Gerhard Sippel – Brief an Stadtverwaltung Eisenach

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Steffen Liebendörfer, 

35 Jahre Deutsche Einheit, 34 Jahre Thüringer Schule – Eisenach auf dem Weg zu einem neuen modernen städtischen Gymnasium? 

Vorbemerkung: Der Autor dieses Textes befürwortet die Überlegungen zur gleichberechtigten Fusion der beiden staatlichen Gymnasien. Diesen Text schreibe ich als neutraler Beobachter, nicht als  ehemaliger Schulleiter des Elisabeth-Gymnasiums. 

Ich will einen Schildbürgerstreich verhindern. 

Zur Geschichte 

Am 6.6.1990 wurden Wolfgang Kumpf und Gerhard Sippel vom neu gebildeten Kreistag zum Schulamtsleiter und stellvertretenden Schulamtsleiter gewählt. 

Ihr Auftrag: 

  1. Die Implementierung des dreigliedrigen Schulsystems mit Grundschule und Hort, Regelschule, dem Gymnasium von der fünften bis zur zwölften Klasse und der Berufsschule. 
  2. Die Erstellung eines Schulnetzplanes für den Altkreis Eisenach und die Stadt Eisenach.
  3. Die Gewinnung neuer Schulleiter für die neu gebildeten Schulen. 
  4. Evaluierung der Pädagogen für die weitere Verwendung in der zukünftigen Thüringer Schule. 

Es war eine Mammutaufgabe in einer Zeit radikaler Veränderungen, für Lehrer, Eltern und Schüler – oft mit schmerzlichen Erfahrungen. Mit Beginn des Schuljahres 1991 sollte dieser Auftrag im Wesentlichen realisiert sein. Rückblickend möchte ich behaupten: Es ist uns gelungen, zufriedenstellende Lösungen herbeizuführen. 

Die wichtigste Voraussetzung war: Wir haben das Gespräch mit den Beteiligten gesucht – den  Eltern, den Lehrern, den Schülern und den Verantwortlichen in den Kommunen. 

Eine besondere Herausforderung war der sprunghafte Anstieg der Schülerzahlen mit dem Wunsch, ein Gymnasium zu besuchen – von 9 % im Jahr 1989 auf 28 % zum 01.09.1991. 

Gerstungen erhielt wieder sein Gymnasium, das Ruhlaer Gymnasium wurde bestätigt. Für die Stadt Eisenach war die Suche nach geeigneten Lösungen besonders schwierig, weil mehr als tausend Schüler den Schulabschluss Abitur erreichen wollten. Das Ernst Abbe Gymnasium wurde erweitert mit dem Gebäude der jetzigen Lutherschule. Ein zweites städtisches Gymnasium wurde zum 01.09.1991 im Schulkomplex Nebestraße-Zeppelinstraße gegründet. Dieser Teil unserer Arbeit war besonders schwierig: Lehrer, Eltern, Schüler dieser Schule (ehemals 10 POS) mussten überzeugt werden, dass ein Schulwechsel dringend notwendig wurde. Nicht erkannt haben wir zu dieser Zeit, dass zum Schuljahr 1992/93 die Anzahl der Schüler mit Wunsch Abitur noch einmal enorm steigen würde, z.B. am Elisabeth-Gymnasium von 540 auf 810. Ähnlich waren die Verhältnisse am Ernst Abbe Gymnasium. Für beide Schulen mussten dringend notwendige Lösungen gefunden werden. Nach großen Protesten der Eltern, Schülern und Lehrer wurde das Schulgebäude am Theaterplatz Teil der Ernst Abbe Schule und für das Elisabeth-Gymnasium ein Gebäude in der Thälmannstraße dazu gewonnen.  

Allen Beteiligten war bewusst, diese Lösungen durften kein Dauerzustand bleiben. Es entstand die  Vision für einen modernen zukunftsorientierten Schulcampus- ganz neu, mit den notwendigen Sportanlagen, Bibliothek, Aula usw.

Kurzfristig sollte aber eine Lösung für den Standort Ernst Abbe Gymnasium gefunden werden. Dieser Standort war für eine zu planende Erweiterung völlig ungeeignet: extreme Lärmbelästigung durch das hohe Verkehrsaufkommen an der B19, zum Teil auch In der Grimmeisgasse, der viel zu kleine Schulhof, die weiten Wege zu den notwendigen Sportanlagen, standen dem entgegen. Eine mögliche Lösung sollte der angedachte Wechsel in die ehemalige Karl Alexander Schule am Wartenberg werden. In beiden Schulteilen waren zu dieser Zeit aber noch zu viele Grund- und Regelschüler. Heute ist dieser Standort ausgebaut zur modernen dualen Hochschule. 

Heute ist dieser Standort ausgebaut zur modernen dualen Hochschule. 

Geringere Schülerzahlen erzwingen erneut Veränderungen 

Am Elisabeth-Gymnasium wurde der Standort Ernst-Thälmann-Straße aufgelöst: Auf dem großzügigen  Schulgelände stehen heute zwei geräumige Container. 

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Die Erweiterung am Ernst-Abbe-Gymnasium, um den Schulstandort Theaterplatz, sollte längst aufgelöst sein und wurde nur zögerlich in Angriff genommen (und jetzt fallen dort sogar die Ziegel vom Dach und es regnet ins Haus, Thüringer Allgemeine vom 06.10.2025). 

Damit komme ich zum eigentlichen Anliegen: Es geht um die Planung für ein modernes, zukunftsorientiertes Gymnasium, das diesem Anspruch gerecht wird. Dabei ist zu beachten, dass die Schülerzahlen in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen. 

Eine mögliche gleichberechtigte Fusion ist erstrebenswert. 

Die Vision von 1991 – ein moderner Campus – ist in der Kürze der Zeit und aufgrund der enormen Kosten nicht realisierbar. 

Das jetzt zur Verfügung gestellte Geld sollte am bestmöglichen, zukunftsfähigen Standort eingesetzt werden. Dieser befindet sich nach meiner Ansicht im Bereich Nebestraße/Zeppelinstraße. 

Verfrühte Überlegungen, den Standort Elisabeth-Gymnasium jetzt schon an einen anderen Schulträger abzugeben, ohne vorherige Abstimmung mit der jetzigen Schulleitung, sind kontraproduktiv. Ich bin erstaunt, dass ohne vorherige Abstimmung mit der Schulleitung eine Schul und Geländebesichtigung erfolgte. 

Die Überlegungen zum An- und Ausbau des Standorts Ernst-Abbe-Gymnasium an der B19 und  Grimmelsgasse halte ich nach den genannten Gründen für eine Fehlplanung

Allen Abgeordneten und Beteiligten empfehle ich dringend die Thüringer Richtlinien über bauaufsichtliche Anforderungen an Schulen (ThürStAnz Nr. 48/2010, S. 1613–1616) und die Schulbauempfehlungen für den Freistaat Thüringen zu lesen, besonders die Unterpunkte 2.1 bis 2.4. 

Nach diesem neuen Sachstand sollten sich alle fragen, ob sie mit ruhigem Gewissen ihre Zustimmung zu diesem Projekt geben können. Ich sehe 700–900 Schüler auf dem Schulhof wie Schafe in einem Ferch zur Nacht, ich sehe endlose Schülerströme auf dem Weg zu den Sporthallen und Sportplätzen, ich sehe Schüler auf dem Pausenhof eingeengt – und weil der nötige Platz fehlt, kann es zu Auseinandersetzungen kommen. 

Ich sehe Lehrer und Schüler, die zwar moderne Fachräume nutzen könnten, denen jedoch das Gefühl eines echten schulischen Lebensraumes fehlen würde. Meine Kritik richtet sich deshalb auch darauf, dass mit dem derzeit vorgestellten Projekt die Chance vertan werden könnte, Eisenach ein wirklich zeitgemäßes und zukunftsorientiertes Gymnasium zu schaffen.

Ich will verhindern, dass mit diesem unsinnigen Projekt Geld in den sprichwörtlichen Sand gesetzt wird und wir damit eine wirklich moderne, zukunftsorientierte Schule blockieren. Es wäre hilfreich, sich moderne Schulen anzuschauen und so, den eigenen Blickwinkel zu erweitern. 

Fazit und Appell 

Im Ergebnis meiner Ausführungen bin ich der Meinung, dass sich alle Beteiligten – das Land Thüringen, die Stadt Eisenach und die betroffenen Schulen – zu einem gemeinsamen, demokratischen Dialog zusammensetzen müssen, um die beste Lösung zu finden. Nur so können Unstimmigkeiten und Unsicherheit vermieden und Vertrauen zurückgewonnen werden. 

Die oft gehörte Aussage: „Wir können an diesen Entscheidungen nichts mehr korrigieren“, ist bei solch einem zukunftsorientierten Projekt nicht hinnehmbar – auch nicht aus verwaltungstechnischen Gründen. 

Noch sind Eltern, Schüler und Lehrer relativ ruhig. Doch aus Erfahrung ist bekannt, dass schulische Entscheidungen ein hohes Maß an Konfliktpotenzial bergen und sogar wahlentscheidend sein können. 

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Sippel

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