Reichlich Azubi-Chancen im Wartburgkreis: 299 Ausbildungsplätze warten auf Jugendliche
NGG startet Lockruf zur Ausbildung: „Wirtschaft braucht neuen ‚Azubi-Mut‘“
Im August geht es los: Das neue Ausbildungsjahr startet. Doch viele Betriebe im Wartburgkreis sind nach wie vor auf der Suche nach Azubis: Bei der Agentur für Arbeit sind noch 299 freie Ausbildungsplätze registriert. Das teilt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit. „Allein in der Herstellung von Lebensmitteln und Getränken bieten Unternehmen im Wartburgkreis noch 16 Ausbildungsplätze“, sagt Jens Löbel von der NGG Thüringen.
„Und wer sich beispielsweise als Azubi für die Gastro-Branche entscheidet, startet seine Ausbildung sogar schon mit 1.000 Euro im Monat“. Vorausgesetzt, der Betrieb zahle nach Tarif. Freie Ausbildungsplätze seien jedenfalls noch zu haben. Allerdings würden längst nicht alle freien Ausbildungsplätze bei der Arbeitsagentur gemeldet. „Die meisten Betriebe starten auch eigene Initiativen, um Azubis zu suchen. Und das vor allem digital – über Online-Portale und Social-Media-Kanäle“, so Löbel.
Der Geschäftsführer der NGG Thüringen rät jungen Menschen, beim Einstieg ins Berufsleben „die Vorteile, die eine Ausbildung bietet, zu erkennen“. Löbel wehrt sich dagegen, dass die duale Ausbildung mittlerweile „unter Wert gehandelt“ werde. „Es ist wie ein Reflex: Wer sein Abi oder die Fachhochschulreife in der Tasche hat, meint studieren zu müssen“, so Jens Löbel. Dabei würden gerade Industrie, Handwerk und Dienstleistung im Wartburgkreis und der Region enorme Chancen bieten. Wer dort eine Ausbildung mache, dem winke in der Regel eine sichere berufliche Basis und oft auch eine prima Karriere.
Die Zeiten, in denen nur ein Studium ein überdurchschnittliches Einkommen garantiere, seien lange vorbei. „Außerdem kann auf eine Ausbildung oft auch ein Studium draufgesattelt werden“, sagt NGG-Geschäftsführer Löbel. Eine duale Ausbildung sei „keine berufliche Einbahnstraße“. Wer in der Lebensmittelindustrie starte, könne beispielsweise ein Studium in Lebensmittelchemie, Anlagenbau oder Betriebswirtschaft anschließen. In der Gastro-Branche würden sich ein Studium im Tourismus-, Hotel-, Kultur- oder Eventmanagement anbieten.
Der Geschäftsführer der NGG Thüringen rät Jugendlichen, die noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind oder bei denen sich der Wunsch nach einem Studienplatz zerschlagen hat, sich bei der Agentur für Arbeit beraten zu lassen. „Aber auch die Chancen, durch eine Direkt-Akquise einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind enorm gut. Es bringt etwas, bei einem Betrieb anzuklopfen und zu sagen: ‚Hier bin ich. Was kann ich bei euch machen?‘ Ich kenne viele Betriebe, die locker aus dem Stegreif einen zusätzlichen Ausbildungsplatz schaffen könnten“, so Löbel.
Denn der Azubi von heute sei die Fachkraft von morgen. Und ein weiterer Fachkräftemangel verschärfe die Arbeitsbelastung in den Betrieben: „Es ist einfach schlecht für die Produktivität, aber auch fürs Betriebsklima, nicht rechtzeitig für den eigenen Nachwuchs zu sorgen“, so Löbel.
Die NGG Thüringen kritisiert eine „bedauerliche Trägheit bei der Nachwuchsförderung“ im Wartburgkreis. Es komme darauf an, bei der Attraktivität der Ausbildung nachzulegen: „Da geht es auch ums Portemonnaie. Vor allem aber auch um soziale Kriterien – um eine gute Betreuung, um mehr Sympathie, Anerkennung und Respekt für Azubis“, sagt Jens Löbel.
Grundsätzlich werde zu wenig ausgebildet, Es gelinge nicht, junge Menschen für freie Ausbildungsstellen zu gewinnen – in der Gastronomie genauso wie in der Industrie. „Die Wirtschaft braucht einen neuen ‚Azubi-Mut‘ und eine neue ‚Azubi-Motivation‘. Das muss dann allerdings auch politisch unterstützt werden: Wird ein Azubi nach der Ausbildung übernommen, dann darf es dabei künftig keine Befristung mehr geben“, fordert Jens Löbel.
Die NGG Thüringen setzt sich außerdem für „mehr Azubi-Komfort“ ein: „In den Branchen, in denen es noch kein Azubi-Ticket gibt, machen wir uns dafür stark. Ebenso für freie Tage zur Vorbereitung von Zwischen- und Abschlussprüfungen“, macht Löbel deutlich. Vor allem müssten sich aber auch die Betriebe einen „Pro-Azubi-Push“ geben: „Je nach Branche ist da schon einiges zu optimieren. Das Klima – in den Küchen zum Beispiel – muss besser werden. Bei einem rauen Ton machen viele Jugendliche die Schotten einfach schnell dicht“, so Löbel.
Außerdem sollten Betriebe manchmal deutlich weniger auf die Noten im letzten Schulzeugnis schielen: „Sie sollten versuchen, die Talente der jungen Leute zu entdecken. Das bedeutet, dass Unternehmen mehr Gespräche zum persönlichen Kennenlernen führen. Aber auch, dass sie mehr Praktika anbieten. Oft ist es nämlich der zweite Blick, der dann zur ersten Wahl wird“, erklärt Jens Löbel. Auch bei Problemen in der Berufsschule müssten sich viele Betriebe mehr engagieren und Azubis unter die Arme greifen. Außerdem biete die Arbeitsagentur durch die „Assistierte Ausbildung“ eine Art „Azubi-Nachhilfe“.