Extreme Höhe – Radfahren in der Atacamawüste

Teil 1. Die Überquerung der Anden über den Paso Jama (ca. 600 km)

Bruch mit dem Gewohnten
Nichts bricht mit dem Gewohnten so sehr, wie das Reisen. Kein Stein des eigenen inneren Konzeptes bleibt mehr auf den anderen stehen. Es ist ein Aufbruch in die Neugier, wo man den Alltag mit dem Abenteuer, das weiche Daunenbett mit dem im Sturm tobenden Zelt, oder die Sicherheit mit der Lust auf das Neue tauscht.
Genau in diesem emotionalen Aufbruch befinde ich mich, als ich die Stadt Salta im argentinischen Norden auf meinem Reiserad verlasse. Salta heißt die Schöne, doch in den letzten 2 Tagen war ich viel zu beschäftigt mein Gepäck, welches beim Atlantiklug verloren gegangen ist, wieder aufzutreiben, als mich der Schönheit zu widmen.
Endlich, so denke ich, sitze ich auf meinem vollgepackten Rad und verliere die ersten Schweißtropfen, um an meinem Traum die Anden in der Atacamawüste zu überqueren, die rote Lagune in schwindelerregender Höhe zu sehen und die Salzfläche des riesigen Salar de Uyuni in Bolivien unter meinem Füßen zu spüren.

Das üppige Grün
Um aus eigener Kraft bis auf 5000 Meter über dem Meer zu kommen, werde ich noch viel Willen brauchen, denn noch befinde ich mich tief unten im Dschungel. Eine schmale Strasse ohne Verkehr windet sich um jede Biegung des Bergregenwaldes. Wild kreischende Vögel flattern vor mir auf. Mit grossen Augen verschlinge ich das üppige Grün, wohlwissend, das ich es den nächsten Monat lang nicht mehr sehe werde. Willkommen und wieder Abschied von Wachstum und Leben, denn die Berge, die meine Blicke jetzt, 100 km weiter, streifen, werden in trockene Ocker- und Rottöne getaucht. Große Kakteen bauen sich vor mir auf und das himmelsblau ist nicht azur, sondern ein tiefes und dunkles blau. Das Dorf Purmarmarca auf 2200 m, von Reisegruppen wegen der siebenfarbigen Felsen besucht, ist für mich die letzte Gelegenheit eine Nachricht nach Hause zu schicken, (viel) Essen einzukaufen und (noch mehr) Wasser in die Flaschen zu füllen.

Meine Mama
Jetzt wird es ernst, das spüre ich. Ein unüberschaubarer Berg aus Serpentinen liegt vor oder besser über mir. Nach einer Zeltnacht auf 2900 m nutze ich den frühen Morgen, um die Questa de Lipan hinauf zu fahren. Ich bezwinge den Berg mit Geduld, fahre um einen Rücken herum und sehe, wie sich die Strasse weiter in den Himmel schraubt. Ich steige torkelnd vom Rad und schreie laut nach meiner Mama um Hilfe. Ein grasendes Vicuña hebt seinen Kopf und frisst aber gleich wieder weiter. Ich atme tief aus und verdränge jegliche Gedanken, weil ich weiss oben wartet das Nirvana auf mich.
Stunden später steht plötzlich 4170 Meter auf dem Schild und heißt übersetzt: Ich bin oben! Kraftlos schreie ich nun lieber in mich hinein. Yaaahhh! Der erste, der niedrigste aber der längste Pass der vielen hundert Kilometer über die Anden steckt in meiner Hosentasche. Jacke, lange Hose, Tuch, Mütze und Handschuhe brauche ich jetzt für die Abfahrt, die sonst alles einfrieren lässt. Vor mir liegt ein bis zum Horizont sich streckender Salzsee und ich kann nicht glauben, dass wirklich alles nur Salz ist. Mein Gefühl sagt, dass ist ein Gletscher bis ich es probiere. Die „Salinas Grande“ liegt in einer abflusslosen Senke und einer unwirtlichen Hochfläche. Baufahrzeuge schieben das loses Salz zu Schlaufen, welches dann aufgeladen und in Döschen verpackt in unserer Suppe landet.
Ich pedale in Gedanken in Richtung Sonne und stelle mein Zelt ins gleißende Abendlicht.

Weit, weit über dem Meer
Zum Frühstück gibt es heute einen Berganstieg auf über 4600 m Höhe. Die Strasse zieht sich dafür durch eine enge Schlucht und ein LKW rauscht an mir vorbei, bremst. Langsam schließe ich auf, halte mich an einer Kante des Hängers fest und der Fahrer fährt langsam an. Mit Feingefühl zieht er mich und meinen länger werdenden Arm bis zum Pass hinauf. Mit „Bienvinidos in Argentina!“  begrüßt er mich oben und wir lachen beide laut los.
Susques ist das letzte Dorf, vor der Grenze zu Chile, mitten in einer ariden, trockenen Berglandschaft. Hier oben wohnen keine Yuppies und keine Mantafahrer. Der Wind pfeift den Staub in alle Ritzen, nachts sinken die Temperaturen immer tief ins Minus. Es ist eine raue Gegend mit warmherzigen Menschen.
Auf dem Fahrrad ist mein Horizont weit, ich lasse die Augen wandern. Nichts Grünes gibt es mehr, doch immer wieder entdecke ich atemberaubende Berge, das gelbe Gras der Puna, frei lebende Vicuñas und die vielen Farbtöne der Wüste. Hören tue ich hauptsächlich meinen eigenen Atem, der am höchsten Punkt dieser Andenüberquerung mit 4831 m sich wie eine zischende Dampflok anhört. Alle Fasern meines Körpers sind aktiviert an einem der höchsten Strassenpässe überhaupt. Ja ich gebe es zu: Mein innerer Schweinehund liegt nicht zu Hause auf dem Sofa, ich spüre ihn in grunzend in meinem Nacken. Und in jeder Abfahrt spielt er den blinden Passagier und an jedem Anstieg will er der Kapitän sein.

4 Eier
Der Wind bläst mir ungeniert ist Gesicht, als ich auf einem Schild lese: Rechts Bolivien, zurück Argentinien, geradeaus Chile. Das ist der Abzweig, der nach Bolivien mit fast 600 km bis zur nächsten Stadt, Dreck- und Sandpiste bis zum Horizont inklusive, führt. Einerseits ist mein Essen aufgebraucht, andererseits kann ich mir nie und nimmer vorstellen hier abzubiegen. Ich wähle geradeaus nach Chile, nach San Pedro de Atacama und rolle 2200 Höhenmeter am Stück den Berg herunter. Abgebrannt treffe ich in die Wüstenoase ein. Nach 4 gebratenen Eiern, die ich in einem Café auf der Plaza esse, kommt mir wieder dieser Abzweig nach Bolivien in den Sinn. Vielleicht, so denke ich…

 

PS. Da ich unterwegs mangels Computer und Internet nicht schreiben konnte, verfasse ich euch die Geschichten jetzt nach der Rückkehr. Welche Route in nehme und wen ich treffe erfahrt ihr im Zweiten Teil.

Muchos Saludos, Axel

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