„Die Überführung der Widerständigkeit“

Eisenach erinnert mit Diskussion und Konzert an die Wende 1989

Anlässlich des 30. Jahrestages der politischen Wende 1989 bietet das Kulturamt der Stadt Eisenach in diesem Jahr mehrere Veranstaltungen zum Wendegedenken an. Dabei soll die Zeit vor, während und nach der politischen Wende 1989 mit ihren Vor- und auch Nachteilen, Brechungen, Verletzungen, Hoffnungen und Möglichkeiten reflektiert und miteinander diskutiert werden.

Unter der Überschrift „Die Überführung der Widerständigkeit“ lädt das Eisenacher Kulturamt am Samstag, 15. Juni, zu einer Diskussion und einem Konzert mit dem Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM) und der Thüringer Dichterin Gabriele Stötzer ein. Die Diskussionsrunde beginnt 18.30 Uhr im Rokokosaal des Eisenacher Stadtschlosses, das Konzert schließt sich 20 Uhr an. Auf dem Podium diskutieren der Komponist Hans Tutschku (Harvard University/USA, Weimar) und die Autorin Gabriele Stötzer (Utrecht/Erfurt); es moderiert der Eisenacher Kulturamtsleiter Dr. Achim Heidenreich.

Im anschließenden Konzert fassen die Musiker des „Ensembles für Intuitive Musik Weimar“ gemeinsam mit dem Komponisten für elektronische Musik, Hans Tutschku (Harvard University / Weimar) neue Texte der DDR-Dissidentin Gabriele Stötzer in Töne und bringen diese im Rokokosaal zum Klingen. Mit Hans Tutschku musizieren Michael von Hintzenstern (Klavier), Matthias von Hintzenstern (Violoncello und Obertongesang) und Daniel Hoffmann (Trompete, Flügelhorn – alle Weimar).

Für die Diskussionsrunde ist der Eintritt frei. Für das Konzert des „Ensembles für Intuitive Musik Weimar“ (ab 20 Uhr) kostet der Eintritt 9 Euro (ermäßigt 7 Euro). Karten sind in der Tourist-Information am Markt im Vorverkauf erhältlich. Die Veranstaltung wird von der Kulturstiftung des Freistaats Thüringen unterstützt.

Nach der Foto-Ausstellung von Günter Bersch im Thüringer Museum ist dies die zweite städtische Veranstaltung zur politischen Wende vor 30 Jahren. Am gleichen Tag wird außerdem vormittags im städtischen Programm „E_infach A_nders – Der Sommer in Eisenach“ die Sonderausstellung der französischen Malerin Colette Deblé „In Szene gesetzt: Frauenbilder in der Kunst“ mit Thüringer Frauenportraits in der Predigerkirche eröffnet.

Ensemble für Intuitive Musik Weimar

Das „Ensemble für Intuitive Musik Weimar“ (EFIM) gab sein erstes Konzert mit Werken Karlheinz Stockhausens am 13. Februar 1981 in der illegalen Erfurter „Galerie im Flur“. Die Musiker bezogen sich dabei auf eine Ausstellung des Friedrichrodaer Malers Werner Schubert-Deister, der sich bei vielen seiner Bilder durch die Musik des Kölner Komponisten inspirieren ließ. In der knisternden Atmosphäre dieses außergewöhnlichen Ortes wagte es die Gruppe erstmalig, ihre „Intuitive Musik“ im Moment der Aufführung entstehen zu lassen. Hierzu liegt ein Stasi-Bericht von IMB „Konrad“ vor.

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Nach der Grenzöffnung konnte die Gruppe 1990 erstmals vor Karlheinz Stockhausen spielen, der in einem Brief darüber sagte: „…es war gut, dass ich Euch endlich im Konzert erlebt habe. Euch allen möchte ich danken: Ihr habt die Intuitive Musik lebendig gehalten. Wir werden gewiss gemeinsam diese eigenartige Musikform weiterentwickeln.“ Seit Anfang der 1990er Jahre widmet sich das EFIM hauptsächlich Eigenprojekten. Es ist dabei stets auf der Suche nach besonderen Orten, deren Ausstrahlung Akteure wie Zuhörer in gleicher Weise beflügelt. Das können Parkanlagen ebenso sein wie Steinbrüche. Inzwischen hat das Ensemble in 30 Ländern gastiert.

Die Leitung der „Galerie im Flur“, die am 1. April 1981 von der Stasi liquidiert wurde, lag seit 1980 in den Händen von Gabriele Stötzer. Die Künstlerin und Autorin gestaltet seit 2009 mit dem EFIM gemeinsame Programme, in denen neue Konzepte ihren Arbeiten aus den 1980er Jahren gegenübergestellt und in einer „Wort-Klang-Performance“ multimedial gestaltet werden. In ihrem Text „Die Überführung der Widerständigkeit“ geht es darum, die positive Energie der Friedlichen Revolution in der Gegenwart zu bewahren.

Zum Konzert

Seit gut zehn Jahren arbeitet das Ensemble für Intuitive Musik an dem Konzert-Zyklus Texte von Gabriele Stötzer auf. Die Dichterin liefert neue Text und das Ensemble reagiert darauf mit einer immer neuen, spontanen Klangsprache. Die Musik ist eine Reflexion über die Gedankenbilder und inspirierende Sprache von Gabriele Stötzer, bei der die Klangverarbeitung im Computer als gleichwertiges (Echtzeit)Musikinstrument im Ensemble eingesetzt wird. Der Computer ergänzt also nicht die Instrumentalisten, sondern beflügelt die Kommunikation der einzelnen Mitspieler untereinander. Hans Tutschkus Klangbearbeitung am Computer geht daher nicht nur in die eine Richtung zur Maschine, sondern auch wieder zurück zu den Musikern. Die Anschlagsdynamik etwa im Klavier ist im Wortsinn ausschlaggebend für die Impulsverarbeitung des Computers, nicht umgekehrt. Mit jeder Session wird das Programm fortgeschrieben und erweitert sich das Ausdrucksspektrum. An der Harvard University/USA werden die Programme mit den neuen Ergebnissen – dann auch denen aus Eisenach – unmittelbar weitergeschrieben.

Weitere Infos: www.tutschku.com

Hans Tutschku (*1966) ist seit 1982 Mitglied des Ensembles für Intuitive Musik Weimar. Er studierte Komposition in Dresden, Den Haag und Paris, begleitete ab 1989 Karlheinz Stockhausen auf mehreren Konzertzyklen, um sich in die Klangregie einweisen zu lassen und besuchte 1996 Kompositionsworkshops von Klaus Huber und Brian Ferneyhough. 2003 promovierte er bei Prof. Dr. Jonty Harrison an der Universität Birmingham (PhD). Er lehrte elektroakustische Komposition an der Weimarer Hochschule für Musik, am IRCAM in Paris, in Montbéliard und an der Technischen Universität Berlin. Seit 2004 wirkt er als Kompositionsprofessor und Leiter des Studios für elektroakustische Musik an der Harvard University (Cambridge, USA). Einladungen zu Konzerten und Meisterkursen führten ihn in mehr als 40 Länder. Seine Werke wurden mit zahlreichen internationalen Preisen bedacht.

Gabriele Stötzer (*1953) ist eine Thüringer Künstlerin und Schriftstellerin, die die DDR-Zeit und die bewegte Wendezeit mit allen Verwerfungen und Hoffnungen selbst erfahren hat. Sie beteiligte sich an den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, wurde 1976 festgenommen und 1977 wegen „Staatsverleumdung“ zu einem Jahr Haft verurteilt. In der von ihr 1980/81 geleiteten, privaten Erfurter „Galerie im Flur“, die von der Stasi liquidiert wurde, kam es zur Zusammenarbeit mit dem „Ensemble für Intuitive Musik Weimar“ (EFIM), mit dem sie seither zahlreiche Lese-Konzerte gestaltete. Am 4. Dezember 1989 gehörte sie zu den fünf Frauen, die in Erfurt die erste Stasi-Zentrale der DDR besetzten. Hierfür erhielt Gabriele Stötzer am 4. Oktober 2013 das Bundesverdienstkreuz.

Weitere Infos: https://www.bstu.de/assets/bstu/de/Bildungsmaterialien/bildung_begleitmaterial_dokumentenheft_eingeschraenkte_freiheit.pdf

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