Stadt Eisenach profitiert: Der „8,50-Euro-Daumen“ ist oben

Zum Einjährigen: Mindestlohn-Bilanz – 814 Beschäftigte mehr

Der „8,50-Euro-Daumen“ ist oben: Ein Jahr nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zieht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für Eisenach eine positive Bilanz.

Zum ersten Mal haben alle Beschäftigten einen festen Lohnsockel unter den Füßen – von der Küchenhilfe bis zur Verkäuferin im Backshop: Wer arbeitet, muss dafür mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen, sagt Christl Semmisch. Für die Geschäftsführerin der NGG Thüringen ist der gesetzliche Mindestlohn der Einstieg in den Lohn-Aufstieg für Menschen, die zuvor mit Niedrigstlöhnen abgespeist wurden.

Vom „Schreckgespenst Mindestlohn“, vor dem die Arbeitgeber auch in Eisenach noch vor einem Jahr gewarnt hätten, sei nichts übrig geblieben: Der Mindestlohn sei weder „Konjunktur-Bremser“ noch „gefährlicher Job-Killer“. Die NGG legte dazu jetzt eine aktuelle „Mindestlohn-Analyse“ vor, die das renommierte Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag der Gewerkschaft gemacht hat.

Die Wissenschaftler werteten dabei auch die Beschäftigungssituation in Eisenach aus:

Anstatt Servicekräfte oder Küchenpersonal zu entlassen, haben Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten neue Kräfte eingestellt. Insgesamt arbeiteten dort im Juni vergangenen Jahres immerhin 849 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – und damit 4 Prozent mehr als noch im Vergleichsmonat des Vorjahres, als es den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht gab, sagt Semmisch.

Nach Angaben der NGG Thüringen hat der Mindestlohn zudem dazu geführt, dass etliche Arbeitgeber aus Mini-Jobs reguläre Stellen gemacht haben. Das gelte nicht nur für die Gastro-Branche.

Viele Mini-Jobs waren besonders schlecht bezahlt. Durch den Mindestlohn sind die Mini-Jobber dann über die 450-Euro-Grenze gerutscht. Und das sind jetzt sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Diese Menschen haben damit etwas Besseres als den Mini-Job. Das ist ein Riesenerfolg, sagt Christl Semmisch.

Die Arbeitslosigkeit habe im „Mindestlohn-Jahr 2015“ abgenommen: Im letzten Dezember waren 1.599 Menschen in Eisenach ohne Beschäftigung – und damit 5,2 Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Auch die Beschäftigtenzahl insgesamt habe sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn positiv entwickelt: Im Sommer des vergangenen Jahres gab es in Eisenach 814 Menschen mehr, die einen Job hatten, als im Sommer des Vorjahres.

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Dabei hat auch der Staat vom Mindestlohn profitiert. Er musste weniger Menschen unterstützen und sparte bei den Hartz-IV-Ausgaben. Denn die Zahl der Aufstocker ist zurückgegangen:

Im Juni vergangenen Jahres gab es in Eisenach 99 Aufstocker weniger – ein Rückgang um 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Diese Menschen können nun von ihrer Arbeit leben. Sie sind nicht länger auf die ‚Stütze vom Staat‘ angewiesen, so Christl Semmisch.

Diese Zahlen liefern für die Geschäftsführerin der Gewerkschaft NGG Thüringen eine „klare Botschaft“:

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde hat den Beschäftigten gut getan. Und er hat der Wirtschaft nicht geschadet.

Im Gegenteil: Das Lohn-Plus habe Eisenach eine höhere Kaufkraft beschert, von der insbesondere auch die heimische Wirtschaft profitiert habe.

Denn Beschäftigte, die den gesetzlichen Mindestlohn bekommen, haben das zusätzlich verdiente Geld nahezu eins zu eins in den Konsum gegeben, so Semmisch.

Um diesen Menschen die Chance zu geben, auch Geld für größere Anschaffungen auf die hohe Kante zu legen, müsse der Mindestlohn allerdings steigen:

Unser Ziel ist es, ihn möglichst rasch in einem ersten Schritt auf 10 Euro pro Stunde anzuheben, macht die Geschäftsführerin deutlich.

Die NGG habe einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland vor einem Jahr überhaupt eingeführt worden sei. Jetzt werde die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ebenso hartnäckig daran arbeiten, ihn schrittweise „zu liften“.

Für die NGG Thüringen ist eine Erhöhung des Mindestlohns nur konsequent. Das zeige auch eine Renten-Berechnung des Bundesarbeitsministeriums: Um eine Rente von mindestens 765 Euro pro Monat – also gerade einmal die Grundsicherung im Alter – zu bekommen, müsse ein Beschäftigter immerhin mindestens 11,50 Euro pro Stunde verdienen. Und das 45 Jahre lang bei einer Vollzeitstelle.

Ein Leben lang arbeiten und dann doch nur ‚Alters-Hartz-IV‘ bekommen – das kann und das darf es nicht sein. Der gesetzliche Mindestlohn steckt noch in den Kinderschuhen. Aber wir werden ihn groß bekommen, ist sich NGG-Geschäftsführerin Christl Semmisch sicher.

Foto: Feiert Einjähriges: 8,50 Euro pro Stunde – das „Mindestlohn-Jahr 1“ ist um. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Thüringen zieht dazu eine positive Bilanz.

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