ThSV Eisenach bejubelt faustdicke Überraschung

Der personell gebeutelte Aufsteiger jubelte ausgelassen, sein knapp 3000-köpfiger Anhang intonierte innbrünstig Thüringens Hymne, das Rennsteiglied. Der haushohe Favorit aus der Bundeshauptstadt schlich von dannen. Die Protagonisten eines denkwürdigen Abends hießen nicht Silvio Heinevetter, Bartlomiej Jaszka oder Sven Sören Christophersen (von den Füchsen Berlion), sie hießen Aivis Jurdzs, Tomas Sklenak, Daniel Luther und Faruk Vrazalic (vom ThSV Eisenach).

«Wir haben gezeigt, was in uns steckt. Wir boten das beste Spiel der Saison. Eine Super-Abwehrleistung bildete den Grundstein. Wir haben das Tempo sehr gut gesteuert, sind sehr ballsicher aufgetreten», strahlte ein entspannter Eisenacher Coach Adalsteinn Eyjolfsson. «Eisenach hat einfach mehr investiert und völlig verdient gewonnen», betonten Dagur Sigurdsson und Bob Haning, Trainer und Geschäftsführer der Füchse Berlin, und gratulierten den Wartburgstädtern.

Mix aus Leidenschaft und Besonnenheit
Mit dem richtigen Mix aus Leidenschaft und Besonnenheit setzte der ThSV Eisenach seine personellen Möglichkeiten optimal ein. Die Langzeitverletzten Girts Lilienfelds, Hannes Jon Jonsson und Branimir Koloper standen ohnehin nicht zur Verfügung. Daniel Luther konnte nur für Abwehraufgaben eingesetzt werden, erfüllte damit aber eine ganz wichtige Aufgabe. Tomas Sklenak konnte sich dadurch weitestgehend auf seine Offensivaufgaben konzentrieren, überzeugte als umsichtiger Spielgestalter. Tempo drosseln und dadurch die eigene Fehlerquote gering halten, hieß das Erfolgsrezept der zuletzt gescholtenen Eisenacher. Sie mussten ab der 20. Minuten auch noch auf Dener Jaanimaa verzichten. Der Linkshänder bekam einen Schlag auf die Wurfhand und musste durch eine starke Prellung passen. Als Volltreffer erwies sich der Schachzug von Eisenachs Trainer Adalsteinn Eyjolfsson, den zuletzt auf Rechtsaußen aufgebotenen Varuk Vrazalic mit der Aufgabe im rechten Rückraum zu betreuen. «Wir haben ihn als abwehrstarken Linkshänder auch für den rechten Rückraum verpflichtet», freute sich Adalsteinn Eyjolfsson. Das Ganze ging freilich nur auf, weil Nick Heinemann nach einer Krankheitspause nachwies, wie wichtig er für die Mannschaft ist. Der kleine Rechtsaußen ließ sich von den Hünen auf der Gegenseite nicht beeindrucken oder einschüchtern. Im Gegenteil! Der 1,78-Meter-Mann zeigte Biss! Im linken Rückraum lief Aivis Jurdzs zu großer Form auf. Gegen dessen Würfe hatte auch der diskutierfreudige Nationalmannschafts-Schlussmann Silvio Heinevetter dach Nachsehen. Aivis Jurdzs netzte acht Bälle ein. Jeder erfüllte beim ThSV Eisenach seinen Part, hatte Anteil an der Sensation des zweiten Spieltages der Rückrunde. «So 4 ½ Minuten vor dem Ende glaubte ich an einen Sieg», gestand Adalsteinn Eyjolfsson. Die Waage neigte sich in der Schlussphase zugunsten seiner Schützlinge. Als Faruk Vrazalic nach Regelwidrigkeit an Kapitän Benjamin Trautvetter mit einem schnörkellos verwandelten Siebenmeter zum 23:22 Füchse-Keeper Silvio Heinevetter keine Abwehrchance ließ (59.), wurde der Paukenschlag des Underdogs immer mehr zur Gewissheit. Doch es galt noch bange Momente zu überstehen. Drei Sekunden vor Ultimo gab es auf der linken Seite nochmals Freiwurf für die Berliner, doch der Ball landete über dem von Rene Villadsen erneut prächtig gehüteten Eisenacher Gehäuse. Die Schlusssirene ging in überschäumendem Jubel unter.

Füchse schienen von jüngsten Erfolgen eingelullt
«Wir haben im zweiten Abschnitt unsere erfahrensten Leute auf das Parkett geschickt, doch sie bekamen das Spiel nicht in den Griff», konstatierte ein zerknirschter Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson. Sein Team schien von den jüngsten Erfolgen eingelullt. «Wir wollten anscheinend im dritten Gang die Aufgabe lösen, Weihnachten feiern und dann gegen Balingen antreten», übte sich Füchse-Manager Bob Hanning in Sarkasmus und verwies auf die personelle Besetzung beider Teams. Da könne eigentlich nur eine Mannschaft gewinnen. Mit dem Verweis auf nur drei gelbe Karten und keiner einzigen Zeitstrafe wollte Bob Hanning die fehlende Leidenschaft seines Teams belegen. So richtig unter Dampf stand von den Feldspielern der Gäste eigentlich nur Konstantin Igropulo.

Mit Leidenschaft und dem Publikum im Rücken erspielte und erkämpfte sich der ThSV Eisenach das Übergewicht gegen einen eigentlich schier übermächtigen Kontrahenten. «Nun kann der ThSV Eisenach frohe Weihnachten feiern», erklärte Bob Hanning zum Ende seines Statements.

Aivis Jurdzs lässt Silvio Heinevetter kaum eine Abwehrchance
Die Rollenverteilung war vor dem Anpfiff eigentlich klar, doch es wurde von Beginn ein Schlagabtausch auf Augenhöhe. Nicht das Starensemble aus Berlin dominierte, der krasse Außenseiter von der Wartburg hatte das richtige Rezept zur Stelle. In der Besetzung mit Bjarki Elisson auf Links- und Nick Heinemann auf Rechtsaußen, Aivis Jurdzs im linken und Varuk Vrazalic im rechten Rückraum, Tomas Sklenak auf der mittleren Aufbauposition (für Abwehraufgaben von Daniel Luther abgelöst), Nicolai Hansen am Kreis und Rene Villadsen im Tor stand Tempodrosseln an oberster Stelle. Der vor Tatendrang sprühende Aivis Jurdzs brachte den ThSV Eisenach mit 1:0 in Führung (3.). Die Füchse, mit Bartlomiej Jaszka auf der Regieposition, Pavel Horak im linken und Konstantin Igropulo im rechten Rückraum sowie Jesper Nielsen am Kreis vermochten einfach nicht Fahrt aufzunehmen. Die Eisenacher setzten den Angriffsbemühungen mit fairen Mitteln ein Stoppzeichen! Fredrik Petersen scheiterte per Strafwurf am blitzschnell die Füße schließenden ThSV-Keeper Rene Villadsen (7.). Nach zwei vorherigen Fehlversuchen glich Eisenachs Bjarki Elisson von Linksaußen zum 3:3 aus (8.). Eine Aivis-Jurdzs-Fackel musste Silvio Heinevetter zum 5:4 für den ThSV Eisenach passieren lassen (11.). Kurz darauf musste der Eisenacher Rückraumspieler nach einem Scharmützel für zwei Minuten auf die Bank. Es blieb die einzige Zeitstrafe der gesamten Partie! Der in den linken Rückraum eingewechselte Sven-Sören Christophersen traf zum 5:6 (13.). Nick Heinemann legte für Aivis Jurdzs auf, der den 6:6-Ausgleichstreffer markierte (15.). Für Eisenachs Dener Janimaa blieb es bei einem Kurzeinsatz. Als er zum Wurf ansetzte, bekam er einen Schlag auf die Hand. Der Ball landete in der dritten Etage. Der Pfiff der Spielleiter, die sich nicht nur hier den lautstarken Unmut des Eisenacher Publikums zuzogen, blieb aus. Die Berliner hatten in Konstantin Igropulo nun einen sicheren Siebenmeter-Werfer gefunden. Dem Favoriten wurden im ersten Abschnitt gleich fünf Strafwürfe zugesprochen. Konstantin Igropulo verwandelte von der Linie zum 7:9 (25.). Inzwischen war Fernandez Romero für die Berliner gekommen. Die ganz großen Impulse, die Geniestreiche hatte er nicht zur Hand. Dann entschieden die Unparteiischen Harms/Mahlich erstmals auf Siebenmeter für den ThSV Eisenach. Faruk Vrazalic verwandelte diesen (wie auch drei weitere im Spielverlauf).

Eine lehrbuchreife Ballstafette vollendete Bjarki Elisson von Linksaußen zum 10:10 (29.). Mathias Zachrisson besorgte mit einem Wurf von Rechtsaußen für die hauchdünne Füchse-Führung zur Halbzeitpause.

Kapitän Benjamin Trautvetter mit frischem Wind in der Schlussviertelstunde / Faruk Vrazalic nervenstark von der Siebenmeterlinie
In der Berliner Kabine waren zur Halbzeitpause klare Worte gefallen, die Umsetzung auf dem Parkett fand allerdings nicht statt. Das 10:12 (32.) sorgte nicht für Hektik in den Eisenacher Reihen. Die Hausherren blieben dem von ihrem Trainer ausgeklügelten Konzept treu. Mit Erfolg! Bjarki Elisson verwertete eine Steilvorlage zum 13:13 (38.). Der in Abwehr und Angriff sich vollends verausgabende Nicolai Hansen sorgte mit zwei Delikatessen, zwei Treffern im Fallen von der Kreismitte zum 15:14 (42.), für reichlich Sonderbeifall. Kurz zuvor hatte Eisenachs Keeper Rene Villadsen Füchse-Regisseur Bartlomiej Jaszka das Leder im großen Stil abgekauft. Der starke Jesper Nielsen und Fredrik Petersen bei einem der ganz wenigen Tempogegenstöße trafen zum 15:16 (43.). In der Schlussviertelstunde besetzte Benjamin Trautvetter die Kreismitteposition. Der Eisenacher Kapitän unterstrich seine Offensivqualitäten gegen die Recken auf der Gegenseite. Benjamin Trautvetter konnte drei Mal nur regelwidrig gestoppt werden. Faruk Vrazalic verwandelte die fälligen Siebenmeter, wie beim 16:16 (44.). Die Berliner zogen ihre letzte Karte, brachten Markus Richwien, der zum 17:18 einnetzte (48.). Sollte die breit besetzte Bank der Berliner den Ausschlag geben? Die Eisenacher mobilisierten die letzten Kräfte. Aivis Jurdzs traf zum 20:19 (51.). Dem Ball zum 21:19 verwehrte Füchse-Keeper Silvio Heinevetter das Überqueren der Linie. Der zur Kreismitte eingelaufene Sven-Sören Christophersen und der energisch aus dem rechten Rückraum abziehende Konstantin Igropulo brachten den haushohen Favoriten mit 20:21 in Führung (55.). Spannung und Dramatik pur. Der ThSV Eisenach wollte mit aller Macht die Sensation.

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Den Führungstreffer von Tomas Sklenak zum 22:21 (58.) egalisierte Sekunden später Kreisläufer Jesper Nielsen. Die Berliner nahmen Eisenachs Goalgetter Aivis Jurdzs in Manndeckung. Tomas Sklenak initiierte eine Ballstafette zur Kreismitte. Benjamin Trautvetter konnte nur auf Kosten eines Siebenmeters gestoppt werden. Faruk Vrazalic sorgte dafür, das Silvio Heinevetter nicht des Held des Abends wurde, versenkte zum 23:22 (59.). Zumindest ein Zähler schien für den krassen Außenseiter greifbar. Doch den Berlinern fehlte die Kaltblütigkeit eines Spitzenteams. Ihre Würfe landeten über dem Eisenacher Kasten. ThSV-Coach Adalsteinn Eyjolfsson griff 18 Sekunden vor Ultimo zur grünen Karte. Der mögliche Treffer zum 24:22 fiel nicht, doch die Gäste hämmerten ihren letzten Wurf über das Eisenacher Gehäuse – zur vollendeten Glückseeligkeit der Wartburgstädter.

Diese tanzten ausgelassen auf dem Parkett, trugen danach ein Spruchband mit dem Dank an die eigenen Fans durch die Halle und die freudetrunkene Anhängerschaft sang aus vollen Kehlen «So ein Tag, so wunderschön wie heute…».

Handball-Eisenach erlebte wieder einmal einen ganz besonderen Tag. Ein Tag, der alle neue Hoffnung in Sachen Klassenerhalt schöpfen lässt.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag Auswärtsspiel beim TBV Lemgo
Bevor es in die Punktspielpause geht, absolviert die DKB Handball-Bundesliga ihren dritten Spieltag der Rückrunde. Der ThSV Eisenach gastiert am 2. Weihnachtsfeiertag, am Donnerstag, 26.12.2013 beim TBV Lemgo (Anwurf um 17.15 Uhr in der Lipperlandhalle).

Statistik
ThSV Eisenach: Villadsen (12 Paraden/21 Gegentreffer), Gorobtschuk (0 Paraden/1 Gegentreffer); Trautvetter, Elisson (4), Sklenak (1), Wöhler, Jurdzs (8), Luther, Pucelj, Jaanimaa, Hansen (2), Vrazalic (8/4), Heinemann

Füchse Berlin: Heinevetter (10 Paraden/ 22 Gegentreffer), Stochl (0 Paraden/1 Gegentreffer), Löffler, Wiede, Spoljaric, Richwien (1), Romero (1), Zachrisson (1), Jaszka (2), Horak, Igropulo (9(5), Nielsen (4), Christophersen (2), Petersen (2)

Zeitstrafen: ThSV Eisenach 2 Min. (Jurdzs) / Füchse Berlin 0

Siebenmeter: ThSV Eisenach 4/4 (Vrazalic verwandelt 3 x gegen Heinevetter und 1 x gegen Stochl)
Füchse Berlin 6/5 (Petersen scheitert 1 x an Villadsen, Igropulo verwandelt 4 x gegen Villadsen und 1 x gegen Gorobtschuk)

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