährige stach seinen prominenten Gegenüber, den ebenfalls keineswegs schlechten 38-jährigen Ex-Auswahltorhüter Michael Krieter, über die gesamte Spielzeit aus. Beim Vorwärtsgang geriet der ThSV-Motor jedoch noch ins Stottern. Während der ersten Halbzeit wurden 9 glasklare Torchancen (Just, Amalou) noch ausgelassen. Dank der Abwehrarbeit und damit verbundener Ballgewinne, Eisenach lag nach 12 Minuten mit 5:2 vorn. Der nach überstandener Grippe, ebenso wie Stephan Just, wieder mitwirkende Jonny Jensen schwang sich als Regisseur zum «Kopf« der Mannschaft auf. Über ihn liefen sämtliche Angriffszüge, er ordnete die Deckung und markierte «nebenbei« selbst noch 6 Treffer. Schwerin schaffte durch Robert Licu den Anschlusstreffer zum 5:6 (16.). Eisenachs Preben Vildalen hatte die richtige Antwort parat. In unnachahmlicher Art wuchtete er 3 Bälle in Folge zum 9:5 (18.) ein. Nun zauberten die Thüringer sogar. Stephane Joulin legte zum in den Kreis fliegenden Eric Amalou ab, der zum 10:6 einlochte (20.). Ein Lehrbuch-Kempa-Treffer!

SCHWERINS TRAINER HOLGER SCHNEIDER GRIFF SELBST EIN
Dieser 4-Tore-Rückstand rief Schwerins Coach Holger Schneider auf den Plan. Der in der vergangenen erfolgreichen Zweitligasaison als spielender Trainer wirkende 38-jährige Ex-Auswahlspieler streifte sich selbst das Trikot über und besetzte die Linksaußenposition. Bei den Hausherren lief es nun besser. Erst lieferte Holger Schneider zwei Vorlagen für Roland Bahr, dann erzielte er höchstpersönlich den Ausgleich zum 11:11 (27.). Eisenachs Stephane Joulin war kurz zuvor, wie wenig später auch Stephan Just, vom Siebenmeterpunkt an «Pumpe« Krieter gescheitert. Doch dann kamen die großen Sekunden von Eisenachs Dragan Jerkovic. Binnen 10 Sekunden parierte der Keeper zwei Strafwürfe von Schwerins Robert Licu und Ronald Bahr (29.). Im Gegenzug sorgte Jonny Jensen für den 12:11 Halbzeitstand.

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NACH WIEDERANPFIFF AUSGEGLICHEN
Nach dem Seitenwechsel verlief die Begegnung zunächst ausgeglichen. Holger Schneider konnte Schwerin mit 14:13 in Führung werfen (34.). Doch der Rückraum der Gastgeber mit dem Ex-Eisenacher Robert Licu (blieb mit 5 Treffern weit unter seinem Durchschnitt) und Robert Hedin war bei der Eisenacher Deckung in guten Händen. «Unser Rückraum war ein Totalausfall«, resümierte nach dem Abpfiff der Schweriner Trainer. Die Schweriner Führung zum 16:15 (Licu in der 40. Min.) leitete erstaunlicherweise den totalen Einbruch der Postler ein.

EISENACH ZAUBERTE, SCHWERIN BRACH VÖLLIG ZUSAMMEN
Binnen weniger Minuten stellten die Wartburgstädter die Weichen eindeutig auf Sieg. Vom 18:17 (46.) enteilten sie auf 22:17 (49.), schraubten das Torepolster gar auf 25:17 (52.). Sogar in Unterzahl bejubelten die Thüringer Torerfolge. Schwerin suchte den schnellen Abschluss, biss sich die Zähne an der leichtfüßig, einsatzstark aber fair zu Werke gehenden ThSV-Abwehr , die Zähne aus. Stephan Just stillte seinen Torhunger, traf während der 10 Schlussminuten 5 mal ins Netz (insgesamt 9 Treffer). «Während der letzten 20 Minuten haben wir alles falsch gemacht,was falsch zu machen geht«, gab Holger Schneider unumwunden zu. Der ThSV Eisenach führte die Gastgeber regelrecht vor.

i-TÜPFELCHEN DURCH EISENACHS SCHLUSSMANN
Das «Sahnehäubchen« setzte Eisenachs Schlussmann Dragan Jerkovic. Er traf aus dem eigenen Kreis über seinen zu weit vor dem Kasten postierten Schweriner Kollegen Maik Patz, er kam für Oldie Krieter, zum 27:18 (57.). Eisenachs komplette Wechselbank feierte bereits stehend, ineinander «verschlungen«, den neuen Geist auch äußerlich dokumentierend, den feststehenden Auswärtssieg. «Wir haben die letzten Tage weniger körperlich trainiert, sondern mental gearbeitet. Ich war vom Sieg, allerdings nicht in dieser Höhe, überzeugt. Die Mannschaft hat gezeigt, welch Potential in ihr steckt. Ich hoffe der Knoten ist geplatzt, wir uns nun in Richtung Mittelfeld orientieren«, argumentierte Eisenachs Cheftrainer Peter Rost. Mit seinen Mannen nahm er manch Unkenrufern, auch im eigenen Umfeld, ausgerechnet beim Auswärtsspiel im Norden den Wind aus den Segeln!

VON WEGEN DIE NUMMER 2 IM OSTEN…….
Die knapp 50 mitgereisten ThSV-Fans, die den weiten Weg nicht gescheut hatten, zogen froh gestimmt von dannen, der übergroße Teil der Zuschauer allerdings mit grimmigen Gesicht. «Von wegen, wer die Nummer 2 im Osten ist. Wir haben Magdeburg und Schwerin geschlagen, liegen mit 4:0 Punkten in der internen Ost-Wertung auf Platz 1«, flachsten die ThSV-Fans. Stephan Just, erschöpft und glücklich, immer für einen Spruch gut, setzte noch einen drauf. «Wir haben gezeigt, wo die Wartburg steht.« Als echter «Isenächer« darf er das alle Male sagen ……!

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