Warum wir nicht wegschauen können

Verhalten bei Unfall – Wer kennt das nicht: kilometerlange Staus, Stop-and-go, genervte und nervöse Autofahrer, die versuchen über Lückenspringen, einige Fahrzeuglängen gut zu machen. Als Stauursache stellt sich oft ein Unfall heraus. Auf der Gegenseite kommt es aufgrund von Gaffern zu stockendem Verkehr. Aber warum können wir nicht wegschauen? Verkehrspsychologin Susanne Nitzsche vom TÜV Thüringen gibt Antworten.

Wie viele Unfälle aufgrund von Gaffern im Nachfolgeverkehr geschehen, ist statistisch nicht erfasst. Fest steht, durch ein solches Verhalten entstehen zusätzliche Staus beziehungsweise lösen sich Fahrzeugschlangen wesentlich langsamer wieder auf. Kriminell wird’s dann, wenn Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste behindert werden. Ganz krass sind die Fälle, bei denen Gaffer ihre Smartphones zücken und vom Unfall oder Geschädigten Fotos machen.

Aber warum machen einige Verkehrsteilnehmer so etwas? Für die Verkehrspsychologin Susanne Nitzsche von der Schulungsstelle Kraftfahreignung des TÜV Thüringen spielen dabei drei Motive eine Rolle: Neugierde, Sensationslust und Anerkennung.

Das Neugierverhalten ist uns faktisch von der Natur in die Wiege gelegt. Man schaut unweigerlich hin, so die Verkehrspsychologin. Bei einem Gaffer ist zudem die Sensationslust stark ausgeprägt. Das heißt, er möchte den Nervenkitzel, will schockiert sein, will die Information aus erster Hand. Das Motiv der Anerkennung befriedigt sich dann darin, dass er darüber berichten kann, sich also gegenüber Freunden oder Kollegen wichtigtun will, erläutert Susanne Nitzsche.

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Menschen, die ein besonderes Anerkennungsbedürfnis haben, neigen gegebenenfalls dazu, zu diesem Zweck sogar Fotos zu machen. Anerkennung und Belohnung motivieren Menschen zu Verhaltensweisen, die sie unter anderen Umständen so nicht an den Tag legen würden.

Dieses Belohnungsverhalten macht den bereits seit längerer Zeit im Stau stehenden Autofahrer zum Schaulustigen. Der mit dem Stau verbundene Zeitverlust wird als nachteilig bewertet. Er ist somit der Meinung, dass er den Preis für die ‚spektakulären Bilder‘ ja bereits gezahlt hat, so die Verkehrspsychologin. Bei einer zügigen Vorbeifahrt würde er auf seine Entlohnung verzichten müssen. Dieses persönliche Motiv wirkt offensichtlich stärker, als die jedem Autofahrer bekannten Verhaltensregeln und Sicherheitsüberlegungen, meint Susanne Nitzsche.

In einem solchen Moment ist dies den meisten nicht bewusst, weil sie genau aus einem der angesprochenen Motive heraus handeln und über mögliche Konsequenzen für andere nicht nachdenken. Sich klar zu werden, dass durch das Gaffen Gefahren für andere entstehen und dass dieses Verhalten nicht richtig ist, ist nur außerhalb einer solchen Situation in einer ruhigen Minute möglich.

Durch den auslösenden Impuls des Ereignisses kommt es zur spontanen Neugierreaktion. Dieser kann man nur durch eine ganz bewusste Entscheidung entgegenwirken. Zu einer solchen reflektierten Haltung sind nicht alle Menschen in der Lage. Aufklärung kann aber einen wesentlichen Beitrag leisten, so Verkehrspsychologin Susanne Nitzsche.

Das Phänomen des Gaffens wird man jedoch nie zu 100 Prozent lösen können.

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