Weitere Zeitzeugen interviewt
Erfindergeist trotz Planwirtschaft? Um diesem scheinbaren Widerspruch auf den Grund zu gehen, führten Lars Leonhardt, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Automobile Welt Eisenach, und Archivleiterin Dr. Jessica Lindner-Elsner am 23. und 24. Juli im Wartburgradio 96,5 zwei Interviews mit den Zeitzeugen Volkmar Schumann (94) und Frank-Michael Schulz (66). Unterstützt wurden sie dabei von der Geschichtsstudentin Marie Bullerschen, die momentan ein Praktikum im Stiftungsarchiv absolviert.
Was in der Bundesrepublik Deutschland damals wie heute „betriebliches Vorschlagswesen“ heißt, war in der DDR das sogenannte „Neuererwesen“. Die Werktätigen waren dazu angehalten, mit Hilfe von Verbesserungsvorschlägen – später „Neuerervorschläge“ genannt – aktiv zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beizutragen. Als Anreiz dienten Prämien, die bei erfolgreicher Umsetzung einer Idee an ihren Urheber oder ihre Urheberin ausgezahlt wurden. Aber wer entschied über die Realisierung eines solchen Neuerervorschlags? Im ehemaligen Automobilwerk Eisenach war dafür das sogenannte „Büro für Neuererwesen“ zuständig, das Volkmar Schumann von 1966 bis 1990 stellvertretend leitete. Dank seiner ingenieurstechnischen Ausbildung besaß der gebürtige Pirnaer das notwendige Know-how, um die Umsetzbarkeit der teils kuriosen Ideen zu beurteilen. Konflikte waren dabei vorprogrammiert, bedeutete ein Verbesserungsvorschlag doch stets eine Kritik an der Erfinderin bzw. dem Erfinder der ursprünglichen Konstruktion.
Auch durch die Biografie des Berliners Frank Schulz zieht sich die Faszination für Innovationen im Automobilbereich. Aufgrund seiner „persönlichen Daten“ (christliches Elternhaus, Verweigerung des FDJ-Eintritts und des Dienstes an der Waffe) durfte er nicht studieren und suchte deshalb im Anschluss an seine Ausbildung zum Kfz-Schlosser nach einer anderen intellektuell herausfordernden Aufgabe. Fündig wurde er 1978 in der Abgasprüfstelle der DDR in Berlin-Adlershof, wo er Wartburg, Trabi und Co. auf ihre Vereinbarkeit mit internationalen Emissionsstandards testete. Nicht nur bei der Entwicklung der Messtechniken war Innovationsdenken gefragt. Da es DDR-weit nur eine einzige Abgasprüfstelle und daher keine Zulieferbetriebe gab, gehörten alle Messgeräte zur „Marke Eigenbau“. Wie so oft machte die Not auch hier erfinderisch: So wurden beispielsweise Lebensmittelwaagen für eigene Zwecke umgebaut oder Edelstahl aus Milchkühlern verbaut.
Die Interviewreihe wird in dieser Woche fortgesetzt und soll zu gegebener Zeit als Sendereihe im Wartburgradio ausgestrahlt werden.