Adler geht auf Reisen

Das Bahnhofsfest jüngst in Eisenach war ein großer Erfolg. Vielfältig waren die Attraktionen für die Gäste. Im Mittelpunkt dabei stand der «Adler» die Lokomotive der ersten deutschen Eisenbahn. Er wurde von der Bahn AG für die Eisenacher organisiert. Standort des historischen Zuges ist das Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg.
Per Sonderzug kam der Adler und die Wagen in die Wartburgstadt. Auf dem Güterbahnhof wurde sie vom Wagen auf die Gleise in Eisenach gesetzt. Vier Mann vom Museum, ein Kran und eine Lok sind dazu notwenig. Mit eigener Kraft hat der «Adler» zum Fest über 600 Gäste transportiert.

Zur Geschichte des «Adler»
Die erste Dampfeisenbahn in Deutschland fuhr 1835 die 6 km lange Strecke von Nürnberg nach Fürth. Gezogen wurde der Zug der Ludwigsbahn von einer Lokomotive, die das Direktorium der Gesellschaft auf den Namen «Adler» getauft hatte, ein Name, der für Kraft und Schnelligkeit stand. Viele der ersten Lokomotiven erhielten derartige Namen, man denke nur an Stephensons «Rocket» (Rakete). Außerdem war der Adler das Wappentier Nürnbergs.
Die Lokomotive war kein deutsches Erzeugnis, sondern stammte aus England. Die Mitglieder der 1833 gegründeten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft hatten zunächst gehofft, einen deutschen Hersteller zu finden, jedoch gleichzeitig über Mittelsmänner Angebote in England eingeholt. Dort war die Entwicklung bereits erheblich weiter als in Deutschland; bereits seit Beginn des Jahrhunderts wurden in England Dampfwagen gebaut. Die bekanntesten Lokomotivenhersteller waren Robert Stephenson und sein Sohn George aus Newcastle, die mit der schon erwähnten «Rocket», der Siegerin des 1829 durchgeführten Eisenbahnwettbewerbs von Rainhill, und den Maschinen für die Linie Manchester-Liverpool ihre Kunstfertigkeit unter Beweis gestellt hatten. In Deutschland gab es dagegen bislang nur einige kaum brauchbare Versuche und theoretische Überlegungen. Schließlich entschloss sich das Direktorium dazu, den Dampfwagen bei Stephenson zu kaufen. Im Mai 1835 ging der Auftrag nach England.

Binnen vier Monaten bauten die Engländer einen Dampfwagen, der den Vorstellungen ihrer Auftraggeber entsprach: ein Exemplar des erfolgreichen «Patentee»-Typs mit drei Achsen, deren Mittlere angetrieben war, und einem Schlepptender. Die Lokomotive wog – wegen des noch nicht sehr tragfähigen Gleiskörpers – nur sechs Tonnen und fiel damit leichter als andere Fahrzeuge dieses Typs aus. Sie war mit zwei Nassdampfzylindern ausgerüstet, die als Innenzylinder die Räder der mittleren Achse antrieben und eine Leistung von 29 KW (40 PS) entwickelten. Die Spurweite entsprach dem in England gesetzlichen Maß von 4 Fuß 8 ½ Zoll, der bis heute in Deutschland gebräuchlichen Normalspur von 1435 mm. Um Kurven besser durchfahren zu können, besaßen die Triebräder keine Spurkränze. Bei normalen Fahrten erreichte die Lokomotive mit sechs bis neun angehängten Wagen 24 bis 30 km/h, bei Demonstrationsfahrten bis zu 60 km/h.
Von den Zeitgenossen als «Meisterwerk» Stephensons gerühmt, erwies sich seine Bauart im Betrieb als überaus solide und leistungsfähig. Ihr Preis betrug rund 12000 Gulden, was nach heutigem Wert mit etwa 300000 bis 500000 Euro zu veranschlagen ist.

Nach der Fertigstellung des «Adler» im September war ein großes Problem zu lösen: der Transport von Newcastle nach Nürnberg. Die erste Etappe der in Einzelteile zerlegten Lokomotive auf dem Seeweg bis nach Rotterdam verlief ohne Schwierigkeiten. Die folgende, den katastrophalen Verkehrsverhältnissen geschuldete Odyssee lieferte den schlagenden Beweis dafür, wie dringend die Einführung der Eisenbahn in Deutschland war. Über einen Monat, vom 23. September bis 26. Oktober, war die Lokomotive per Schiff, Lastkahn und Maultier unterwegs, bis sie in Nürnberg eintraf. Dort wurde sie in der Werkstatt des Mechanikers Wilhelm Späth zusammengesetzt.
Nach ersten Probefahrten im November und der ersten öffentlichen Fahrt am 7. Dezember nahm der «Adler» den regelmäßigen Dienst auf der Ludwigsbahn auf. Da es sehr teuer war, die benötigte Kohle in größeren Mengen über den Landweg nach Nürnberg zu schaffen, setzte man die Lok sehr sparsam ein: Nur zwei Fahrten am Tag, um dreizehn und vierzehn Uhr, dampfte der Adler von Nürnberg nach Fürth und zurück. Ansonsten zogen Pferde den Zug. Die Wagen stammten übrigens bereits größtenteils aus heimischer Produktion.
Der Lokführer stammte allerdings wie die Lokomotive aus Britannien: Stephenson hatte seinen Mitarbeiter William Wilson auf Wunsch des Direktoriums als Ingenieur und Fahrzeugführer nach Nürnberg geschickt. Wilson, der zunächst nur acht Monate bleiben sollte, erhielt mehrmals eine Vertragsverlängerung und blieb schließlich bis kurz vor seinem Tod in den Diensten der Nürnberg-Fürther Eisenbahn. Als Führer und Ingenieur des «Adler» und der 1836 gelieferten zweiten Lokomotive «Pfeil» nahm er eine herausragende Stellung ein. Neben der großen Bewunderung seiner Zeitgenossen brachte ihm dies ein Jahresgehalt von 1500 Gulden, während der Direktor der Eisenbahngesellschaft nur 1200 Gulden erhielt.
Noch viele Jahre versah der «Adler» seinen Dienst bei der Ludwigsbahn. Als er schließlich nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprach, wurde er 1857 ausgemustert, an einen Augsburger Fabrikanten verkauft und wahrscheinlich verschrottet. Niemand kam damals auf die Idee, diese Pionierlokomotive der Nachwelt zu erhalten. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert bemühten sich die Bahn und die Stadt Nürnberg um eine Rekonstruktion des originalen Dampfwagens. Doch dieses Projekt konnte nicht verwirklicht werden, da kaum brauchbare Unterlagen – Konstruktionspläne und bildliche Darstellungen überliefert waren. Erst in den zwanziger Jahren begann eine systematische Erforschung der Technik und Bauart Stephensonscher Lokomotiven, wodurch die Grundlage für einen betriebsfähigen, dem Originalfahrzeug nahe kommenden Neubau geschaffen wurden. Nach ersten Planungen im Jahr 1925 wurde schließlich zum hundertjährigen Jubiläum der deutschen Eisenbahn, im Reichsbahn-Ausbesserungswerk Kaiserslautern eine fahrfähige Replik des «Adler» hergestellt.

Zum 150-jährigen Jubiläum wurde die Lok wieder in Betrieb genommen. Im Dampflokwerk Meinigen wurde der «Adler» überholt.

Technische Daten: Triebwerksbezeichnung: 1A1 n2; Länge über Puffer: 6629 mm; Dienstgewicht 6,5 t; Leistung ca. 40 PS; Höchstgeschwindigkeit 45 km/h; Treibraddurchmesser 1372 mm; Rostfläche 0,48 m²; Heizfläche 18,2 m²; Kesselüberdruck 3,3 bar ;Wasservorrat 2 m³; Kohlevorrat 1 t; Baujahr des Originals1835; Baujahr des Nachbaus 1935.

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