Teuer bezahlter Sieg

ThSV Eisenach bezwingt vor 3.150 Zuschauern den 1. VfL Potsdam mit 24:22 (13:12) und bleibt damit auf Aufstiegskurs – verliert aber Regisseur Jannis Schneibel und Kapitän Peter Walz

Die Freude überwog. Der ThSV Eisenach bezwang nach einer beidseitig intensiv geführten Partie den 1. VfL Potsdam mit 24:22 (13:12) und bleibt auf Aufstiegskurs. Fynn Hangstein schraubte mit seinen 12 Treffern die persönliche Bilanz auf 156 Saisontore, führt klar die Torjägerliste der Liga an. Die Wartburgstädter behaupten aufgrund der besseren Tordifferenz den zweiten Aufstiegsplatz vor dem punktgleichen Dessau-Roßlauer HV. Die Entscheidung, wer nächste Saison in der Beletage des deutschen Handballs spielt, fällt somit am kommenden Mittwoch, 07.06.2023 ab 19.00 Uhr. Der Dessau-Roßlauer HV gastiert bei den Eulen Ludwigshafen, der ThSV Eisenach beim HSC Coburg. Die Wartburgstädter treten den fränkisch-thüringischen Nachbarschaftsvergleich arg gehandicapt an, sie bezahlten den Sieg über das von Bob Hanning trainierte Team von der Havel teuer. Regisseur Jannis Schneibel schied vor der Pause nach einem Foulspiel mit einer schweren Schulterverletzung aus. Mit eingeklemmtem Arm fiel er samt Abwehrspieler auf den Boden. Kurz vor Spielende sah Peter Walz nach einer Abwehraktion Rot und Blau, was eine Sperre zur Folge hat. Der Eisenacher Kapitän wird dadurch am Mittwoch fehlen. Dann steht den Eisenachern auch Torhüter Johannes Jepsen nicht zur Verfügung. Er zog sich im Training eine Meniskusverletzung zu und kam mit Gehhilfen in die mit 3.150 Zuschauern restlos ausverkaufte Werner-Aßmann-Halle. Im Aufstiegsendspurt fehlt somit das komplette Torhüterduo, steht doch Erik Töpfer seit Ende November bereits auf der Verletztenliste. Der ThSV Eisenach hatte bereits mit der Blitzverpflichtung des ehemals langjährigen Keepers der Rimpar Wölfe, Max Brustmann, reagiert. Dieser hatte 2020 seine leistungssportliche Laufbahn beendet, kam direkt aus einem Urlaub in Österreich den Thüringern zur Hilfe. Er bekam zunächst aber nur einen Ball zu greifen. ThSV-Coach Misha Kaufmann beorderte seinen nach der Töpfer-Verletzung reaktivierten Torwarttrainer Stanislaw Gorobtschuk ins Gehäuse. Der Volltreffer! Der 35-jährige Keeper wehrte 41 Prozent der seinen Kasten erreichenden Bälle ab, darunter auch zwei Siebenmeter von Tim Grüner. Max Beneke, der junge Gäste-Shooter, verzweifelte schier am Eisenacher Schlussmann.

Unsere Mannschaft zeigt Woche für Woche ganz viel Charakter. Ich wollte ihr in dieser schwierigen Situation helfen. Hinter dieser tollen Abwehr im Tor zu stehen, das macht richtig Freude, erklärte der in Frankfurt/Oder geborene Keeper, von 2009 bis 2020 nahezu durchgängig zum Eisenacher Torhüterteam zählend, zu Beginn der Saison als Torhütertrainer und Mitarbeiter der Marketing GmbH wieder zurück.

Stolz auf das eigene Team, Schiedsrichter schwer in der Kritik

Ich bin stolz auf unsere Mannschaft, wie sie vor beeindruckender Kulisse die schwere Aufgabe gelöst hat. Der 1. VfL Potsdam hat uns alles abverlangt, wir mussten uns den Sieg ganz schwer erarbeiten. Der Dessau-Roßlauer HV hatte es da am Vortag beim Sieg über den HC Elbflorenz deutlich leichter, erklärte Eisenachs Geschäftsführer Rene Witte.

Wir hatten vorher angekündigt, dem ThSV Eisenach alles abzuverlangen, das haben wir auch getan, unterstrich Bob Hanning, der Coach des 1. VfL Potsdam.

Rene Witte zeigte kein Verständnis für den massiven Eingriff des Schiedsrichtergespannes Frederic Linker/ Sascha Schmidt in den Aufstiegskampf.

Hier geht es im Saisonendspurt um alles, auch um Arbeitsplätze, und dann diese nicht nachvollziehbare Entscheidung der Referees aus dem DHB-Elitekader gegen unseren Kapitän, dessen Aktion als brutales Foul einzustufen. Zwei Minuten oder rote Karte, da hätte man mitgehen können. Selbst die Potsdamer Spieler sahen die Aktion nicht so, konstatierte Rene Witte. Egal, ob uns unser Torwart, unser Mittelmann und unser Kapitän fehlen, wir wollen die Aufgabe am Mittwoch in Coburg lösen und appellieren an jeden unserer Fans, uns in der HUK-Coburg Arena zu unterstützen, appelliert Rene Witte an die blau-weiße Anhängerschaft.

Große Geste

Ich habe schwer zu schlucken, gab Eisenachs Trainer Misha Kaufmann ehrlich zu.

Als er zur Pressekonferenz nach dem Spiel mit „Misha-Kaufmann-Sprechhören“ von den Rängen gefeiert wurde, schritt er demonstrativ zu seinen „Mentalitätsmonstern“, zu seinen Spielern, dankte jedem persönlich mit Handschlag.

Torwart Nummer 1 und 2 verletzt, unsere Mittelmann verletzt, unser Kapitän gesperrt, für uns gilt, jetzt erst recht. Uns kann niemand aufhalten, betonte der Schweizer in Diensten der Thüringer.

Beim 19:19 wackelte der Eisenacher Sieg
Beim 18:13 in der 43. Minute schien der ThSV Eisenach auf der Siegerstraße.

Doch wir ließen dann zu viele freie Bälle weg, merkte Misha Kaufmann kritisch an. Ja, da lief es im Angriff nicht rund, wir kassierten Tore über Gegenstöße und mussten beim 19:19 den Ausgleichstreffer hinnehmen. Mit Hilfe der Energie unserer Zuschauer fanden wir zurück in die Erfolgsspur, resümierte Marko Grgic.

Nach dem verletzungsbedingten Ausscheiden von Jannis Schneibel war der 19-jährige Rückraumspieler voll gefordert. Beim 19:19 (50.) wackelte der Eisenacher Sieg.

In dieser Phase verloren wir unseren Rhythmus, fehlte die Effizienz im Angriff, haperte es auch im Rückzugsverhalten, doch mit dieser Kulisse im Rücken entschieden wir die Partie im Finish für uns, bilanzierte Rückraumspieler Daniel Hideg, der wie neun seiner Mitspieler nach den 60 Minuten verabschiedet wurde.

Auch Ante Tokic wurde verabschiedet. Der Linkshänder demonstrierte in den Schlussminuten seine Klasse. Nach einem Ballgewinn seiner Kollegen steuerte er im ICE-Tempo den Potsdamer Kasten an und versenkte zum 21:19 (53.). Nach einem üblen Foul an Fynn Hangstein bewies Ante Tokic Nervenstärke vom Punkt, verwandelte in hitzig werdender Atmosphäre schnörkellos zum 23:21 (58.). Kurz darauf die heftig umstrittene Szene zwischen Eisenachs Peter Walz und Potsdams Marcel Nowak (59.). ThSV-Keeper Stanislaw Gorobtschuk parierte gegen Max Beneke, im Gegenzug lochte Fynn Hangstein zum 24:21 ein (60.). Die Eisenacher Rekordkulisse feierte längst mit Standing Ovation ihre Mannschaft.

Trotz zwischenzeitlicher 5-Tore-Führung dramatische Schlussphase
Bob Hanning, der Coach des 1. VfL Potsdam hatte den zuletzt aufgrund einer Schulterverletzung fehlenden Mittelmann Moritz Sauter wieder dabei. Auch Rückraumspieler, Matthes Langhoff, eine Woche zuvor noch mit den Füchsen Berlim die EHF European League gewinnend, lief für die Gäste auf. Der ThSV Eisenach startete mit Ivan Snajder auf Links- und Willy Weyhrauch auf Rechtsaußen, Fynn Hangstein, Jannis Schneibel und Alexander Saul im Rückraum, Peter Walz am Kreis und Max Brustmann im Tor, wechselte für Abwehraufgaben Philipp Meyer und Timmy Reichmuth, dann auch Malte Donker ein. Die Gäste konnten den vorab mit einem Fragezeichen versehenen Moritz Sauter auf Rückraum Mitte aufbieten. Der 20-Jährige kam überwiegend nur im Angriff. Beim 3:4 durch Nils Fuhrmann (9.) gelang dem 1. VfL Potsdam die einzige Führung im gesamten Spielverlauf. Der ThSV Eisenach setzte auf sein Tempospiel, Fynn Hangstein schloss zum 7:4 ab (14.). Ein Ball von Peter Walz trudelte zum 10:7 über die Linie (20.). Ein Rückhandanspiel von Alexander Saul verwertete Willy Weyhrauch zum 11:8 (23.). Zuspielfehler der Hausherren nutzte der VfL Potsdam zum 13:12 (29.). Kurz darauf schied Jannis Schneibel mit einer schweren Schulterverletzung aus.

Kompakt in der Abwehr mit einem gut aufgelegten Stanislaw Gorobtschuk erhöhten die Wartburgstädter auf 17:12 (39.). Eine „Fackel“ von Daniel Hideg zappelte im Gästekasten. Fynn Hangstein hatte wenig Mühe zum 18:13 in das verwaiste Potsdamer Gehäuse zu vollenden (43.). Doch die Gäste griffen in die Taktikkiste, glichen zum 19:19 aus (50.).

Wir hatten circa zehn Minuten vor dem Ende die Chance, das Spiel zu kippen. Das ist uns leider nicht gelungen, so Potsdams Moritz Sauter. Die Idee, ohne Kreisläufer zu spielen, hatten wir uns bereits im Training überlegt, um mit einem zweiten Rückraumspieler gegen die offensive Abwehr zu spielen. Sie haben sich leider relativ schnell darauf eingestellt, aber es hat uns geholfen gegen die stärkste Abwehr der Liga.

Die überharte Abwehrarbeit der Potsdamer führte zur roten Karte für Emil Hannson nach dessen üblem Foul am durchgebrochenen Marko Grgic. Wenig später wurde Fynn Hangstein „gefällt“. Ante Tokic verwandelte vom Strich zum 23:21 (58.). Es folgte die heiß umstrittene Szene mit Rot und Blau für Eisenachs Kapitän, die Glanzparade von ThSV-Keeper Stanislaw Gorobtschuk gegen Max Beneke und das 24:21 durch den durchstartenden Fynn Hangstein.

Hoch emotional: 11 Verabschiedungen
Hoch emotional wurde es nach der Partie, als der ThSV Eisenach 10 den Verein verlassende Spieler verabschiedete: Sebastian Klein, Cedric Marquardt, Robert Krass, Erik Töpfer, Daniel Hideg, Jonas Ulshöfer, Ruben Sousa, Johannes Jepsen, Fynn Hangstein und Ante Tokic sowie den langjährigen Physiotherapeuten und Athletiktrainer Alexander Nöthe.

Statistik
ThSV Eisenach: Brustmann (1.-23./ 1 Parade), Gorobtschuk (9 Paraden); Reichmuth, Hangstein (12/5), Ulshöfer, Walz (1), Grgic, Hideg (1), Tokic (3/1), Sousa, Meyer, Donker, Schneibel (1), Snajder, Weyhrauch (2), Saul (4)
1.VfL Potsdam: Ludwig (9 Paraden), Ferjan (bei 2 Siebenmetern/ 1 Parade); Hansson (2), Flathe, Simic, Beneke (4), Kaludjerovic, Thiele (2), Nowak, Grüner, Akakpo (5), Gonzalez, Fuhrmann (2), Sauter (4), Langhoff (2), Kraus (1)
Zeitstrafen: ThSV Eisenach: 5 x 2 Min (Snajder 3 x 2 Min./ Rot 55.n. 3.ZS, Walz u. Meyer je 2 Min.), Rot und Blau gegen Walz (59.) – 1.VfL Potsdam: 4 x 2 Min. (Akakpo, Sauter, Langhoff, Kraus je 2 Min.), Rot Hansson (50.)
Siebenmeter: ThSV Eisenach: 6/9 (Hangstein verwandelt 3 x gegen Ludwig u. 2 x gegen Ferjan, scheitert 1 x an Ferjan u. 1 x an Ludwig, wirft gegen Ludwig 1 x über den Kasten, Tokic verwandelt 1 x gegen Ludwig) – 1.VfL Potsdam: 0/2 (Grüner scheitert 2 x an Gorobtschuk)
Schiedsrichter: Linker/Schmidt
Zuschauer: 3.150 (ausverkauft)
Beste Spieler: ThSV Eisenach: Hangstein, Gorobtschuk, Saul, Meyer – 1.VfL Potsdam: Sauter, Ludwig
Spielfilm: 7:4 (13.), 13:12 (29.), 18:13 (43.), 19:19 (50.), 21:19 (53.), 24:21 (60.), 24:22 (60.)

Th. Levknecht